Tuesday, March 20, 2007

THEATER: ANTOINE UITDEHAAG UND DIE TAUBE IN "GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG"






Elisabeth (Patrycia Ziolkowska) arbeitet als Unterwäsche- Vertreterin kaum zufriedenstellend,
da sie sich mit einer "computerhaften" Puppe zwar identifizieren sollte, es aber nicht kann - lange behält sie den Job daher nicht;
Fotos:
© Gabriela Brandenstein


Als Elisabeth den Polizisten Alfons (Till Firit) kennen lernt, scheint ihr Zustand etwas besser zu werden - obwohl "ihr Geheimnis" die Beziehung überschattet...

... sodass Alfons sich abwenden wird, und Elisabeth ins Wasser springt. - Bevor sie stirbt, kommt sie noch mal zur Wache: zu Alfons.

Der Präparator (Rainer Frieb) läßt eine hoffungsvolle Taube steigen - wie es das Bürokraten- und Menschenopfer Elisabeth war.


VOLKSTHEATER ANTOINE UITDEHAAG BRINGT POESIE UND ELEGANZ INS HAUS - TROTZ BITTERER DOPPELBÖDIGKEIT: IN ÖDÖN VON HORVÁTHS GLAUBE LIEBE HOFFNUNG

Was der Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts lebende Autor und Diplomatensohn Ödon von Horvath schonungslos realistisch und desillusionierend ausstellte, war das von Sentimentalität, Kitsch, Gier, Lieblosigkeit, Egoismus und Brutalität geprägte Milieu der "kleinen Leute". So verwundert doch anfangs das geziert und gestisch aufgesetzte Gehabe der Elisabeth - Schauspielerin Patrycia Ziolkowska - im Stück Glaube, Liebe Hoffnung am Volkstheater. Noch dazu, da das Bühnenbild vom - mit renommierten Choreografen wie Jiri Kylián zusammenarbeitenden - Tom Schenk elegant designt aus einer Bühne in der Bühne besteht, einem gekünstelten einseitig offenen Kasten im offenen Raum. Und doch verhilft diese Irritation gerade deshalb zum Verständnis des Nicht-Verstanden-Werdens der in dieser Gesellschaftsschicht Unangepaßten. Das wird spätestens nach zwanzig Minuten klar, wobei kurze Tableaux Vivants mit symbolhaften Körperbildern als Übergänge zwischen den Szenenwechseln dienen. Aber auch, weil der Untertitel zum Stück Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern die überhöhte formale Ästhetisierung als konzeptuelles Prinzip vorwegnimmt.

Selbstmord: Konsequenz in kleinbürgerlichem System

Dass diese Elisabeth so "abgehoben" ist, steht - wobei ihrem wörtlich Gesagten, trotz klarer Aussprache, lange kaum zu folgen ist -, nonverbal inhaltlich dafür, dass die Heldin von Beginn an psychisch angeschlagen ist. Kreidet das die kleinbürgerliche Gesellschaft als Negativum an, wertet es Regisseur Antoine Uitdehaag ins ironische Positiv um. Sodass die mit Justiz und Behörden hadernde Elisabeth fürs Publikum das anmutig-schöne, sensible Opfer ist, für die agierenden Polizisten und Kleinbürger die zu zerstörende "Kriminelle". Und das nur, weil sie einmal ohne Wandergewerbeschaft gearbeitet hat und seitdem vorbestraft ist. So versucht sie, zu Lebzeiten ihren Körper an die Anatomiemedizin zu verkaufen, wobei ihr der Präparator (überzeugend: Rainer Frieb) lediglich Geld borgt, das sie sogleich für die Bezahlung der Geldstrafe verwendet, was wiederum den Präparator erzürnt. Ihr vom Pech getränktes Schicksal scheint sich für Elisabeth in Richtung Sonnenseite zu wenden, als sie dem Polizisten Alfons Klostermeyer begegnet: Mit ihm ist eine Liebesbeziehung möglich. Ab nun wird Elisabeths Spiel lebendiger, doch die Apathie holt sie bald wieder ein: Nachdem Polizistenkollege Alexander Strobele Alfons hinterhältig pflichtbewußt von "der Vorbestraften" abrät, da sie ihn die Karriere kosten könnte. Für Elisabeth scheint die einzige Lösung zu sein: ins Wasser zu gehen.

Poesie und Schönheit: Die Macken machen sie wertvoll

Was an der Inszenierung so berührt, sind die Worte des sich vom Abnormen angezogenen, aber sich nicht dazu bekennen könnenden Alfons, überzeugend gespielt von Till Firit: Elisabeths Aura erinnert ihn an seine verlorene (tote) Liebe. Andererseits der Versuch Elisabeths, Alfons vor ihrer Schattenseite zu schützen, indem sie ihm von der Vorstrafe nichts erzählt. Aus diesen inneren Konflikten heraus, dramatisieren beide Schauspieler ihr Spiel immer mehr. Patrycia Ziolkowska verliert, trotz ihres noch immer anmutigen Äußeren, in der Sterbeszene die Manieriertheit; Till Firit intensiviert sein haltungsfeiges Dasein - wer ihn als Fritz in Liebelei und jetzt in dieser Rolle gesehen hat, wird in Zukunft weiterhin auf seine Schauspielkunst achten. Denn jetzt ist klar: er repräsentiert eine ungemein spannende Abart des klassischen Helden: nämlich mit interessanten, kleinen Fehlern innerhalb des Edlen, angefangen vom Äußeren bis zum beklemmenden Agieren. - Schließlich hinterlassen aber auch die kleinen formalen Details in Glaube, Liebe, Hoffnung angenehme Eindrücke: Tauben, die für die Hoffnung auf eine allgemein bewußtere Wahrnehmung gegenüber "Tauben" wie Elisabeth stehen, indem sie am Ende choreografisch abgerichtet über die Bühne fliegen; Regen, der fällt. Die Eleganz hält somit Einzug ins Volkstheater. - Nur die Musik von Het Paleis van Boem ist in diesem Stück ein wenig sehr schlecht. e.o.


DAS URTEIL DAS VOLKSTHEATER HAT GESCHMACK ENTWICKELT: SCHÖNE HAUPTDARSTELLER, DIE VON GESTISCHER ELEGANZ HERAUS IN IHREN ROLLEN WACHSEN, EIN STÜCK IN TREFFEND POETISCHER FORM - DIE DER INHALTLICHEN ANKLAGE IRONISCH BITTER ENTGEGENLÄUFT. ERGO: HÜBSCH MIT ETWAS SCHMUTZ.

THEATER Glaube, Liebe, Hoffnung * Von: Ödön von Horvath * Regie: Antoine Uitdehaag * Mit: Patrycia Ziolkowska, Till Firit, Rainer Frieb, Vera Borek, Beatrice Frey, Alexander Strobele, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 22., 30., 31.3.; 1., 2., 11.,12.,17., 18., 23.4.07: 19h30

No comments: