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Thursday, March 27, 2008

MUSIK: WENDE DER INTELLEKT-JUDEN DANIEL KAHN & GEOFF BERNER ZU YURIY GURZHYS HIRNARMER RUSSENDISKO

Rabe, 2007 (Foto © Elfi Oberhuber)

Was,
wenn der schwarze Rabe nicht schwarz ist, sondern rot, grün, blau,
wenn er nicht christlich böse wäre,
nur weise, wie in alter griechischer Mythologie,
wenn seine gebrochene Zunge tönt,
als wäre sie neu,
als wäre sie wie sie ist,
ungebrochen,
kein Jude?
Als wäre sie nur ein Mensch,
wie du und ich,
wie ich and you´,
wie ich und Jud´.
(e.o.)


Daniel Kahn hat das Tiersymbol des Raben zum Leitbild seiner Gruppe The Painted Bird erkoren: Was, wenn der Rabe nicht schwarz = böse gelte, sondern bunt - und damit "historisch befreit" - wäre, so wie "der Jude" ...

Der intellektuelle jüdische US-Songwriter aus Detroit vereint Punk-Cabaret und schmerzliche Nachdenklichkeit in seiner Musik: für ihn sollten Zungen ungebrochen, Vögel (Raben) frei sein ...

Wenn Juden so ausdrucksstark-klug wie Kahn, so schön wie Bassist Michael Tuttle, und so virtuos wie Beide sind, dann müßte das eigentlich die schärfste Menschenart sein ...

... wobei auch der punkstarke - den besoffenen Rabbi spielende - Geoff Berner nicht zu verachten ist, der selbstbewußt selbstironisch gegenüber dem Judentum textet und singt. (Konzert-Fotos © cinema-paradiso.at)

















Leider endete diese Intellektuellen-Energie in der Russendisko - ein Hype, der symptomatisch für diese Gesellschaft ist, wo der Stumpfsinn alles Kluge einsackelt, und die Fantasie vom klugen Juden in die hirntote Realität des ost-neureichen Kapitalismus gekehrt wird.



WUK - AKKORDEONFESTIVAL DAS PUNK-CABARET VON DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD BRACHTE MIT DEM VERFREMDUNGSKLEZMER - ENTERTAINER GEOFF BERNER JÜDISCH-INTELLEKTUELLES FLAIR NACH WIEN. DAS ENDETE IN DER RUSSENDISKO VON YURIY GURZHY

Was hat das Sprachrohr zu bedeuten, das Daniel Kahn hier im Wiener WUK beim Auftritt vor dem Gesicht hält? Steht es für den menschlichen Schnabel? Den Schnabel eines Raben? So wird es sein, bei Daniel Kahn & The Painted Bird, übersetzt "der angemalte Vogel". Er muß einer der Vögel aus Jerzy Kosinskis Groteskennovelle The Painted Bird sein, die nach einem Amokflug in den Himmel plötzlich als angemalte Raben auf die frisch-gepflügte Erde herabstürzen. Das parabelhafte Bild besagt mit seinen drei kleinen Worten, worum es den Juden in ihrem historischen Familienbewußtsein geht, woran sie bis heute unaufhörlich arbeiten. Am Wissen um die Geschichte des Volkes, wo gleichzeitig die Sehnsucht nach Befreiung von dieser Wissenslast mitschwingt, durch neu zu schaffende Komponenten und Konnotationen oder Weglassen Bestehender. So, dass eben aus The Broken Tongue, aus der Gebrochenen Zunge - wie die letzte CD mit gleichem Covertitel der Detroit-Berliner Klezmerverfremdungsband lautet - eine umso zungenfertigere (sprachlich anerkanntere) wird. Doch wie ironisch es das Leben nun mal meint, gewinnt dieses "leidende" Volk seine massenbewegendste Eloquenz ausgerechnet aus seiner erlittenen "Geschichte". Nichts erreicht die artistische Spitze mehr als Lieder über Polen, Auschwitz, Birkenau, ...

Birkenau - 7.Titel aus der CD The Broken Tongue
(Text und Musik von Daniel Kahn,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)

Das Klavier so schnell, es spielt verrückt,
als wüßten die Tasten nicht
wohin, auf-ab, auf-ab, hin-her;
Die hartnäckige Geige hält ihren Ton zerrissen auf einer Höhe,
bis das schwach-klare Akkordeon beides erlöst.

Da erklingt eine balkanesk-östliche Melancholie,
ihre langatmig gespielte kurze Melodie verlangt nach Antwort,
jener in Daniel Kahns Trauer:
"Unten am Bach, wo die dünnen Birken stehn,
die Vögel mit ihren Blechstimmen in den Bäumen,
sie singen sogar noch, als die Nummern aufkommen,
als wehe darüber nichts als der Wind."

Tango-prägnant fahren Cello-Klavier fort,
"Ich war ein Lamm für den Metzger, zum Häuten",
schluchzt kaum hörbar das Akkordeon,
"ohne Zeugen in der Dunkelheit,
für jedes Wimmern & für jedes Grinsen,
während all die Nummern unaufhörlich einmarschieren.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer;
eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als mir.
Hier ist die Moral, denn die Zeit währt nicht lang;
die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaahhh..."
Angestauter Schmerz strömt durch die Violine,
leise fordert das hohe Klavier nach seinem Recht, ...

... um endlich laut und tief entschlossen vorzuwerfen:
"Der Tag, er ist vorüber & die Dämmerung ist nahe,
Die Sonne ist bedeckt durch ein Überwachungsauge
& die Wolken sind befleckt mit einer verhängnisvollen Farbe,
als hätte der Metzger sein Messer am Himmel abgewischt."
Darauf das erstarkte Akkordeon:
"Die kalten Eisenbuchstaben lauten "ARBEIT MACHT FREI"
& das erscheint wie eine Lüge, doch mag es wohl so sein,
wenn deine Arbeit ein Versuch zu vergessen ist, wie man weint
& und deine Freiheit in einer Laugengrube zu finden ist.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer,
Eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als dir.
So erkläre mir die Moral, denn die Zeit ist nicht lang,
& die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaaaahhhhhh ..."



















Auschwitz - Birkenau, 2005 (Foto © Elfi Oberhuber)

Die edle Violine.
Das Klavier stirbt leise;
das Wunderschöne fließt über,
in eine neu zusammenhängende Welt,
in die Violinenmelodie von

8. Unter Di Khurves Fun Poyln
Unter den Ruinen von Polen
(jiddischer Text von Itsik Manger music: S. Beresovsky)
Kahn singt schmerzlich trauernd im Duett mit Niki Jacobs,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)


Unter den Ruinen von Polen, da liegt ein Kopf mit blondem Haar.
Der Kopf & auch meine Stadt, beides liegt in Ruinen da(r).
Über den Ruinen von Polen füllt der Himmel die Häuser mit Schnee
Der blonde Kopf meines Mädchens füllt meinen Kopf mit Weh.
Mein Weh rinnt über den Schreibtisch & schreibt einen langen Brief an sie
Tränen fallen auf das Blatt
Sind echt als würden die Worte verschwimmen.
Über den Ruinen von Polen, hinauf in die Wolken des Weiß,
da fliegt in ruhigen Flügelschlägen, ein großer, schwarzer, trauriger Rabe
Es ist der große, schwarze Trauerrabe,
(Wie mein Herz in diesem Vogel lebt!)
Er treibt seine Flügel fortan weiter, während er tief trauernd sein Klagelied fliegt



















Ruine in Polen, 2006 (Foto © Elfi Oberhuber)

Instrumentales Zwischenspiel wie von Chopin,
voll von Schmerz am Verlust, Sehnsucht nach der Verlorenen,
sie antwortet von weit her mit blonder Stimme aus dem Engelreich.
Da kommt aus der Gegenrichtung
der atonale Schlußpunktakkord vom Klavier,
die Kurzschlußreaktion vom allein Verbliebenen auf der ewigen Welt,
sie füllt den Raum mit der unverzeihlichen Todesanklage ...


Birkenau als Souvenir, Intellektuell-jüdische Aura im Live-Konzert von Daniel Kahn

Birkenau und Unter den Ruinen von Polen waren allerdings keine Lieder des Konzerts, sondern lediglich Souvenire für den Begeisterten zu Haus. Und doch muss man sich fragen, wie jene(r) überhaupt so weit kommt, sich so ein Souvenir erstehen zu wollen. Wobei man mit der CD direkt nach dem Konzert sogar Enttäuschung verspüren könnte, da sie hinsichtlich theatraler Ausdruckskraft und Energie doch um vieles schwächer ist als ein Daniel Kahn mit Band live. Vielleicht liegt es an den Rabenmasken, die zahlreich auf der Bühne stehen, die die ungemein intelligente Aura auf die Musiker abstrahlen, wo einer - Bassspieler Michael Tuttle - darüber hinaus auch noch ein wahres Bild von einem Mann ist ... Diese insgesamt außergewöhnlich schöne Intelligenz sprüht so attraktiv ins Publikum, dass man den Erstbesten neben sich, wegen seiner schwarzen Locken und würdevoll gebogenen Nase "als anziehenden Juden" festzustellen glaubt, während jener besonnen, mit auf seinem Handballen gestütztem Denkerkinn die jiddisch-amerikanischen Worte Kahns zu reflektieren scheint.

Kahns Worte handeln vom Brechtschen, durch den Lautsprecher eintrichternd geschrienen "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", erstrecken sich über eine unmögliche Liebe von einem Juden zu einer Nicht-Jüdin ("Ich kann Dir mein Leben nicht vergessn, weil ich hab Dich lieb"), über das wissenschaftlich-analysierte Gespür einer witzig schleppend gesungenen Menschenkenntnis ("Ein bequemer Parasit befällt die Maus, die die Katze frißt, deren Geist dann irgendwann die Kuh befällt ...") mit leichter Pointe, bis zur Kriegssituation in Israel mit Friedenstraum in Palästina, das durch ein gekonnt eingebettetes Solo-Programm von Tuttle am Kontrabass, Bert Hildebrandt an der Klarinette und Hampus Melin am Schlagzeug zu einem mitreißenden Ende findet, sodass man sich zu einer Schwärmerei hinreißen lassen wird, wie: "Wenn das das Judentum ausmacht, dann ist das die schärfste Rasse, die es gibt!" Auch wenn Kahn erzählt, in Graz gefragt worden zu sein: "Sind Sie ein echter Jude?" - Worauf er meinte: "Ja, ich bin schon Jude. Aber echt?"

Punkiger Intelligenz-Porno von Geoff Berner

Man schwärmt, auch weil Amerikaner Geoff Berner zwischendurch noch eine weitere Facette dieser selbstbeherrscht-reflexiven Gut-Moral-Menschen an den Tag zu legen vermag, selbst wenn er dadurch als Persönlichkeit labiler wirkt als Kahn. Wo die Selbstkritik auf das eigene Volk bei Kahn stets spielerisch und neckend bleibt, wird Berner sogar ausfallend. So bezeichnet er sich selbst als Whiskey-Rabbi, unter dessen Titel er sein bekanntestes Lied in Rock-Punk-Klezmer-Manier geschrieben hat. Mit seiner sehr schönen, helleren und trotzigeren Stimme als Kahn, spielt er bei seinem Auftritt zunächst selbst den Mikro-umwerfenden Betrunkenen und fordert seinen Kollegen auf, inzwischen einen Witz zu erzählen, bis er sich wieder gefangen hätte. Kahn ist schlagfertig genug, um darauf einzugehen: "Ein Jude geht zum Arzt, der ihm sagt: "Sie haben nur noch drei Wochen zu leben." Darauf der Jude: "Ja, aber wovon?"

Darauf legt Berner rockig "besoffen" los, um überzeugend revolutionär festzustellen: "Ich bleib betrunken und arbeitslos!", und später zu behaupten, "Ich bin mit `Maschke´ (akustisch-jiddisch Whiskey) auf die Welt gekommen", worauf Kahn trocken, mit bitter-schmerzlichem Nachgeschmack beifügt: "Das erinnert mich an meine Beschneidung. Für ein Kind ist da `Maschke´ leider nicht erlaubt." - Eine Ritualkritik gegenüber der eigenen Sippe, die durchaus sympathisch kommt.

Dann legt Berner einen Song gegen das ausgeübte Unrecht der Reichen hin, The Rich Are Going To Move To The High Ground, mit Schreien besingt er den Lucky Goddam Jew, sodass man letztenendes nicht Angst um reiche Juden hat, sondern nur noch um ihn. Diesen Mann umgibt bei aller künstlerischen Fertigkeit etwas Untergangartiges, sodass man mit ihm bestimmt nicht sein Leben, aber immerhin seine Gesellschaft teilen will. Und doch tangiert der wunde Punkt eines Kahn noch stärker. Schon weil Berners "Stupid, Stupid!"-Gerufe zu Krieg und Hitler samt Krieg-Kollaps, übertrieben agitativ ist. Aber der Mann ist nun mal jung, demnach echt punkgetrieben. Umso besser kommt seine Energie bei The Wedding Dance of the Widow Bride, worin er als Musiker die Braut zum Weinen bringt ("Weep, bride, weep!"), da ihr Bräutigam ein Sozialmarxist sei, der die Ehe für Prostitution halte: "Deshalb mußt Du ihn ficken, nur damit er die Moral einhält." Und so haben die Musiker die Braut eben depressiv einzustimmen, um sich an ihr am Männerarsch zu erfreuen. Da bleibt nur irritiert zu fragen: Ist das nun männer- oder frauenfeindlich? - Als Abart eines us-jüdisch-gebildeten Intelligenz-Porno ist es aber auf jeden Fall spannend!

Das jähe Erwachen in der Russendisko von Yuriy Gurzhy

Voller geistiger Erregung platzieren wir uns nach diesen aufregend-anspruchsvollen, erdigen zwei Klezmer-Abstraktions- und Ausdrucksvirtuosen in schwarzen Denkeranzügen ein weiteres Mal im Publikum neben unserem "nachdenklichen jüdischen Lockenkopf", um auf das ukrainisch-ungarisch-berlinerische Rotfront - Emigrantski Raggamuffin Kollektiv zu warten. Und da plötzlich, mit erstem akustischem Ertönen, entpuppt sich der anregende "Intelligenzschwarm" neben uns als enttäuschende Illusion: seine geistige Haltung eines begehrenswerten jüdisch Intellektuellen verschwindet im geistlosen Gerüttle eines hinsichtich Bewegungsästhetik reflexionsohnmächtigen West-Russen. Hier schüttelt sich ein nichtsdenkender, überarbeiteter Antibildungsbürger den Alltagsfrust vom Leib. - So schnell verpufft ein Wunschsubjekt zur armselig objekthaften Projektionsfläche. Und die Musik tut das Übrige, um ihm dabei zu "helfen". Dabei soll es sich beim Erfinder dieser sogenannten Russendisko doch um eine sprichwörtliche Koryphäe handeln: DJ Yuriy Gurzhy hat den trashigen Stilmix aus Boney M., The Clash, Taraf De Haidouks und The Upsetters zwecks "Abtanzen" angeblich vor dem "österreichischen Pendant" Russkaja, das kürzlich seine erfolgreiche Trash-CD präsentierte, als großen, neuen Musiktrend eingeleitet. Statt Techno tanzt man jetzt eben Russendisko, sie funktioniert wie Bucovina und Funk mit Takt-Betonung auf die Eins - weshalb ihr Drive so einfährt. Und obwohl in dieser neun- bis elfköpfigen Besetzung sogar Daniel Kahn - jetzt in durchschnittsmenschlichem T-Shirt - mitspielt, enthält diese live-gegebene Hiphop-Reggea-Schlager-Balkan-Klezmer-Remixerei leider keinerlei intellektuelles Flair (wie es im Funk durchaus noch vorhanden ist). Auffälligerweise läßt sich dafür jener Menschenschlag integrieren, der bereits in den 80-ern die von den Intellektuellen-Tänzern verhaßten "Tussi-Tänzer" in den Reißer- und Hausfrauendiscos ausmachte. Deren Stil lautet nach wie vor: Ein Bein neben das andere setzen und mit Kopf oder Schulter hin und her wippen, oder eben nach unten schütteln wie unser "hirnloser Neureich-Russe" (dem wir nicht wagen, den "hirnlosen Juden" unterzujubeln, und der als herkömmlicher Ost-Russe eigentlich noch zur gebildeten Lesekultur-Gesellschaft zählen könnte.) - Wir verließen diesen esprit-armen Musikbrei daher nach fünf Nummern und erfreuten uns Tage später nachhaltig an der CD The Broken Tongue von Daniel Kahn & The Painted Bird - siehe reflexive Übersetzung oben ... e.o./r.r.

KONZERT ZUM NACHHÖREN auf:
http://emap.fm/akkordeonfestival.html



DAS URTEIL EINE HOCHSTEHENDE, MUSIKTHEATRALE EXKLUSIV-DARBIETUNG JÜDISCHEN INTELLEKTS ENDETE IM KOPFLOSEN RUSSENDISKO-GESCHÜTTLE - UND DENNOCH BLIEB DIESES KONZERT AM NACHHALTIGSTEN VOM GANZEN AKKORDEONFESTIVAL IN ERINNERUNG: WEIL ES ZEIGT, WIE SICH DIE GEISTIGE ELITE IN DIESER GESELLSCHAFT DER DUMMHEIT ZU UNTERWERFEN HAT. - STARKE CHARAKTERE SOLLTEN AUSBRECHEN UND SICH DIE ZEIT NEHMEN, UM SICH DEM NIVEAU ZUZUWENDEN. ES LOHNT SICH!

KONZERT Geoff Berner * Ort: Arena * Zeit: 10.04.08 * Geoff-Berner-Videos * link: www.geoffberner.com/vidindex.htm
KONZERT Daniel Kahn bzw. Yuriy Gurzhy kommen wieder zum 5th KlezMoreFestival Vienna 2008 * Zeit: 8.-23.11.2008 * link: www.klezmore-vienna.at * Gruppen-link: www.paintedbird.net * link: www.myspace.com/thepaintedbird

Thematische Nähe
KONZERT "Lieder am Rand“ KRAMER-VERTONUNGEN * Von und mit: Hans-Eckardt Wenzel - In Kramers „Heimatland“ hat sich kein Musiker je so intensiv mit diesen Gedichten beschäftigt wie der Künstler Hans-Eckardt Wenzel aus Ostvorpommern. * Ort: Kirche Gaußplatz * Zeit: 1.4.2008: 19h30

Wednesday, March 05, 2008

MUSIK: MICHELLE SHOCKED, DIE URMUTTER ALLER SINGER SONGWRITER WAR DA





















Weniger Schockerin, als echt eindrucksvolle, klar US-verwurzelte Frau mit großer Stimme, großem Ausdruck und starkem Gitarrenspiel ...


Sie läßt sich nicht fremd-bestimmen und bringt ihre CD deshalb unter eigenem Label heraus. - Wenn Österreich dazu ein Pendant schaffen könnte, wären wir vor dem US-Markt gerettet. - Aber deswegen bitte nicht einfach US-amerikanisch kopieren!!!


WUK DIE AMERIKANISCHE "SCHOCKFRAU" MICHELLE SHOCKED GASTIERTE IN WIEN UND IST DOCH MEHR PREDIGENDE URMUTTER ALLER GROSSEN SÄNGERINNEN ALS FEMINISTISCHE SCHOCKERIN

Gospel-LeadsängerIN, Anti-FolkerIN, Blues-&-SoulerIN, PunkerIN, ausgewachsene RockGÖRE - diese Mischung knallt einem bei Michelle Shocked und ihrer E-Gitarre-spielenden Supporterin mit volltätowierten Armen im WUK entgegen. Bei der amerikanischen Singer SongwriterIN darf das geschlechtsspezifische Anhängsel "-in" nicht fehlen, denn sie gehört mit Geburtsdatum 24.2.1962 zu jenen Frauen, die sich nur mit aggressivem Feminismus Aufmerksamkeit erringen konnten. Tritt eine heute bis Vierzigjährige so auf, wird sie damit kaum punkten, es sei denn, in den Jahrgängen darüber. - So viel, nebenbei bemerkt, zum Sympathiewert von und unter Frauen, der sich daraus speist, ob er sich von einer identitätskonformen Authentizität oder einem "So-tun-als-ob" ableiten läßt. Bei dieser Frau, Michelle Shocked, ist das -IN echt und damit durch und durch sympathisch. Ihr militantes Credo hat sie zum "Womanifesto" verfaßt, womit sie definitiv auch etwas von jenen musikalischen Emanzen hat, die, wenn sie schon nicht zum Lesbentum neigen, dann zumindest den Frauenklüngel verfechten. Das zieht bestenfalls eine ganz spezifische musikalische Qualität nach sich: sie zeigt sich bei der gebürtigen Texanerin in der vollen Stimm- und Intonationsparallele zu Melissa Etheridge, in der machmal kopfstimmlich leisen und spitzensetzend jodel-schreihohen Ausdruckstärke ähnlich jener von Ani DiFranco und in der momentweisen Sensibilität einer Tracy Chapman. Sie alle mögen ihre Urahnin in Janis Joplin haben, der weißen Königin des Bluesrock, der Königin der afro-schwarz - us-weißen, männlich-weiblichen Energie. Die Männlichkeit liegt in der Bestimmtheit, im selbstbewußten Auftreten, die Weiblichkeit in der generellen Anteilnahme am Unrecht dieser Welt.

Viel-redende Menschen denken manchmal auch

Die explosive Mischung wird manchem Durchschnittsmenschen Angst einjagen, weil so eine Frau etwas Kompromißloses an den Tag legt, das "immer Recht zu haben hat". Michelle Shocked dämpft dieses unterschwellige Dogma mit dem Ge-Recht-igkeitsanliegen einer "Vorbeterin". Sie singt - die meiste Zeit - vor und läßt das Publikum antworten (nachsingen). Diese mitreißende Sommerurlaubs-Agitationspraxis - die man zuweilen auch auf Wahlreden wiederfindet - hat ihre Wurzeln im religiösen Gospel, dem Michelle Shocked die letzten Jahre huldigt. Er hat sie zu einem durch und durch positiven Menschen gemacht, der tatsächlich "immer Recht hat". Und das macht sie einmal mehr: sympathisch. Auch weil sie das Recht-haben mit einer gehörigen Portion Selbstironie, sprich mit Selbstanklage und -verteidigung garniert. Das ergibt den Charme der sicheren Unsicherheit, das tatsächliche Selbstbewußtsein dieser permanent redenden Frau: "Bla, bla, bla, bla", unterbricht sie ihren Redefluß und rät dem Publikum: "Wenn Sie jemand fragt, wie Michelle Shocked so sei, können Sie sagen, "she talks a lot"", aber eines sei nun mal klar: "Jemand, der seine Songs selber schreibt, muß automatisch viel reden. Andernfalls wäre er ja Britney Spears." Insofern definiert sich die studierte Literaturwissenschaftlerin als denkende Singer-Songwriterin, die der Welt etwas mitzuteilen hat - und dadurch wird es ihr mental wahrscheinlich auch besser gehen als einer Spears... Diese Frau ist nicht fremdbestimmt. Sie hält es daher für bemerkenswert, das Publikum darüber aufzuklären, dass sie sich ihrer Plattenfirma entledigte, sobald jene ihr verbieten wollte, in Richtung Gospel zu gehen. Ihre CDs, wie zuletzt ToHeavenURide, erscheinen mittlerweile unter ihrem eigenen Plattenlabel Mighty Sound, distribuiert über RED, nachdem sie sie eine zeitlang nur nach ihren Konzerten und übers Internet vertrieben hatte.

Heimatliebe voller Kritik

"Haben Sie hier noch die Todesstrafe?", gibt sie sich im Spiritual-Rock The Quality Of Mercy als Messias der Menschenrechte (auf www.michelleshocked.com als Hintergrundmusik zu hören). Und Little Billie handelt von einer Frau, die Billie Holiday liebte - über die Shocked meint: "Sie hat mehr Schreiber als Leser inspiriert."... -; jene Frau tanzt am Begräbnis ihres Sohnes zum Blues-Jazz der Freunde, nachdem er aufgrund politischer Bedingungen erschossen wurde. "Ein Politiker sagte zu mir nach dem Song: Ich hoffe, dass ich einmal so beerdigt werde." Darauf Shocked sarkastisch: "Ja, da haben Sie recht." Ähnlich polemisch ist die Tendenz des interpretierten Welthits über Vietnam, worin eine Mutter nach Kriegsschluß für ihren gefallenen Sohn Entschädigungsgeld bekommt, was im - als von der politischen Macht intendiert aufdeckenden - allseitsgültigen Omen endet: "Der Krieg ist nicht zuende, er hat gerade erst begonnen." Diese ewigen Bilder über die egoistische, amerikanische Weltmacht, die beinahe schon Nostalgiewert haben, lassen sich gerade wegen ihres emotionalen Effekts mit der zweiten großen Seite der Shocked verbinden: ihrer großen Heimatverbundenheit ausgehend vom Geburtsland Texas, was sie ebenfalls indirekt, schlagend und haltend, beschreibt. Come A Long Way ist ein Lied über das ewige Gefühl für Heimat in der Seele, egal, ob man den Schlüssel seines Hauses abgegeben hat - "nur die Liebe zu einem Menschen kann das entscheidend ändern" - unterbricht sich die improvisierende Sängerin im Live-Konzert selbst. Die generelle Liebe schildert sie anhand von Lebensräumen wie L.A. oder jenem ihrer Kindheit in Memories Of East-Texas mit den prägnanten Worten: "... das Leben der Texaner läuft in so engen Straßenkreisen; Sie konnten einem Mädchen keinen Platz schaffen, das den Ozean gesehen hat ... aber jenes Mädchen wäre ohne diese Straßen nie so weit gekommen ...". Auf ihre Beziehung, die nach 13 Jahren geschieden wurde, antwortet sie indessen makaber frohlockend mit Joy: "Eifersucht und Ärger, Gier und Heuchelei; die Jahreszeiten der menschlichen Natur können mir die Freude nicht nehmen!" - Dazu der trockene Nachsatz ins Publikum: "I wish you all love, I hope it kills you!"

Warum diese US-Sängerin Österreichern näher ist als Wiener Sänger

Was einen - die vielen Wiener und Österreicher, die sämtliche Songs der Shocked auswendig mitzusingen in der Lage sind - am meisten nachdenken läßt, ist allerdings die Frage: warum diese doch-so-amerikanische Frau, als Persönlichkeit einem Österreicher viel näher kommen kann, als jeder andere derzeitig gehypte Sänger im Wiener Dialekt? Ist es die energetische, archetypische Größe einer Ur-Mutter, ein Idol jenseits von einem selbst, das erst zu überzeugen vermag? - Wie auch immer, eines ist sicher: Jede österreichische Sängerin, die versucht, das - die afroamerikanische Urmutter - nachzumachen, wird scheitern, genauso, wie junge, österreichische Castingshow-MTV-Fakes immer nur ein billiger Abklatsch sein werden. So jemand wird allenfalls zur kopierten Marktmarke. Das Ziel muss die österreichische Machtmarke sein. Und die muss man sich erfinden: So, wie es etwa ein Falco als Mischung aus Oskar Werner und David Bowie schaffte. Und vielleicht gewinnt diese dann auch den Weltmarkt - so wie es die heimatverbundene Michelle Shocked geschafft hat. e.o./r.r.


DAS URTEIL WENN EINE FRAU ALS SÄNGERIN UND PERSÖNLICHKEIT ÜBERZEUGEN KANN, DANN IST ES MICHELLE SHOCKED - WANN UND WIE GIBT ES DAZU EIN ÖSTERREICH-PENDANT?

CD ToHeavenURide * Von: Michelle Shocked - Live-Aufnahme * Label: Mighty Sound über RED-Distribution * Link: www.michelleshocked.com

KONZERTE regelmäßige Singer Songwriter-Konzerte über die Vienna Songwriting Association * link: www.songwriting.at

Unser Demnächst-Special-Tipp für Singer Songwriter mit eigenem Klang:

Mundy (IRL) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 13.3.08: 20h
Marissa Nadler (US) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 03.4.08: 20h
OLLI SCHULZ (Hamburg/BRD) * Ort: WUK * Zeit: 12.03.2008: 20h
Supertipp!!: MARIA MENA (Oslo/Norwegen) *
Ort: WUK * Zeit: 13.04.2008: 20h
Supertipp!!: ADAM GREEN + Band (New York/USA / Singer Songwriter-Antifolk!!) *
Ort: WUK * Zeit: 26.04.2008: 20h
THE HORROR THE HORROR (Schweden / Singer Songwriter-Rock)
* Ort: WUK * Zeit: 18.04.2008: 20h
Supertipp!!: JON REGEN (New York/USA / Singer Songwriter - Piano-Jazz) * Ort: Birdland Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Supertipp!!: JASON WEBLEY (USA / Singer Songwriter - Rock-Folk-Akkordeon und Geige mit super Stimme) * Ort: Vorstadt Wien, Herbststr. 37 * Zeit: 05.06.2008: 20h


Filmtipp zum Singer Songwriter-Hype:
FILM ONCE * Komödie von John Carney * Mit Glen Hansard, Markéta Irglóva * Irland 2006 * Inhalt: Straßenmusiker in Dublin träumt von der Karriere als Singer Songwriter, wobei ihm die tschechische Gastarbeiterin und Pianistin hilft - mit einer realistischen Existenzweise eines Musikers sowie einer subtilen Liebesebene, wie sie wohl jedem Menschenleben "nebenbei" und doch in ewiger Erinnerung passiert * Länge: 85 Minuten * ab 25. April 08 in den österreichischen Kinos * Vertrieb: www.filmladen.at, link: www.once.kinowelt.de

Sunday, November 25, 2007

MUSIK: JULIA KENT UND BEN WEAVER WECKEN VERLORENE GEFÜHLE

Julia Kent, die auch bei Jon Regen spielt, wurde als Solistin mit eigenem Klang im WUK praktisch überquatscht ...

Ben Weaver hatte mit seiner typischen Trendmusik die völlige Aufmerksamkeit des jungen Publikums. - Das wegen der geschäftigen Bewerbungspraxis leider fehlgesteuert wird!


WUK US-CELLISTIN JULIA KENT WURDE EIN OPFER DER BEWORBENEN MASSENBEWEGUNG DER JUGENDKULTUR: WEIL ALLE AUF DEN KANADISCHEN SINGERSONGWRITER BEN WEAVER WARTETEN, ÜBERSAHEN SIE IHRE QUALITÄT

Es ist immer wieder erstaunlich zu entdecken: Je mehr Kunst, Kultur, Theater, Tanz, Musik, ... man besucht und miteinander vergleicht, desto mehr wird man sich bewußt, dass den individuellen Betrachter nicht unbedingt das Kunstfertigste oder in sich geschlossenste Werk am meisten berührt, so dass es danach noch in ihm arbeitet, sondern das, was ihn selbst, einschließlich seiner Schwächen und Erinnerungen des Scheiterns, am meisten entspricht. Ein Kritiker sollte sich deshalb von sich selbst distanzieren und auf Fakten besinnen, weil ihm sonst nur fünf Prozent allen Vorgeführten tatsächlich gefiele: andererseits liest man genau deshalb so viel Abgeschriebenes, rein Beschreibendes oder Gebrauch-Geschriebenes, das im Groben schon mehrmals woanders zu lesen gewesen schien. - Wenn man für´s Kritiken schreiben bezahlt wird, passiert es also aus dem dienenden Rollenverständnis heraus, und so dirigiert letztendlich die "Worthülse" das Geschehen. Weil´s eben auch ein Geschäft ist. Bestes Beispiel dafür zeigen die Ergebnisse bei der Suche nach speziellen Kritiken über Google. Bis man hier eine ehrliche Meinung findet, wird man wahrscheinlich bis Seite 20 gelangen... Gleichzeitig zeigt es, dass zu viele - Slogans von einander kopierende - Kultur-Werbetreibende (ohne echtem Interesse für die von ihnen beschriebene Kunst) tätig sind, die jene, die sich die Mühe machen, sich mit einem Künstler oder Werk tatsächlich auseinander zu setzen, verdecken. Mit einem Wort, im Internet entwickelt sich dasselbe Phänomen wie zuvor in der massenmedialen Print- und Fernsehlandschaft: indem das mengenmächtige Oberflächliche, der Ankündigungsjournalismus, das rare Originäre aussticht.

Wie Werbung edle Einzelgänger aussticht

Beim Ben-Weaver-Konzert im Wiener WUK nun, das von der Solo-Cellistin Julia Kent eingeleitet wurde, erlebt man denselben Effekt auch live. Abgesehen davon, dass hier der Sog der Jugendkultur mitschwingt, wo die oberflächliche Massenbegeisterung gegenüber einer Sache so schnell entsteht wie sie vergeht. Obendrein fällt einem die damit einhergehende Verlogen- und Verlorenheitsatmosphäre der eigenen Jugendzeit wieder ein, die man als Erwachsener längst hinter sich glaubte.

Voraus geschickt sei an dieser Stelle, dass die Kritikerin dieses Konzert primär besuchte, weil sie vom New Yorker Blues-Jazz-Singersongwriter Jon Regen restlos begeistert ist - von der Atmosphäre seiner Persönlichkeit bis zu Musik und Texten - weil er eben - rein gefühlsmäßig - sehr viel mit ihrer Befindlichkeit und Erfahrung gemein zu haben scheint. Weil also in seiner CD Julia Kent die Cello-Begleitung verantwortete, und ihr elektronisches Solo-Spiel nach einem ersten Check auf My Space noch einmal anders und interessant klingt, ging sie auf dieses Konzert (mit der Hoffnung, dass dieser Ben Weaver vielleicht auch etwas vom sehr eigenständigen Jon Regen haben möge).

Die Mode der Jugend-Verlorenheit

Da steht man also, in einem dunklen Raum, während die einsame Julia Kent spielt, erahnt die vielleicht acht Zuhörer, die aufmerksam zuhören und die zwanzig Schatten im Hintergrund, die laut schwatzend stören. Dieser Frau, die hier als Häuflein Elend ihre Nummern herunter spult, weil sie die Ignoranz gegenüber ihres Stils in dieser Stätte total mitkriegt, entzieht das Publikum die Anerkennung, die ihr aufgrund ihres Könnens gebührte. Ein Stil, der nicht nur fachlich anspruchsvoll ist, sondern auch emotional berührend wäre, würde die Haltung der Musikerin mit 0-Show-Effekt nicht mit jedem doch so schön gespielten Ton sagen: "Eigentlich würde ich am liebsten im Erdboden versinken." - Julia Kent ist ein Opfer der massenmedialen Bewerbung dieses Konzerts, die allein Ben Weaver diente, der eine gänzlich andere - jugend-mainstream-akurate - Musik macht. Dabei würde ihre, in der technischen Handhabe aufregend zu beobachtende Musik mit dem klassischen Cello, das mit Elektronik, Loop, Verstärkung und Verzerrung, modern verfremdet ist, in minimalistischen Wiederholungsmotiven und Klang bestens zur Jugend passen. Leider ist die Jugend "als Menge" aber nicht in der Lage, das zu registrieren, weil sie schlichtweg mainstreamorientiert gesteuert ist, was auf nichts anderem fußt, als auf dem emotionalen Drang nach Zusammengehörigkeit.

Alleweltsdarlinge für Alleweltsmenschheit

Nein, die Jugend akzeptiert den Trauerflor des Verlorenseins erst bei Weaver, der mit seiner Band aus Schlagzeug, zwei Streichern (eine davon Kent) und sich selbst an Syntheziser oder Gitarre, etwas Bekanntes zwischen Tom Waits und Leonard Cohen repäsentiert. Zugegeben, seine Show und Freude beim Spielen, nimmt das Publikum gleich gefangen, sodass nun niemand mehr von den jetzt fünfzig Zuhörern quatscht. Und doch spielt sich in der Kritikerin genau das ab, was sie schon als Jugendliche, als sie mit Freunden zu Konzerten ging, erlebte: eine insgeheime Aversion gegen diesen durchgehenden Druck, etwas gut finden zu müssen, weil es scheinbar alle mögen. Selbst wenn es als Musik mit Variationsweisen wie durch ein neuartigstes elektronisches Luftstreichinstrument in sich Qualitäten hat - Weavers Klangfarbe ist so eindeutig einzuordnen, dass es reiner Massenware entspricht. So viel Persönlichkeit und sprachfertig tiefgründige Worte er zu liefern scheint, so reicht es dennoch nicht, sich nach dem Konzert damit näher auseinander setzen zu wollen. Es geht um Liebe, um Orientierungslosigkeit, um Kälte, um Angst. - Jugendgefühle eben. - Das Problem dabei aber ist, dass es ein pauschales Lebensgefühl aus Prinzip zu beschreiben scheint, weil dieser Mensch, Ben Weaver, letztlich als Typ ebenfalls etwas repräsentiert, das man in seiner Jugend als "zu pauschal" kennen gelernt und bereits abgelegt hat.

Es könnte auch sein, dass er als Mann, zusätzlich und ehrlicherweise - obwohl an-sich sympathisch -, unattraktiv auf die Kritikerin wirkt. Das sei vollständigkeitshalber angefügt. Bei diesem Detail merkt man jedoch wieder, was nicht alles bei der U-Musik vom Sänger bis zum Klang mitspielen muss, damit eine Darbietung tatsächlich bewegt ... wobei aber auch dann prinzipiell gilt: einen typischen Alleweltsdarling wird nur der attraktiv finden, wer sich selbst zur Alleweltsmenschheit zählen kann - und als solcher hätte man es wahrscheinlich leichter im Leben... echt mißmutig gesagt (weil es der Vielfalt der Kultur und der Menschheit entgegen läuft)! e.o.


DAS URTEIL INDIVIDUALISTEN BEVORZUGEN JULIA KENT VOR BEN WEAVER - SELBST WENN ER DER SYMPATHISCHERE SHOWMAN IST ALS SIE.

Link zu Julia-Kent-Musik
Link zu Ben-Weaver-Musik

Friday, November 02, 2007

MUSIK: MELANCHOLIE DES LOSLASSENS - JON REGEN UND "LET IT GO"

Die zwei Seiten des Jon Regen: Innen melancholisch und verletzlich - nach den Scherben seiner Liebesbeziehung, von denen er in der neuen CD Let It Go erzählt ...












... außen ein sanguinischer Pianist, der voller Lebensfreude alles gibt, um sich selbst und sein Publikum durch Lust und hohen Anspruch zu befriedigen. (Fotos © Merri Cyr 2007)


BIRDLAND BLUES-JAZZER JON REGEN GASTIERTE IN WIEN UND IST PROFESSIONELLER DENN JE. EIN GLEICHERMASSEN PIANO-KUNSTFERTIG BESCHWINGTER WIE RÜHRENDER ABEND. DIE SONGS SEINER NEUEN CD LET IT GO BESCHÄFTIGEN VIELE GÄSTE AUCH NOCH ZUHAUSE...

Das Jon Regen Trio gastierte Ende Oktober im Wiener Birdland. Wie beim letzten Mal verströmte der amerikanische Singer-Songwriter eine gehörige Ladung Gefühl. Es gibt derzeit keinen Musiker, der direkter auf Billy Joels Spuren sein Liebesleben preisgibt und dabei aber anspruchsvollen, pianistisch-virtuosen Blues-Jazz spielt. Das fast übermütige Konzert Anfang Februar ist einem sehr Professionellen in atmender Abfolge und perfektem Arrangement gewichen: statt langer Reden ertönen lange Jazz-Pianosoli zwischen den Songs. Besonders die Lieder der ersten Singer-Songwriter-CD Almost Home hat Jon Regen so verinnerlicht, dass die aufwändigen Ausflüge in die improvisierende Abstraktion vom Einen zum Anderen mit Anwachsen des Abends immer spannender werden. Dass der Musiker von der Tiefe seiner körperlichen Energie über Tonleitern und Achtelnoten spielend gleich einem Hochleistungssportler nur so schwitzt, erhöht die Energie noch. - Da kann man sich nur wünschen: Gibt es bald eine CD "Almost-Home-Jazz-Extended"?

Von der Live-Vitalität zur gelebten inneren Trauer

Diese sprühend-lockere Vitalität findet durch die melancholische Kehrseite der neuen CD Let It Go ihren Gegenpart, an deren Kompositionen sich der Musiker live noch sehr stark hält. Doch diese Lieder drücken ihre echte Qualität erst im Stillen mit Konzentration auf den tiefsinnigen Text richtig aus; deshalb ließ sich Elfi Oberhuber als Zuhörerin zuhause zur direkten Assoziation, ja fast zum Gespräch mit Jon Regen animieren - in unten nachfolgender Reaktion auf jede einzelne Nummer: Der kaum zu verkraftende Abschied von einer Frau wächst über das Gefühl von Leere und Weltpessimismus zum Vorsatz einer Selbstfindung an, ist somit auch als fortlaufender innerer Monolog einer zusammenhängenden Geschichte zu interpretieren. Gewidmet ist die CD einer anderen Freundin von Jon Regen, die sich das Leben nahm. Bereichert wird sie durch phasenweise Begleitungen von The-Police-Gitarrist Andy Summers, sowie den radikalen Solistinnen Martha Wainwright - selbst Singer-Songwriterin - und Cellistin Julia Kent, die hier - nicht wieder erkennbar - zu Engelsmusikerinnen mutieren. Die ganze CD strotzt vor Details bei theatral punktgenauer Betonung in Stimme und Pausen. Sodass der besungene Inhalt tatsächlich lebt.

Ein Highlight des Abends ist die Interpretation des situationskomischen Songs Only My Credit Card Remembers Where I´ve Been, mit tollem rhythmischem Vorspiel, das in große Spielfreude ausartet, unterbrochen durch das Schlagzeug-Solo von John Miller und das verbale Extro von Regen kurz vor der Pause. Das normalerweise verträumte Little One, ein Song an ein Kind, spielt der liebenswerte Pianist danach gehackt, mit ebenfalls ausuferndem Pianopart, wozu Miller, der manchmal etwas zu laut ausgesteuert ist, zusammen mit dem zurückhaltenden Bassisten PJ Phillips in größter Einfühlung begleiten. Dieses Miteinander als Kommunikation zu beobachten ist Lustbefriedigung von reinstem Herzen. Sie findet ihre Vollendung im weiteren Highlight des Abends, der Interpretation des The Police-Songs How Fragile We Are, eingeleitet von mitreißendem lyrisch-klassischem Jazz-Vorspiel. I Told You So, eine leichte Rhythmik mit viel Klavier bei subtiler Melancholie, gibt es leider noch nicht auf CD, ein Grund, warum man kein Konzert von Jon Regen verpassen sollte. - Der Applaus wollte nicht enden, Regen brachte ihn mit zwei Zugaben zum betretenen Verstummen: dem komplex-romantischen Don´t Stop Believing und The Last Song, dem "allerletzten Song an die Ex", was Regen - wie einsam zurück bleibend - sehr traurig alleine spielte ... e.o.


Jon Regens CD Let It Go - eine Gemütswanderung für die Zuhörer(in)

1) Let It Go
Rhythmisch und kompositionstrukturell einfach, fast lustig,
der Text über den Abschied von einer Frau aber ist zynisch roh.
Als wäre es ein Genuß für ihn, den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen.
Große Anklagen: "The only friend you need is right inside yourself".
Doch überschlagen sich ihm als Pianisten die Tasten,
und seine Stimme im letzten Refrain.
Brutalität als Umkehrung der eigenen Verletzlichkeit.
Die gibt es oft bei Männern.
Am Beziehungsende.
Warum?

2) It´s Alright By Me
Jon spielt neben dem Piano auch Orgel,
das ist subtil feierlich!
Der Mann freut sich über die Frau, die sich zu ihm setzt,
ihm den Tag rettet.
Nur, um zu reden, ihm die Einsamkeit zu vertreiben,
mit ihrem Lächeln,
trotz ihrer tausend Termine.
Nein, ich denke, sie hält ihn nicht für einen Langeweiler.
Möchte wie er, sie küßt ihn in diesem Moment,
aus dem Nichts heraus, ohne Absicht, ohne Verpflichtung.
Und gerade dann verliebt es sich so leicht.
Wünsche, sein "Lord I´m hoping you´ll stay
Cause I feel like I´m home" erfährt keine Täuschung ...

3) Close To Me
Tat Jon unrecht,
dachte Andy Summers Gitarre würde seine Songs kommerzialisieren.
Stimmt nicht.
Klingt auf My Space übers Internet auch ganz anders als von der Stereoanlage.
Das ist rockig, Erde, wie Sex,
wenn es um nichts anderes zu gehen hat.
Oh ja, "sie" hat ihn "aufgeweckt"
- "I´ ve learned To let you into places I had left for dead" -
Geschah das wirklich innerhalb von neun Stunden am Flughafen?
Kennt er sie noch?
Oder erzählt er "die Geschichte, die er am ersten Tag mit ihr begann",
jetzt einer anderen weiter?
- Sorry Jon, I guess, I´m jealous ...

4) I Come Undone
Jon hat also auch eine Freundin verloren, die sich das Leben nahm.
Tina.
Wenn diese Leute nur wüßten,
was sie denen antun,
die zurück bleiben.
"I try to run away
I´m calling out
Running round
I´ve fallen down."
Das Klavier fällt die Tonleiter runter.
"I´m not so good at this...
It isn´t so
That time will heal a broken heart
I tried, they lied, I´m torn apart."
- Fand das Background-Gesäusel von Martha Wainwright zuerst kitschig,
als ich noch nicht auf den Text achtete.
Jetzt find ich es sehr sensibel.
Denn das ist doch auch der (Frei)Tod: sensibel.

5) Something To Hold
Sanft verträumtes Wurlitzer-Piano anfangs,
Cello von Julia Kent im Refrain.
Jon singt jetzt (ausschließlich) über sich.
Über seinen pessimistischen, enttäuschten Status Quo im Leben.
Mit Monden, die ihm geschenkt und wieder genommen wurden,
mit Räumen aus Nichts, nur Stille.
Die Poeten und Prediger sind aus seinem Herzen ausgezogen.
Er: "I´m looking for something to hold."
"This is my battle cry."
Das ist mein 1. Lieblingslied.

6) Better Days
Einsames Piano,
einsamer Mann
doch mit dem streichelnden Schlagzeug von Bill Dobrow
gewinnt auch Jons Stimme an Hoffnung.
Auf bessere Tage,
Ich hör´s an seinem Spiel voller Kraft und Fülle.

7) Piano-Interlude
Doch da ist noch immer so viel Trauer.
I´d like to hold you, Jon.
Like a mother.
Who ever you are.

8) Finished With This
Der Mann ist an eine Lügnerin geraten,
wie ich vor langer Zeit an einen Lügner.
"When you told me
you burned for my body and heart,
Were you reading from papers,
were you playing a part?"
Nur sind das meist keine Lügner,
sondern ängstliche Pragmatiker,
ohne Fantasie
für ein individuelles Leben.
Das sind die Krankenschwester-,
die Kindergärtnerinnen-,
die Volkschullehrerinnen-,
die Sicherheits-Liebhaber.
Die Bankangestellten-,
die Manager-,
die Beamten-Liebhaberinnen.
Die nicht wissen,
dass die größte Sicherheit im größten Gefühl liegt.
Vielleicht können sie vergessen,
was Jon so sinnlich singt,
"the shape of your kiss";
vielleicht können sie verdrängen,
wovon er sich fragt,
"Did your chest burn like mine did,
when we walked away?"
Es bleibt tatsächlich nur,
den Schlußstrich zu ziehen,
hinter der Frage an sich selbst nach einer einseitigen Einbildung:
"Was it all in my head?".
- Mein 2. Lieblingslied.

9) Photographs Of You
Ja, die Photos -
man sollte sie wegwerfen,
oder weit unten im Dachbodenschrank vergraben.
Die Tapferkeitsausflüchte werden mit ihnen nicht weniger:
"I hardly think about you -
Maybe most of the time."
Was wir dafür aufheben,
ist Jon und sein pures Klavier.

10) Finding My Way Back To Me
Hurra,
er ist über´n Berg.
Bei The-Police-Anspielungen
und Andy Summers "blumiger" Elektrogitarre.
Er war zwar gegangen,
"But I´m not running anymore, from anything at all",
hatte den endgültigen Zusammenbruch riskiert,
um jetzt zu wissen,
"Leaving my past so far behind, it´s just memory.
That will remind me of who I never want to be."
Er findet über jede Note, jeden Meter, seinen Weg,
und nimmt sich ab nun vor: "every song´s a little sweeter".

11) Disappear
Rückfall.
Oder einfach Angst vor dem nächsten unehrlichen Endlosspiel?
Der tödlichen Mischung aus Begehren und Täuschung.
Magische Tricks, die den Liebenden verwirren.
Hoffnung: "Do you dream of me at night?"
Sarkastik: "I bet you don´t, your conscience won´t."
Anfangs ihr kaltes Herz durchschaut, hatte er sie fast fallen gelassen,
und wurde es dann aber von ihr:
"Only you could break us apart."
Wer soll also endlich verschwinden,
sie aus ihm, oder er von hier?

12) The Last Song
Ihre Nummer aus dem Telefon zu löschen,
fällt ihm schwer.
Letztes Wiedersehen,
das Cello klingt nach Tod.
Doch sein Galgenhumor wird Jons Anker sein:
"Could you have stayed away?
Would it have killed you, not to see me once again?"
Selbst wenn der Körper protestiert:
"When you hold my hand,
please understand the blood runs through my veins so fast
I wonder If I´ll pass this test at all
I try to act so cool,
so confident I´ll make you come to me, I say
But just one look at you, and there I fall."
Gebrochener Stolz,
Hoffnung,
dass die Zeit den Raum zwischen Kopf und Herz kalt werden läßt.
- Diesen allerletzten Song an sie,
singt Jon am Ende eines jeden Konzerts.
Hope she has earned this big attention!


DAS URTEIL JON REGEN - EIN GROSSER JAZZPIANIST, EIN GROSSER KONZERT-PERFEKTIONIST, EIN GEFÜHLSMENSCH MIT MELANCHOLISCHER LUST AN DEN SCHATTENSEITEN DER LIEBE UND DES LEBENS

Link zu Songs und Tourdaten von Jon Regen:
www.jonregen.com

Nächstes Jon Regen-Konzert in Wien:
KONZERT Jon Regen * Ort: Birdland, Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Und: Am 17.5.2008 wird JON REGEN´s Trio ab 20h live am Wiener Rathaus beim Life-Ball zu sehen sein. Das Event wird im ORF und per 3-Sat übers Fernsehen übertragen!

Tuesday, October 02, 2007

THEATER: SARAH KANES "GESÄUBERT" BEI JEROME JUNOD KLINISCH SYMBOLHAFT

In dieser psychiatrischen Anstalt wird jede Freiheit unterdrückt, durch Arzt Tinker (Florian Köhler), der in sadistischer Freude seine Patienten schändet ...

... indem Tinker dem homosexuellen Carl (Bernd-Christian Althoff) etwa ein dickes Rohr in den Unterleib rammt, er ihm die Arme amputiert ... (Fotos: © Max Reinhardt Seminar)


WUK REGIE-ABSOLVENT JEROME JUNOD FÜHRT MIT DEN SCHAUSPIELSCHÜLERN DES MAX-REINHARDT-SEMINARS EIN ANSPRUCHSVOLLES SYMBOLSTÜCK IN DER PSYCHIATRIE AUF: GESÄUBERT, VON DER BRITISCHEN AUTORIN SARAH KANE

Wo gibt es hier noch ein Licht? Der Hoffnung! - Es ist da, nur ist es so grell, wie es eine Neonröhre nur sein kann. Weshalb die Leute Schutzbrillen tragen, während sie sich daran stärken. - Die Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Sie kommen zum Licht, wannimmer sie (als Schauspieler) keinen Text zu sagen haben. Als wenn sie nur "bei sich" Energie tanken könnten, weil das Agieren und Reden mit anderen in diesem schwarz-weiß-steril-kühlen Irrenhaus so kräftezehrend ist. Das Zusammensein baut diesen zu stark liebenden Menschen Substanz ab, weil und sodass die Liebe nie gegenseitig ist, und wird sie es doch, kommt ein eifersüchtiger Arzt daher, der die aufkeimende Romantik zerstört: Ja, bei den Insassen in Sarah Kanes Stück gesäubert geht das Lebensglück nicht auf, weder nach außen hin, noch insgeheim. Und so auch nicht Ende September im Wiener WUK, aufgeführt von den Schülern des Max-Reinhardt-Seminars unter der Regie von Jérôme Junod.

Entmachtete Liebe und ihre Kompensation

In dieser geschlossenen Anstalt liebt der derbe Macho Rod (Wojo van Brouwer) den feminin-grazilen Carl (Bernd-Christian Althoff). Grace (Marie Jung) liebt ihren Bruder Graham (Alexander Julian Meile) bis zur Verschmelzung mit ihm. Der naive, geistig debile und stotternde Robin (als einziger angreifbar menschlich: Markus Subramaniam) liebt Grace in kindlicher Verehrung. Der sadistische Arzt Tinker (Florian Köhler) steht auf die im Ballkleid wandelnde und singende (Traum)-"Frau" (Angela Smigoc), und kommt bei ihr beim Sex zu früh, weil er sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Gewissheit seiner prinzipiellen Fähigkeit dazu, muss er sich selbst also laufend bei den anderen beweisen: indem er sie unterwirft, quält, zerstümmelt. Seelisch und vor allem körperlich.

Die Intensität der menschlichen Liebesfähigkeit zeigt sich bei Sarah Kane aber generell durch Sadismus, Masochismus, Gewalt, Leid. Grace ist es von ihrem Bruder beispielsweise gewohnt, einen heißen Löffel auf die Haut gedrückt zu bekommen, sodass ihr Arm voller Brandwunden ist, und ihr Wunsch weiterhin ermuntert lautet: "Mach´s bei mir!" Worauf beide von den anderen Patronenhülsen auf ihre umschlungenen Körper geworfen bekommen. Liebe hat hier in Absolutheit zu schmerzen, von innen nach außen und umgekehrt. Nur wird das - ganz im Sinne der Autorin - abstrahiert gezeigt: Die entmachtende Spritze durch Arzt Tinker erfolgt durch Zeigerfingerdruck, Elektroschocks simuliert der Knall eines Gürtels, die anale "Durchstoßung" beim Weichling Carl geschieht auf die Frage Tinkers, nach dessen Beziehung zu Rod, durch ein dickes Riesenrohr, wonach Carl mit einem Band die Hände amputiert werden. Ebenso die symbolisch (grausam-)poetischen Vereinigungsmomente: für die von Tinker durchgeführte Geschlechtsumwandlung von Grace zu Graham steht ein Kleidertausch; der Sex zwischen den Geschwistern ist ein Bewegungstanz ohne Berührung in der Körperarbeit von Grant McDaniel; Küsse ohne aufeinander treffende Münder; eine Blume der Liebe, die Tinker aus Eifersucht verbrennt. Dessen Befehl "mach die Beine breit!" unterstreicht das demonstrierte Bild einer sich öffnenden Schere. Oder Tinker lässt Robin die Pralinen essen, die er gerade für Grace kaufte, als müsse er seine eigene Liebe aufessen - also vernichten. So wie rhythmisch jeder Szenenwechsel in militant-lautem, zeichenhaftem Scherenschlag angemahnt wird.

Autoritäten in intellektuellen Sackgassen

Interpretatorisch zählt bei alledem das Mißtrauen gegenüber der Psychiatrie: mit ihrer Praxis der ungesunden Enge der Insassen; das Mißtrauen gegenüber den emotionslos-kalten, entmündigenden Ärzten. Unmenschlich bis zur Unheimlichkeit ("ich bin eigentlich kein richtiger Arzt, sondern ein Dealer") wird die von der Arztfigur ausgehende Freude am Schmerz und an der Entmachtung unterschwellig aber auch als Lust seitens Patienten empfunden. In der finalen Konterkarierung durch Graces Ruf zum Doktor, "hilf mir!", bei ihrem Blick ins Neonlicht bei Vogelgezwitscher, dominiert allerdings die depressive Aussichtslosigkeit.

Der klinische, entmenschlichte Stil des Stücks erhöht sich bis hin zum klaustrophoben Überwachungsstaat. Die Frage ist, ob das alles anders werden hätte können, wenn Kane nicht selbst manisch-depressiv gewesen, sie nicht tatsächlich psychiatrische Aufenthalte gehabt hätte. Brächte ein Regisseur in das Geschehen dann suggestiv Wärme, direkte Emotionsausbrüche, Menschlichkeit ein? Würde er es wagen, aus dem strengen (dramatischen) System auszubrechen? Insbesondere der Selbstmord der britischen Autorin mit 28 scheint Inszenierende stets zu extremer, stilistischer Selbstbeherrschung in konsequent, unausweichlicher Logik des Todes zu drängen. Schon da Rod explizit ermordet wird, Robin sich erhängt. Andererseits lässt das den Zuschauer aber auch resümieren, dass Sarah Kane genau wegen ihrer Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und ästhetischen Vernunft hätte geheilt werden können. Durch die Zeit des Erwachsen-werdens, die dem Menschen zeigt, wie Gefühl tatsächlich entsteht: durch Freiheit, durch Freiwilligkeit, ohne Druck. Dann hätte sie gelernt, jene Vernunft (der textlichen Struktur) auf das erforderliche Gefühl zu verlagern. So wie zu ihrer Lebenszeit Kane aber nun die Geduld zum Altern, zur harmonischen Reife fehlte, weil sie schlichtweg zu intellektuell dachte, so ist nun also auch diese Inszenierung streng intellektuell - im Sinne von entweder weiß oder schwarz - geworden. Vielleicht muss sie aber auch so sein, weil das dem gehobenen Theater eines Max Reinhardt Seminars entspricht. Denn so ist es ja auch sehr schick! e.o./h.o.


DAS URTEIL TROTZ POETISCHER SYMBOLE STRENG-INTELLEKTUELLE FORM: SO WIE ES SARAH KANE WAR UND VERLANGTE. TYPISCH MAX REINHARDT SEMINAR: ANSPRUCHSVOLL DISZIPLINIERT, WAS FEHLT, IST DER MOMENT DES AUSBRUCHS AUS DEM SYSTEM.