Thursday, March 22, 2007

THEATER + MUSIK: KABINETTTHEATERS GÄHNENDE "GUTE GÖTTER - SO EIN THEATER"

Orpheus (Tenor Ulfried Haselsteiner) verschläft seinen Auftritt - denn er ist so von Sehnsucht nach Eurydice gefangen, dass er einfach nur müde ist. (Fotos © Michael Michlmayer)

Wie gerne würde Orpheus Eurydice (sie besteigend) um sich haben...

... doch es bleiben ihm nur die Cancan-Erotisismen der Grisettinnen zu Offenbachs Orpheus in der Unterwelt ...








... und das Singen mit dem gelehrten Dichter, der für ihn Eurydice sein will - da er (ganz berechnend!) für die echte Kunst seine ganze Liebe fordert! Selbst wenn das die Öffentlichkeit am Ende wahrscheinlich nur in den Dreck ziehen wird.


THEATER AN DER WIEN DIE PUPPEN - SPIELGRUPPE "KABINETTTHEATER" LÄSST ORPHEUS ALS TENOR UND PUPPE "TANZEN" - EIN SCHÖNES STÜCK WEISHEIT, ANFANGS AUCH ZUM GÄHNEN

Dass Orpheus, der göttliche Sänger, dazu fähig war, mit seinem Gesang den Totenschiffer Charon einzuschläfern, Geister, Furien sowie Plutos zähnefletschenden Hund Cerberus zu zähmen, ist zu Beginn von Gute Götter - So ein Theater von der Puppenspielgruppe Kabinetttheater in der Unterbühne "Hölle" des Theaters an der Wien gut zu wissen. Denn sonst wird die etwas zu lange Einführung zwischen Gähnen zweier Frauenpuppenköpfe und dem "Wuff, Wuff" des augenglühenden Wolfskopfs zur Kammermusik von Akkordeon (Georg Schulz), Flöte (Yvonne Weichsel) und Violoncello (Ruth Straub) bald unlustig. Das ist aber auch das Einzige, was an der Produktion von Christopher Widauer, Julia und Thomas Reichert zu beandstanden ist.

Orpheus leidet dreimal anders

Denn dass da alles so müde ist, einschließlich des zwischen Singen und Schlafen wandelnden Orpheus - sodass selbst das Publikum zu gähnen beginnt -, hat ja seinen Sinn: Orpheus, Tenor Ulfried Haselsteiner, ist der Hauptdarsteller einer echten Inszenierung und sollte auf die Bühne kommen. Irgendetwas hält ihn aber zurück: die Puppen, seine innere Unruhe, sein Sehnen nach Eurydike. So singt er sehr schön und ruhig phlegmatisch in archaischen Tenorliedklängen und weint seiner Eurydike nach, der er nach diversen amourösen Ausschweifungen bedingungslose Treue schwor, sie aber dennoch für immer gegangen ward... Da sagt eine Gelehrten-Dichter-Puppe: "Ich bin Eurydike." - Kann aber "Kunst" auf Dauer alleiniger Liebesersatz sein? - So sinniert der gute Orpheus vor sich hin - dabei sollte er doch dringend auf die Bühne! - bis die Sinnlichkeit ihn und das Publkum gefangen nimmt. Nämlich als einer der Frauenköpfe auf den vollbusigen Torso wandert, der die ganze Zeit über leblos im Raum stand. Das muß nun Eurydike geworden sein! - Orpheus schlüpft unter ihren Rock, sodass "sie" vor freudiger Lust nur so kreischt und erklimmt sie, indem er - plötzlich zur Miniaturpuppe mutiert - auf ihren Körper steigt, und doch vergeblich. Er rutscht wieder und wieder ab. So bleibt ihm nur übrig, sich bei Jacques Offenbachs Cancan Orpheus in der Unterwelt zwischen den Pariser Grisettinnen-Beinen zu trösten, aber auch das schürt letztenendes nur sein Sehnen.

Orpheus ist verdammt zur Kunst

Dann ist es so weit. Er geht (als erneut andere Puppe) auf die Bühne - und bekommt als Dank nur die Rohheit des Showbusiness zu spüren: Er wird in Form eines Schattenspiels auseinander genommen, sodass das Blut aus seinem Körper spritzt. - Auch Ruhm und Ruf können ihm daher weder den Frieden bringen, noch Befriedigung, sondern nur Stress und Verkaufsdruck: seiner selbst, seiner Gefühle. Die öffentliche Meinung bringt ihn um. Und doch ist er, wie alle Kunstschaffenden, dazu verdammt, wie auf hoher See weiter zu singen, zu sinnieren, zu ringen, und um die Gunst des Publikums zu buhlen. - Eine schöne Metapher, die alle Abgründe des Künstlerlebens wiederspiegelt. - Nur der kleine Text auf dem Schildchen war am Ende nicht zu entziffern - War der wichtig? e.o./a.c.


DAS URTEIL EIN KLEINES STÜCK WEISHEIT ÜBER DIE INNEREN KÄMPFE DER KÜNSTLERSEELE. EIN DETAILREICHES SPIEL ZWISCHEN MUSIK, PUPPENKUNST UND PHILOSOPHIE - MIT JE EINEM GÄHNER UND WUFF ZU VIEL!

ERWACHSENEN-PUPPENTHEATER MIT MUSIK Nachtflug mit Puppen - Neue Reise mit Theaterminiaturen aus vielen Federn (Marinetti, Balla, Scarpa, Russulo Texte von Konrad Bayer/Oswald Wiener, Gert Jonke, H.C. Artmann) durch den abenteuerlichen Aufführungsraum * Von und mit: Kabinetttheater * Musik: Wolfgang Mitterer am präparierten Flügel und Live–Electronic * Ort: Semperdepot - Kooperation über Theater an der Wien * Zeit: 30., 31.7. + 3., 6., 7.8.2008: 21h

ERWACHSENEN-PUPPENTHEATER MIT MUSIK Ein bekehrter Wüstling * Regie: Thomas Reichert * Musik: Opern des 20. Jahrhundert * Von und mit: Kabinetttheater * Ort: Hölle im Theater an der Wien * Zeit: 4., 6., 8., 9., 13.10.2008: 20h

ERWACHSENEN-PUPPENTHEATER MIT MUSIK Haydn bricht auf * Musik: Joseph Haydn und Bernhard Lang * Buch: Michael Sturminger * Regie: Thomas Reichert * Von und mit: Kabinetttheater * Ort: Hölle im Theater an der Wien * Zeit: 14., 15., 19., 20., 22.3.2009: 20h

Tuesday, March 20, 2007

THEATER: ANTOINE UITDEHAAG UND DIE TAUBE IN "GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG"






Elisabeth (Patrycia Ziolkowska) arbeitet als Unterwäsche- Vertreterin kaum zufriedenstellend,
da sie sich mit einer "computerhaften" Puppe zwar identifizieren sollte, es aber nicht kann - lange behält sie den Job daher nicht;
Fotos:
© Gabriela Brandenstein


Als Elisabeth den Polizisten Alfons (Till Firit) kennen lernt, scheint ihr Zustand etwas besser zu werden - obwohl "ihr Geheimnis" die Beziehung überschattet...

... sodass Alfons sich abwenden wird, und Elisabeth ins Wasser springt. - Bevor sie stirbt, kommt sie noch mal zur Wache: zu Alfons.

Der Präparator (Rainer Frieb) läßt eine hoffungsvolle Taube steigen - wie es das Bürokraten- und Menschenopfer Elisabeth war.


VOLKSTHEATER ANTOINE UITDEHAAG BRINGT POESIE UND ELEGANZ INS HAUS - TROTZ BITTERER DOPPELBÖDIGKEIT: IN ÖDÖN VON HORVÁTHS GLAUBE LIEBE HOFFNUNG

Was der Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts lebende Autor und Diplomatensohn Ödon von Horvath schonungslos realistisch und desillusionierend ausstellte, war das von Sentimentalität, Kitsch, Gier, Lieblosigkeit, Egoismus und Brutalität geprägte Milieu der "kleinen Leute". So verwundert doch anfangs das geziert und gestisch aufgesetzte Gehabe der Elisabeth - Schauspielerin Patrycia Ziolkowska - im Stück Glaube, Liebe Hoffnung am Volkstheater. Noch dazu, da das Bühnenbild vom - mit renommierten Choreografen wie Jiri Kylián zusammenarbeitenden - Tom Schenk elegant designt aus einer Bühne in der Bühne besteht, einem gekünstelten einseitig offenen Kasten im offenen Raum. Und doch verhilft diese Irritation gerade deshalb zum Verständnis des Nicht-Verstanden-Werdens der in dieser Gesellschaftsschicht Unangepaßten. Das wird spätestens nach zwanzig Minuten klar, wobei kurze Tableaux Vivants mit symbolhaften Körperbildern als Übergänge zwischen den Szenenwechseln dienen. Aber auch, weil der Untertitel zum Stück Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern die überhöhte formale Ästhetisierung als konzeptuelles Prinzip vorwegnimmt.

Selbstmord: Konsequenz in kleinbürgerlichem System

Dass diese Elisabeth so "abgehoben" ist, steht - wobei ihrem wörtlich Gesagten, trotz klarer Aussprache, lange kaum zu folgen ist -, nonverbal inhaltlich dafür, dass die Heldin von Beginn an psychisch angeschlagen ist. Kreidet das die kleinbürgerliche Gesellschaft als Negativum an, wertet es Regisseur Antoine Uitdehaag ins ironische Positiv um. Sodass die mit Justiz und Behörden hadernde Elisabeth fürs Publikum das anmutig-schöne, sensible Opfer ist, für die agierenden Polizisten und Kleinbürger die zu zerstörende "Kriminelle". Und das nur, weil sie einmal ohne Wandergewerbeschaft gearbeitet hat und seitdem vorbestraft ist. So versucht sie, zu Lebzeiten ihren Körper an die Anatomiemedizin zu verkaufen, wobei ihr der Präparator (überzeugend: Rainer Frieb) lediglich Geld borgt, das sie sogleich für die Bezahlung der Geldstrafe verwendet, was wiederum den Präparator erzürnt. Ihr vom Pech getränktes Schicksal scheint sich für Elisabeth in Richtung Sonnenseite zu wenden, als sie dem Polizisten Alfons Klostermeyer begegnet: Mit ihm ist eine Liebesbeziehung möglich. Ab nun wird Elisabeths Spiel lebendiger, doch die Apathie holt sie bald wieder ein: Nachdem Polizistenkollege Alexander Strobele Alfons hinterhältig pflichtbewußt von "der Vorbestraften" abrät, da sie ihn die Karriere kosten könnte. Für Elisabeth scheint die einzige Lösung zu sein: ins Wasser zu gehen.

Poesie und Schönheit: Die Macken machen sie wertvoll

Was an der Inszenierung so berührt, sind die Worte des sich vom Abnormen angezogenen, aber sich nicht dazu bekennen könnenden Alfons, überzeugend gespielt von Till Firit: Elisabeths Aura erinnert ihn an seine verlorene (tote) Liebe. Andererseits der Versuch Elisabeths, Alfons vor ihrer Schattenseite zu schützen, indem sie ihm von der Vorstrafe nichts erzählt. Aus diesen inneren Konflikten heraus, dramatisieren beide Schauspieler ihr Spiel immer mehr. Patrycia Ziolkowska verliert, trotz ihres noch immer anmutigen Äußeren, in der Sterbeszene die Manieriertheit; Till Firit intensiviert sein haltungsfeiges Dasein - wer ihn als Fritz in Liebelei und jetzt in dieser Rolle gesehen hat, wird in Zukunft weiterhin auf seine Schauspielkunst achten. Denn jetzt ist klar: er repräsentiert eine ungemein spannende Abart des klassischen Helden: nämlich mit interessanten, kleinen Fehlern innerhalb des Edlen, angefangen vom Äußeren bis zum beklemmenden Agieren. - Schließlich hinterlassen aber auch die kleinen formalen Details in Glaube, Liebe, Hoffnung angenehme Eindrücke: Tauben, die für die Hoffnung auf eine allgemein bewußtere Wahrnehmung gegenüber "Tauben" wie Elisabeth stehen, indem sie am Ende choreografisch abgerichtet über die Bühne fliegen; Regen, der fällt. Die Eleganz hält somit Einzug ins Volkstheater. - Nur die Musik von Het Paleis van Boem ist in diesem Stück ein wenig sehr schlecht. e.o.


DAS URTEIL DAS VOLKSTHEATER HAT GESCHMACK ENTWICKELT: SCHÖNE HAUPTDARSTELLER, DIE VON GESTISCHER ELEGANZ HERAUS IN IHREN ROLLEN WACHSEN, EIN STÜCK IN TREFFEND POETISCHER FORM - DIE DER INHALTLICHEN ANKLAGE IRONISCH BITTER ENTGEGENLÄUFT. ERGO: HÜBSCH MIT ETWAS SCHMUTZ.

THEATER Glaube, Liebe, Hoffnung * Von: Ödön von Horvath * Regie: Antoine Uitdehaag * Mit: Patrycia Ziolkowska, Till Firit, Rainer Frieb, Vera Borek, Beatrice Frey, Alexander Strobele, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 22., 30., 31.3.; 1., 2., 11.,12.,17., 18., 23.4.07: 19h30

Wednesday, March 14, 2007

TANZ: BEN VAN CAUWENBERGHS QUEEN-GESCHMACKLOSIGKEIT

Karina Sarkissova und András Lukács sind in diesem Duett so gut wie das einzig Erträgliche in der Queen-Homage der Wiener Volksoper. Foto © Dimo Dimov/DasBallett der Wiener Staatsoper und Volksoper


VOLKSOPER WIEN NACH DER BESSEREN ANNA KARENINA VON BORIS EIFMAN FÄLLT DAS WIENER STAATS- UND VOLKSOPERNBALLETT MIT BEN VAN CAUWENBERGHS TANZHOMMAGE AN QUEEN ABERMALS IN DEN STATUS DER PROVINZKOMPAGNIE ZURÜCK

Hat man in letzter Zeit nur überdurchschnittlich gelungene Kunst erlebt - siehe letzte Kritiken unten -, fällt es besonders auf, wenn etwas unter jedem Niveau liegt: das Ballett der Wiener Staats- und Volksoper hat mit Ben van Cauwenberghs Tanzhommage an Queen wieder einmal den Vogel abgeschossen. Diese Produktion reiht sich in die Flops "Ballettgala" und "Cavallari-Tschaikowski Impressionen" ein. Nämlich, indem der belgische Choreograph und Dmitrij Simkin (Bühne, Konzept, Video) genau das bis zur Spitze der Unerträglichkeit herausgearbeitet haben, was bereits bei der Popgruppe Queen (Freddie Mercury) als prinzipielle Geschmacklosigkeit angelegt ist: die Vereinigung von Rock und Pathos. Und das alles verpackt in altbackene, verstaubte Atmosphäre. - Etwas fürs Schmuddelgefühl.

So wie Mercury in unermeßlicher Hysterien-Theatralität - wozu keine Frau jemals imstande wäre - die Rocksongs sang, so tanzt hier das Ballett zu den Queen-Songs: da trippeln zum Beat gekünstelte Ballerinas, schweben zu Drums Jazztanz-Gruppen - jede körpergeerdete Britney Spears oder Jennifer Lopez wüßte besser, wie das umzusetzen ist, damit es wirkt, groovt und "stimmt". Selbst Boris Eifman wüßte es mit seiner Liebe zur platten Direktheit besser.

So wie Mercury in seinen Frauenkleidchen staubsaugte, so verkleidet sich mancher travestierende Tänzer. Das ist in einer Szene für zwei Minuten einigermaßen lustig. - Denn man sucht als Zuschauer ja stets innerhalb des Grauens verzweifelt nach etwas halbwegs Erträglichem, damit es doch zu überstehen sei. Die anderen acht Minuten in den zwei grindigen Stunden machen kurze Duette des leidenschaftlichen Paars András Lukács und Karina Sarkissova, und von András Lukács und Daniil Simkin aus, sowie eine Radfahr-Nummer zu I Want To Ride My Bycicle, wo ein extra gedrehtes Video mit einer Realfahrradszene überschnitten wird. Dagmar Kronberger, Irina Tsymbal und Mihail Sosnovschi sowie Emilia Baranowicz fallen durch ihr Bewegungscharisma - wie immer - auf. Das reicht aber bei Gott nicht, um an dieser Unästhetik und dramaturgischen Unreflektiertheit auch nur irgendetwas zu entschuldigen. e.o.


DAS URTEIL NOCH SCHRECKLICHER ALS ES QUEEN JEMALS WAR. WEDER RETROCHIC, NOCH ALS TANZ-INTERPRETATION ZEITGEMÄSS.

BALLETT Tanzhommage an Queen * Von: Ben van Cauwenbergh * Bühne, Konzept, Video: Dmitrij Simkin * Mit: Das Ballett der Staats- und Volksoper * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 07.02+27.06.2008: 20h + 17.02.2008: 18h + 14., 24.4.+22.6.2008: 19h * 29.2.2008: 19h30, siehe www.volksoper.at

Thursday, March 01, 2007

OPER: STEIN WINGE LÄSST ANDRÉ PREVIN IN "A STREETCAR NAMED DESIRE" DEN VORTRITT


Sixpack-Prolo Stanley Kowalski (Teddy Tahu Rhodes) nimmt sich seine Frau Stella (Mary Mills) vor seinem Pokerfreund Steve Hubbell (Erik Arman) fast genauso brutal ...

...wie deren Schwester Blanche (Janice Watson): "Das wollten wir doch von Anfang an", schreit er. - Bei ihm schaut´s immer wie eine Vergewaltigung aus, wenn er den "Nicht-Frauen" des Tennessee Williams den "Mann" aus- und durch sich eintreibt. Fotos © Rolf Bock













THEATER AN DER WIEN DIESE JAZZ-MODERNE ENDSTATION SEHNSUCHT IST GEGENÜBER DER GÄNGIGEN NEUEN ODER KLASSISCHEN OPER ERFRISCHEND - STEIN WINGE HAT SICH ZUGUNSTEN DER EROTISCHEN HOMO-VERSTRICKUNGEN IM TENNESSEE WILLIAMS-STOFF ZURÜCK GEHALTEN

Tennessee Williams - da denkt man an die Pflichtlektüre der Schulzeit. An den Schreiber, der in allen seinen Figuren seine Homosexualität und deren gesellschaftliche Ablehnung verpackte. - Was man nun als Schüler nicht verstand, da man ja nicht einmal die gewöhnlichen "Erwachsenengefühle" nachvollziehen konnte, bekommt nach ein, zwei Jahrzehnten Leben deutlichere Züge. Und wenn jemand an den Figuren nicht allzu viel herumdoktort - auch nicht mittels Inszenierungsstil -, dann werden jene Züge tatsächlich klar. So geschehen in der österreichischen Erstaufführung von Endstation Sehnsucht am Theater an der Wien unter Norweger Stein Winge, der auf einer ziemlich leeren Bühne mit ein paar losen Möbeln für Schlaf-/ Wohnzimmer sowie Küche ohne Wände spielen läßt, als dauerpräsentem Schauplatz. Der einzige Luxus, den sich die Inszenierung leistet, ist das Drehen der Bühne, was aber für etwas steht: für das Irre-werden der Blanche DuBois.

Jede Figur - Homosexuellen-Klischees

"Regie" und Charakterinterpretation stecken dafür in der Musik - denn hier handelt es sich um das Theaterstück, das als Oper (Libretto Philip Littell) 1998 vertont wurde. Wenn sie auch weniger tiefenpsychologisch, als handlungsunterstreichend komponiert ist: Und das, obwohl André Previn durchgehende Rhythmik und komplexe Jazz-Arrangements mit typisch dramatischen Bläser-Passagen innerhalb einer zeitgenössisch-atonalen und melodischen Orchestersymphonie geschaffen hat, wobei einige Musiker der Wiener Symphoniker ihre Soli - wie etwa der für gewöhnlich selten in Orchestern solierende Kontrabaß - tatsächlich über längere Zeit "alleine" spielen. Die dramatischen und lyrischen Arien drücken dagegen die einzelnen, klar gezeichneten Charaktere in ihrem Agieren empfindsam und kammermusikalisch aus. Ja, viele Melodien sind regelrecht romantisch, sodass im Kontrast zu Atonalität und Kälte der Geschichte ein schmerzhaft doppelbödiges Flair aufkommt.

Diese Atmosphäre geht von der Figur der Blanche DuBois aus, die sich einerseits in der Handlung von einem mondänen Glamourvamp zu einer tugendhaften Dame bekehren will, indem sie den sensiblen Harold Mitchell aus einfachen Verhältnissen heiratet. Andererseits legt sie als "Frau" männlich-eigenständiges Gebaren an den Tag, sie trinkt Whiskey und flirtet mit jedem Mann, um bestätigt zu bekommen, dass sie noch "ankommt". Dass sie sogar nymphomanisch veranlagt ist, stellt sich im Zuge des Geschehens heraus: Nach einer Ehe mit einem Homosexuellen, den sie durch ihre aggressive Konfrontation diesbezüglich in den Selbstmord getrieben hatte, verführte sie in ihrem Beruf als Lehrerin einen minderjährigen Jungen. - Lauter Anspielungen also, auf die gängige sexuelle Lust schwuler Männer: die Lust auf Schönheit und Zartheit, ewige Jugend bis zur Pädophilie sowie wechselnde Partner.

Aus Blanches Hochzeit wird allerdings nichts. Schuld daran ist der Ehemann ihrer Schwester Stella, Stanley Kowalski, ein Prolo-Macho sondergleichen, der seine schwangere, ihm völlig verfallene Frau schlägt. Tennessee Williams dachte sich selbst auf eine Bemerkung Thornton Wilders hin, der es in dem Werk als unglückliches Mißverständnis ansah, dass eine Dame wie "Stella" niemals so einen Proleten wie Stanley heiraten könne: "Dieser Typ (damit meinte er Wilder) ist nie zu einem guten Fick gekommen." Tatsächlich geht es aber um die Beziehung von Stanley und Blanche, zwischen denen die größte Erotik herrscht, da ein Machtkampf ausgetragen wird. Stanley fühlt sich von der "Männlichkeit" Blanches so angezogen, dass er sie "entmannen" muss: Er vergewaltigt sie. - Dieser kalt-distanzierte Sex- und Machttrieb also auch ein typisches Homosexuellen-Klischee.

Jede Figur - blendend besetzt

All diese sexuellen Querverstrickungen hinter den offiziellen Paarkonstellationen, unterstreichen die blendend besetzten Darsteller durch ihre Körperpräsenz: Stanley ist der große Sixpack-Athlet Teddy Tahu Rhodes, der nicht nur im Spiel seinen festen nackten Oberkörper - und Hintern - gerne zu zeigen scheint. Blanche ist mit Janice Watson eine recht korpulente Frau und hat mit attraktiven langen Beinen die Größe eines stattlichen Mannes. Stella ist die zierlich-kleine Mary Mills (mit einer sehr schönen Stimme), und Mitch ist mit Simon O´Neill ein molliger Nicht-Sportler, dem man die sensible Konnotation abnimmt, die die männlich-schwule Blanche zur innerlichen Heilung sucht. Mitch sagt allerdings - wieder typisch für enge Mutter-Sohn-Bindungen von Homosexuellen: "Sie sind nicht rein genug, um mit meiner Mutter im selben Haus zu wohnen." - Sie alle, einschließlich der Nebenrollen-Interpreten, singen und spielen ausgesprochen gut. - Diese Klischee-Charakterzeichnungen sowie die pointiert erlebt gespielte Musik des Orchesters, dirigiert von Sian Edwards, sind die stärksten Eindrücke der musikalisch-erfrischenden und doch psychisch-dunklen modernen Oper. e.o./r.r.


DAS URTEIL ANDRÉ PREVIN MAG SICH ALS BISHER AUSSCHLIESSLICHER FILMMUSIK- UND MUSICAL-KOMPONIST DEN VORWURF VON "HOLLYWOODESKEN" IN SEINER ERSTEN OPER GEFALLEN LASSEN MÜSSEN - GERADE DIE ZEIGEN ABER - RHYTHMISCH UNTERHALTEND - DIE ZERSTÖRTE ROMANTIK HINTER DER "GERADLINIGEN" HANDLUNGSFASSADE: VERSTECKTE HOMOSEXUELLEN-EROTIK EBEN.

OPER A Streetcar Named Desire / Endstation Sehnsucht * Von: André Previn nach Tennessee Williams * Regie: Stein Winge * Dirigat: Sian Edwards * Mit: Janice Watson, Teddy Tahu Rhodes, Mary Mills, Simon O´Neill, u.a. * Mit: Wiener Symphoniker * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 3.,6.,9.3.2007: 19h30