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Sunday, June 29, 2008

TANZTHEATER: ILLUSIONSPLÄDOYER VON JAMES THIÉRRÉE IN "AU REVOIR PARAPLUIE"



















Die Liebe fängt schwierig an, wenn sich ein Mann eine abgehobene Frau auf Seilen als Liebessubjekt (Satchie Noro) wählt
(Foto © Mario Del Curto) ...

Da wird die Anforderung (Kaori Ito) so gross, dass der Mann (James Thiérrée) seinen Grips wirklich anstrengen muss, um sie zu bekommen.

Der Mann Thiérrée schafft es mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, aber das Glück der Harmonie aller inneren Alter Egi (links: Magnus Jakobsson) des Liebespaars währt nicht lange ...

... sodass sich der wieder einsam Verlassene im zeitlichen Rücklauf auf die Suche nach dem Moment machen muss, als die Harmonie zerbrach ...

... diese Suche als Gang durch den Sumpf heißt: sich mit neuen, unheimlichen Wesen und eigenen Erkenntnissen zu konfrontieren.

... sich für den Entschluß zur Liebe selbst zu bekämpfen, an sich zu arbeiten, und sich dabei auch noch zusehen zu können ...

... dafür gibt es dann vielleicht den gemeinsamen, harmonischen Flug in der Luft - weil der Mann in die (Zirkus-)Welt der Frau wirklich bereit ist, einzutauchen. (Fotos © Jean Louis Fernandez)


HALLE E - WIENER FESTWOCHEN JAMES THIÉRRÉE HAT ÜBER DIE KONFRONTATION MIT DEM UNGLÜCK WIEDER ZUM MASSLOSEN GLÜCK DES THEATERS GEFUNDEN: IN AU REVOIR PARAPLUIE

Alles, was die Wiener Festwochen nach James Thiérrées La Veillée des Abysses 2004 im Bereich "Zirkustheater" eingeladen haben, - ob Tanztheater- oder Theaterakrobatik-Produktion - vermochte nicht annähernd an die Komplexität und Musikalität des Theaters dieses französisch-schweizerischen Universalgenies heran zu kommen. Das 2008 in Wien zu sehende Nachfolgewerk Au revoir parapluie hat das einmal mehr bestätigt. Thiérrées ins Surreale verpackte Slapstickmelodram der Körpersprache, entspricht in seinem ästhetischen Ausdrucksumfang ganz der logischen Erbfolge, Enkelsohn Charlie Chaplins, sowie Sohn des Zirkusehepaars Jean-Baptiste Thiérrée und Victoria Chaplin zu sein, mit dem der heute 34-jährige Akrobat, Tänzer, Mime und Violinist schon als Kleinkind in verschiedenen Zirkusformationen auf der Welt auftrat. Von daher erklärt sich die Reife im philosophisch-abstrahierenden Themenzugang voller zeitlich zerschnittener Erzählsprünge samt schwierigster Bewegungsinterpretationen dieses doch noch jungen Mannes. Das müßte hinsichtlich professioneller Einverleibung eigentlich von einem mindestens fünfzigjährigen Welt(star)künstler stammen. Dass er diese geistig reflektierte Vollendung mit seinem zart-starken Körper selbst tanzen kann, ist ein wahrer Glücksfall, für den das Publikum ihm oder auch Gott unendlich dankbar sein will.

Fabulöse Archetypen als Liebeskummer-Bringer

Zu Beginn erscheint eine Art Fee, die Schwedin mit Barockopernstimme und in schwarzem Fabelkostümgerüst (Kostüme: Victoria Thiérrée, Manon Gignoux), Maria Sendow, mit einem sagenumwobenen Brief in der Hand. Sie könnte auch Schicksalsgöttin oder innere Stimme des "Liebeskummernden" sein (Thiérrée, dem das Herz durch einzelne Körperteile wandert, sodass "es" an seinem Knie oder Schenkel "klopft"). Dieses Ohmen legt sich als Allmacht in Form einer schwarzen Tuchwolke mit mühsam zu durchwandernden Bauschblasen über die Bühne, "worauf" sich nachfolgende Geschichte in albtraumhaften Sequenzen abspielt: die freuden- und leidensvolle Liebesgeschichte des darauf stapfenden Träumers Thiérrée. Dass sie letztenendes nur durch sein Hirn so kompliziert wird, zeigt eine witzige Szene mit Partner bzw. der weiteren inneren Stimme Thiérrées, Magnus Jakobsson, der durch blitzschnelles Heben von Thiérrées Haarschopf wissen will, was da eigentlich drunter sei, das dem Mann so zu schaffen macht... - Insofern gilt einmal mehr: "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". (Doch böte die Geschichte nur lineares Glück, wäre sie nicht außergewöhnlich genial ...)

Es fängt damit an, dass der Mann sich zum Liebesobjekt eine Frau wählt, die auf Stricken über den gewöhnlichen Dingen dieser Welt steht: Asiatin Satchie Noro, die zu poetischen Klaviertönen in der Luft tanzt. Und obwohl in diesen Stricken viele tote Herrenköpfe hängen, die wahrscheinlich Ähnliches wollten, läßt sich der junge Mann nicht davon abhalten, ihr - sich wild zu ihr raufschwingend - einen Kuss zu rauben. Und siehe da, es geschehen noch Wunder: Sie verliebt sich in ihn, angedeutet durch die Sängerin, die jetzt zur Leierkastenmusik ein Liebeslied singt. Den Liebeszauber, den die Beiden erleben, zeigt Jakobsson, der allerhand Zauberstücke mit Karten, Vögeln und einer erwartungshaltungsbrechenden Schere auf Lager hat. Das Unglück hat sich mit dem Glück automatisch barockmusikalisch archetypisch mitentwickelt: es taucht in Person der gnomhaft-asiatischen, zeitgenössischen Tänzerin Kaori Ito auf, die sich phasenweise auch als skeptische, innere Sphinx-Stimme des Träumers zu erkennen gibt. - Insofern wäre also auch jeder seines eigenen Unglückes Schmied.

Der Kampf mit sich selbst als Weg zum Glück

Denn das Paar, das jetzt zur Trio-Familie geworden ist, hat sich plötzlich im Unisono gegen den aufkommenden, überwältigenden Gegenwind des Alltags zu wehren. Es bewegt sich gleichförmig rückwärts, als wolle es die Zeit zurückdrehen, wo alles Unglück begann. Man sieht, wie die Liebesliedsängerin aus dem Bild gezerrt wird, wie der geliebten Frau im Bett sitzend statt vor Liebe frohlockend nur noch traurig die Haare vor dem Gesicht hängen. Dass sie zu zweifeln beginnt, zeigt ein schizophrenes Duett mit der sich nun ident bewegenden und aussehenden Kaori Ito. Dabei war die Liebe mit ihrem Mann unter der roten Decke gerade noch so schön. - "Wie schaffte es dieser Störfaktor Ito nur drunter zu kriechen?", denkt sich der Mann. Wie kam es, dass ihm plötzlich seine Jacke nicht mehr passen wollte, und es ihm geschah, dass er sich - beim Zusammenfalten - gleich mitfaltete? Warum wollen ihn seine Füße, seine Hände verlassen, obwohl sich sein Wille dagegen stämmt?

Nachdem er verwirrt allein ist, diktiert ihm daraufhin die Sängerin (in seinem Kopf) einen Brief, um die Einst-Geliebte vielleicht doch zurück zu gewinnen. Mit ihrer Retour-Antwort beutelt es ihn in seinem Schaukelstuhl derart, dass er ganze Rollen schlägt. Er tanzt in geistiger Wiedervereinigungs-Vorfreude in einem harmonisch-symmetrischen, zeitgenössischen Trio (Thiérrée kann also auch das bei erkennbar klassischer Ballettbasis perfekt!) und macht sich auf Wanderschaft, sie zurück zu holen. Doch dabei quält ihn auch schon wieder die einhergehende Skepsis, denn er gerät in eine mit elektronischer Musik durchflutete Sumpflandschaft mit unübersichtlichem Gestrüpp, worin er sich verirrt. Er begegnet einem unheimlich menschengroßen Fisch aus Bast, der sich in eine tanzende Bast-Grille verwandelt, schlägt sich zum Grillengezirpe mit kegelartigen Rutenbüscheln, indem er mit ihnen (also mit seinen Ängsten) leidenschaftlich schlagend jongliert. Schließlich fragt er einen vorbeikommenden Passanten (Jakobsson = sich selbst) um den richtigen Weg (die endgültige Entscheidung). - Wie ahnungslos dumm er ihm (er sich selbst) dabei vorkommt, zeigt dabei die (stummfilmlachreife!) Gesichtsmimik Thiérrées. Dann muss er sich im Sumpf in angstvoller Ohnmacht wieder mit der asiatischen Tänzerin, mit der Sängerin als Sensenfrau konfrontieren, die ihn anschreien, und die er danach als Gewissenskampf mit sich herumschleppt, bis er seinen inneren Schweinehund endgültig überwinden kann, indem er sich (Jakobsson) im virtuos wurfreifen Rutenfechtkampf besiegt. Oder auch nicht. - Denn man fragt sich: "Ist das Schicksal grundsätzlich gegen das Liebespaar?"

Der plötzliche Sprung zur Erkenntnis

In einem plötzlichen Szenenwechsel bekommt man als Antwort "nur" ein Musikquintett geboten, als müßten alle Akteure erst mal auf Distanz gehen, um sich selbst in ihren Entscheidungen bewerten zu lernen. Doch am Ende sind das Paar und die asiatische innere Stimme (des Mannes) auf einem Seil zu sehen, wie sie sich fragil aufeinander zu bewegen und phasenweise darauf harmonisch gleich tanzen. Da sind aber auch eine Menge schirmartiger weißer Federbälle, die von der Decke regnen. Sie stehen wohl für Thiérrées Vision, dass das Leben und die Liebe am besten unterm Zirkuszelt zu betrachten seien, denn ein ganzes Zelt stellen sie in Windeseile auch noch mitten in der Halle E im Museumsquartier auf ... Und wahrscheinlich hat er recht: Leben, Liebe und (sein) Theater bleiben mit urtümlich archetypischen Waagenfahrrädern ja tatsächlich am schönsten als staunenswerte Illusion zwischen Liebe und Hass, Glück und Unglück: Solange es unter der Schutzplane des mythischen Zaubers geschieht, dürfen die ewigen Gesetze für das Funktionieren von Gefühlen und Unterhaltung auch nicht anders lauten. e.o.


DAS URTEIL JAMES THIÉRRÉES ZIRKUSTHEATER IST DAS UNGLAUBLICH SCHÖNSTE, WAS ES AN UNTERHALTUNG UND ILLUSION AUF DER WELT GIBT ...

THEATER Au revoir parapluie * Von: James Thiérrée (Regie und Bühne) * Mit: Kaori Ito, Maria Sendow, Magnus Jakobsson, Satchie Noro, James Thiérrée * Sound Design: Thomas Delot * Ort: Halle E, Museumquartier im Rahem der Wiener Festwochen 2008 * Zeit 27.5.-1.6.08

Monday, December 10, 2007

PERFORMANCE: MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER IN "MAYBE FOREVER"-ROMANTIK

Im poetischen Liebesabschied: Meg Stuart und Philipp Gehmacher finden eine sperrige, doch innerlich gelebte Ausdrucksweise...













... sodass ihr weiblicher und sein männlicher Körper (ausnahmsweise bei den Zeitgenossen auch einmal) sinnlich wirkt. (Foto © Dieter Hartwig)


TANZQUARTIER MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER LERNEN GLAUBWÜRDIG ZU FÜHLEN, UND DAS AUCH NOCH AUF SPANNEND ABARTIGE UND NEUE WEISE - IN IHREM GEMEINSAMEN PROJEKT MAYBE FOREVER

Das ist ja jetzt mal etwas ganz Neues. Zeitgenössische Tänzer, die tatsächlich in ihrem Körperinneren etwas fühlen und sogar imstande sind, das auszudrücken. Der Romantische Konzeptualismus erobert demnach nicht nur das Ausstellungswesen der Bildenden Kunst, sondern auch die Performance-Szene. Das ist schön, das ist wichtig, das tangiert das Publikum. Ganz besonders wenn es um das Thema Verlust und Abwesenheit geht. So spannend war schon lange nichts mehr im Tanzquartier. Die eigenartige Künstlerkombination aus der psychoschüttelnden Amerikanerin mit Company Damaged Goods in Belgien, Meg Stuart, mit dem österreichischen Minimalgestikulierer Philipp Gehmacher setzt mit diesem Duo einen neuen Maßstab, nicht nur als Tanzkunst an sich, sondern auch für ihre jeweils individuellen Tänzerprofile. Es ist erstaunlich, wie gut die Beiden harmonieren, wie spannend sie sich ergänzen, wie bereichernd sie einander weiter bringen.

Neue Erzählweise im zeitgenössischen Tanz: das Liebesdrama

Neu ist auch der Weg, das Thema zu transportieren. Im Grunde verläuft er über die Erzählung eines klassischen Liebesdramas. Durch die Abstraktion in der Form, wo neue Zeichen und Gesten für etwas Bekanntes stehen, bekommt jenes aber eine geheimnisvolle Dimension. Verstärkt wird sie durch die Erzählweise, die nicht chronologisch ist, sondern in doppeldeutigen Abschnitten aus realen bzw. scheinbaren Rückblenden, Introspektionen, Monologen erfolgt; und doch ist sie insgesamt wieder linear. Das Bühnenbild von Janina Audick wirft ein weiteres Rätsel auf. Es zeigt eine halbrunde Bühne mit seitlichen Vorhängen und Kinoleinwand in der Mitte - was für literarisch erzählte Geschichten steht, für das Theater, und damit für das eigene Theater, das sich jeder Mensch aus seiner eigenen Liebesgeschichte macht. Poetisch wird irgendwann das Bild einer Pusteblume eingeblendet, die den Raum mit wehmütiger Vergänglichkeit füllt.

Poesie trotz Konzeptualismus und Trauer

Poesie dominiert daher, obwohl Meg Stuart, so cool wie sie ist, mit tiefer und fester Stimme ins Mikrofon spricht, sie habe eine Postkarte geschrieben, worin sie gesagt habe, sie könne nicht ohne "ihn" leben. - "Ich nehme es zurück." Sie meinte, es sei heute unnötig, romantisch zu sein. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme gleiten angewinkelt zur Seite. - Sie wollte ihn (sein), obwohl er gar nicht ihr Typ war. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme rucken parallel nach oben. - Sie hätte Angst vor der Nähe gehabt. - "Ich nehme alles zurück." Die Poesie dominiert, weil bereits zuvor ihre aneinander geschmiegten Körper, jener des Mannes, jener der Frau, mit wiederkehrender Abweisung kämpften, Körper, deren Inneres expressive und doch subtile Emotion fühlten, und die ein kalter Wind und Glockenklänge in Dröhnsound umwehte, als sie endgültig auseinander gegangen waren. Ausgeläutet hatte ihre Beziehung der sehr professionell-stimmige, fast duchgehend auf der Bühne präsente Brüsseler Singer-Songwriter mit Elektrogitarrenspiel Niko Hafkenscheid. Er sang: "It may be forever." - So auch der Titel der Performance, Maybe Forever, selbst wenn dessen Sinn nur noch als Utopie für die Zukunft in anderer Paarkonstellation gelten kann, denn tatsächlich haben sich diese Liebenden ja verloren.

Zwischen Erinnerung und Zukunft

Obwohl sie momentweise als Körper wieder zusammen kommen, scheint das doch in Abwesenheit des Anderen statt zu finden, als Bild ihrer Sehnsucht nach ihm, seiner nach ihr, während sie sich gegenseitig langsam, jeder für sich allein, von einander lösen. Die sperrigen Haltungen stehen für den psychischen Kampf ihrer Beziehungsunmöglichkeit. Zielen ihre beiden Arme synchron nach oben, steht das aber doch wieder für deren insgeheim erhoffte Möglichkeit, selbst jetzt noch, wo es aus ist. In den Momenten, wo die Gesten zum Takt der Gitarre harmonieren, scheint auch alles zuversichtlich, trotz des offensichtlichen Schmerzes. Auch wenn der Sänger einen Walzer ankündigt, der dann keiner ist. Und dann zieht Meg ihre Schuhe aus, läßt sie als Erinnerung für "ihn" (Philipp) auf der Bühne zurück, während sie hinter den Vorhang geht, aus seinem Leben geht, aus ihrer beider Liebesgeschichte.

Die Jahreszeiten ziehen vorbei, und sie kommt wieder zurück, denn manchmal holt sie beide die frühere Abhängigkeit ein. Sie versuchen gemeinsam zu fliegen, mit schwachen, eingeknickten Flügelarmen. Zwischen Todesgedanken und lautstarker Eigenmotivation eines erzwungenen Ausrufs von "next, next, next...". Und so verblaßt das "Zurück" irgendwann endgültig gegenüber dem "Nach Vorne". "Du hast mir den Beginn meiner Geschichte gegeben", sagt Meg, und sie findet im roten Glitterkleid ihre neue, echte, passende Liebe (im Singer-Songwriter), und "Ich bin bereit ....", sagt Philipp im schwarzen Anzug, während seine Finger eine Geste des "... zu gehen" zeichnen. e.o.


DAS URTEIL DAS IST ROMANTISCHER KONZEPTTANZ MIT NACHWIRKUNG - ENDLICH ZWEI ZEITGENOSSEN, DEREN KÖRPER EIN INNENLEBEN HABEN! ENDLICH WIEDER MAL WAS GUTES IM TANZQUARTIER.

Unser nächster Tanztipp im Tanzquartier
Le Sacre du Printemps * trockene Studie übers Dirigieren (möglicherweise auch zum Lachen) * Von und mit: Xavier Le Roy (F) * Ort: Tanzquartier / Halle * Zeit: 13.-15.12.2007: 20h30

Tuesday, September 11, 2007

TANZTHEATER: DIE PANTOMIME LEBT BEI GIL MEHMERT IN "DAS BALLHAUS"

In den 1930ern tummeln sich unter den Tanzgästen "Geschäftsmänner" wie Rainer Frieb (mit Monokel) neben "Diven" wie Beatrice Frey, ewigen "Nein-Sagern" wie Raphael von Bargen, "Mauerblümchen" wie Annette Isabella Holzmann (das in den 80ern zur Punkerin wird) und "Mitläufern" wie Christoph F. Krutzler (der vom Nazi zum Geschäftsmann 2000 wandelt) ...

... neben "Mode-Opfern" wie Susa Meyer, "Falschspielern" wie Marcello de Nardo und dem einzig konstanten No-Person-Mensch, Kellner Thomas Bauer.

Wobei ausgerechnet der Falschspieler (De Nardo mit Heike Kretschmer) ab den 60ern ein so ausgezeichneter Tänzer ist ...














... und er außerdem in den 90ern zu Falcos Kokain-Song "Ganz Wien" unter Dealern und Geschäftsleuten kokst. (Fotos © Lalo Jodlbauer)



VOLKSTHEATER WIEN GIL MEHMERT FÜHRT IN DAS BALLHAUS DIE MENSCHEN IN IHREN GLEICHBLEIBENDEN MUTATIONEN ÜBER DIE JAHRZEHNTE BIS HEUTE VOR: SEHR UNTERHALTSAM UND INNERHALB DER THEATERLANDSCHAFT: FRECH!

Den Unkenrufen auf die saisonale Eröffnungspremiere zum Trotz, wonach das Stück ohne Worte, Das Ballhaus - Tanz durch ein Jahrhundert, nun wirklich nichts am Volkstheater zu suchen habe, folgt hier die Behauptung: "Und ob!" - Denn was zeichnet überhaupt die Schauspielerei aus? - Etwas, das heute schon fast vergessen ist: Die Pantomime. - Nun, die Schauspieler mimen hier nicht nur, sie tanzen auch. Aber auch das gehörte einst zur ganz großen Pflicht legendärer Schauspielikonen, zumindest bis in die vierziger Jahre hinein. Das alles war schon vergessen, sodass man in der Oper nur noch sang, im Theater nur noch sprach und auf der Bewegungsbühne nur noch tanzte. Nur das Musical sollte jener Bereich sein, wo sich alles vereinen kann. Doch ehrlich: Wird darin in der Regel - ganz besonders in Europa - nicht jeder Bereich so kommerzialisiert verwässert, dass kaum noch einer künstlerisch (gekonnt) ist?

Mischformen mit purem Können

In jüngster Zeit schälen sich die einzelnen Bereiche daher in puren, hochwertigeren Neu-Konstellationen heraus: In der Volksoper wird auch schaugespielt (siehe letzte Kritik auf intimacy: art), im Tanzquartier wütet das Kabarett, in Lesungen wird chansonniert, im Theater an der Wien gelesen und musiziert, im Kasino am Schwarzenbergplatz von Schauspielern gesungen. Und mit der französischen Vorlage Le Bal über eine Zeitreise durch Tänze, Moden und politische Umbrüche von den 1920-er Jahren bis heute, wurde nun die "Idee des Gesellschaftstanzes" von Jean-Claude Penchenat am Volkstheater auf Österreich umgemünzt; sodass man in der Neufassung von Volker Schmidt unter der Regie von Gil Mehmert ein Können entdeckt, das in dieser Professionalität eigentlich nur mit Charlie-Chaplin-Stummfilmen assoziiert werden kann. Wohl zeigten auch die Wiener Festwochen in den letzten Jahren immer wieder Performance-Theater, doch arbeiteten jene eher mit Körper-Arrangements im Raum, was in der Regel die Tänzer bei ImPulsTanz besser umsetzten. Am Volkstheater agieren nun wirklich Mimen mit ihren Gesichtern und Körpern, sodass sie in ihren Zwischentönen viel deutlicher sind, als (sprechende) Schauspieler in körper-grafischen Bildern.

Die subtilen Zwischentöne eines großartigen Ensembles

Das inhaltlich Schöne an dem Stück ist, dass es, ohne Worte, gezwungenermaßen mit Impressionen aus dem kollektiven Gedächtnis arbeitet, tanzschritt-modisch von Charleston über Twist und Hulla-Hop bis Flower Power und Punk, politisch von 20-er Offenheit über Nazi-Prüderie und -Widerstand bis zu Kokain-Intellektualismus und kommerziellem Yuppie-Heute mit Terrorismus-Beiwerk. Gleichzeitig macht es die Ausgrenzungen und kleinen Ausschrittversuche in all diesen Strömungen transparent. Und über allem thront die Aussage vom Menschen, der als "Typ" immer gleich bleibt, er sich nur in anderen Verkleidungen zeigt, wobei der äußerliche Gegensatz nach der Nazizeit aber auch in die Irre führen kann. - Das ist überhaupt die feine Subtilität an der Regie und am Buch der Inszenierung.

Am stärksten verkörpert sie das Tanz- und Bewegungsgenie des Ensembles, Marcello de Nardo als "Der Mann, dem man nicht trauen sollte": Gebuckelt schwindelt er sich in den 20ern, sich an der Zigarette festhaltend, durch die Tanzgäste in ihren typisch-schmalen Kostümkleidern, und findet er Geld, steckt er es verstohlen ein. In der Nazikriegszeit taucht er als einziger Mann bei den munitionsgürtelbastelnden Frauen auf und versucht sie durch Spielertricks ihrer letzten Habe zu berauben. Und in den 80-ern ist er kontrastartig ein brillanter Jazz-Dancer und -Choreograf, in den 90-ern ein Kokain-Dealer in der Disco. Auch Rainer Frieb ist ein berückender Körper- und Gesichtsmime, indem er als "Geschäftsmann" durch die frühen Jahre hämisch grinsend, kalt und beinhart, in den 70ern plötzlich zum Intellektuellen der Jazzszene und dann zum Aussteiger in Sandlermontur mutiert. Bei den Frauen ist Susa Meyer als "die Frau, die nach der neuesten Mode gekleidet ist" vor allem in der Körperhaltung, Bewegung und Ausstrahlung immer wieder ein Augenschmaus, wobei sie von der linken Widerständlerin in den 30ern zu den Kriegsgewinnerinnen und dann zur Powerfrau der 90er wird. In Summe ist jedoch das ganze Ensemble unverschämt gut, immer wieder findet man eine Wandlung, die einen zum Lachen animiert oder schlichtweg erinnert, sodass es sogar schmerzt.

Und doch zu altmodischer Erzählrhythmus

In den 2 Stunden und 45 Minuten geschieht bei guter Live-Musik von Patrick Lammer und Band so viel, dass keine Langeweile aufkommt. - Wie so oft in ebenso langen Sprechstücken. Und doch hätte der Erzählrhythmus weniger analog und hausbacken sein können, um das Stück insgesamt wirklich modern wirken zu lassen. Inhaltlich ist die Nazizeit - wie immer am Volkstheater - zu lang gestreckt, während die Zeit danach, die auch die Jugend interessieren würde, nur oberflächlich und kurz gestreift wird.

- Ein wenig erscheint dem Volkstheater-Kenner dieses Dramenmuster unter Michael Schottenbergs Intendanz auch wie eine ironisch-trotzige Geste seitens Direktors: denn Schottenberg kämpfte im ersten Jahr mit linken Aufklärungs-Sprechstücken um Zuschauer, im zweiten hatte er den großen Erfolg mit dem gesungenen und getanzten Cabaret, und das ist nun noch einmal eine Steigerung in die absolute Sprachlosigkeit. Sie trifft ironischerweise aber doch genau den Ton unserer Zeit - man denke nur an Dancing-Stars. Nur ist das am Volkstheater aber natürlich viel mehr wert! e.o. (36 Jahre) / n.w. (80 Jahre)


DAS URTEIL EIN PANTOMIMISCH BRILLANTES KALEIDOSKOP DURCH DIE TÄNZE UND POLITISCHEN UMBRÜCHE DES LETZTEN JAHRHUNDERTS. - NUR LEIDER IN HAUSBACKENEM ERZÄHLRHYTHMUS.

Tanztheater Das Ballhaus - Tanz durch ein Jahrhundert * Von: Volker Schmidt nach Jean-Claude Penchenat * Regie: Gil Mehmert * Choreographie: Kurt Schrepfer * Musik: Patrick Lammer mit Band * Mit: Marcello De Nardo, Rainer Frieb, Susa Meyer, Christoph F. Krutzler, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 15., 23., 29.11.2007: 19h30

Friday, June 01, 2007

PERFORMANCE: NIGEL JAMIESON SORGT IN "HONOUR BOUND" FÜR MITLEID

Die Gehirnwäsche im US-Terroristen-Gefängnis Guantanomo Bay als grafisch klares Körperarrangement im Käfig übersetzt (Fotos: © Jeff Busby)

Äußerlich erzähltes Tanztheater mit Breakdance und Akrobatik wird mit Interview- und Dokumentarfilm-Einspielung zum existenzialistischen Trip

Ein Folterbild, das man aus dem US-Irak-Gefängnis kennt: der Kommandant General Miller war zuvor auf Guantanomo Bay

Australier David Hicks war einer von vielen Insassen, der durch fünfjährige Körperschändung zu eventuellen Geständnissen gezwungen werden sollte


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN DIE AUSTRALIER NIGEL JAMIESON UND CHOREOGAF GARRY STEWART DECKEN IM SPEKTAKULÄREN TANZTHEATER HONOUR BOUND DIE FOLTER AM UNSCHULDIG INHAFTIERTEN "TERRORISTEN" DAVID HICKS AUF

Wenn Theater die bessere Nachricht ist, dann drückt Honour Bound dafür ziemlich auf die Tränendrüse. Sicher liegt es auch daran, dass wir Europäer für sensationslüstern halten, was für Amerikaner oder Australier glaubwürdig ist. Denn sie nehmen in der Regel erlebender (theatralischer) auf. Und bekommen die Nachrichten auch lebendiger serviert (Stichwort: CNN). - Dass die wirtschaftliche und verteidigungspolitische "rechte" Nähe der beiden Staaten (Kontinente) damit zusammen hängt, ist wahrscheinlich mehr als nur spekulativer Grund dafür. - Es ergibt sich also die Frage nach tatsächlicher Wahrheit und dem Verhältnis von Ausdruck und Wirkung. Sicher ist diesbezüglich eines: David Hicks hat bestimmt noch größere Qualen erlitten, als hier ausgedrückt wird. Deshalb hat diese Sensation vollauf Berechtigung. Schon da es galt, die Australier zu einer Reaktion zu bewegen.

Ein verirrter Mensch wird gefoltert

Konkret geht es um die Gefangennahme des Australiers Hicks im US-"Kampf gegen den Terror"-Gefängnis Guantanomo Bay auf Kuba. Er wird dort ohne Angabe von Gründen, sprich bei Mißachtung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, ab Jänner 2002 gefangen gehalten. Ausgeschlachtet werden mit Dokumentarfilm-Einspielungen - bzw. Projektionen von Interviews, Texten, eidesstattlichen Erklärungen und Dokumenten (von Donald Rumsfeld, Pentagon und FBI) sowie Zeitungsausschnitten, die Hicks als "australisch-fundamentalistischen Terroristen" anprangern - die biografischen Stationen des Inhaftierten: Wie er als blauäugiger Weißer und sensibles Scheidungskind zu Drogen griff, in ein schlechtes Milieu kam, sich in einer Heirat als Vater zweier Kinder wieder fing, dann erneut ruhelos als Taliban-Berufssoldat in den afghanistanischen Krieg zog, worauf er psychisch traumatisiert zurückkam und zwecks innerer Heilung zum Moslem wurde. Hatte ihm der Glaube zunächst geholfen, geriet er danach in den Sog der Al-Kaida. Was er da genau machte, bleibt unklar. Hicks´ Eltern berichten von seinen Folter-Erzählungen bei Verhören und im Gefängnisalltag. Nur eine ganz schlimme Sache, die er den Eltern anvertraute, wird dann doch ausgeblendet. Da bereits stundenlanges Verharren-müssen in Handschellen, Prügel bei Drogeneinfluß zur Entlockung von Geheimnissen, Streß- und Angstmethoden wie Hundeeinsatz, Kapuzentragen, jahrelange Einzelhaft, extreme Temperaturschwankungen und sexuelle Quälerei bei Nacktheit gefallen sind, kann man nur an eines denken, das einen Menschen restlos demütigt ...

Eine Theaterproduktion verhilft zum Recht

Die Konzentration auf eine Person unter Hunderten von Insassen erhöht die emotionale Wirkung umso mehr, da die Gefangenen anderer Länder viel früher von ihrer Heimat zurück geholt und einem ordentlichen Urteil unterzogen wurden, während Hicks als Einziger noch lange inhaftiert blieb. Dieses Stück, das sich gegen die vorherrschende Regierungspolitik, öffentliche Meinung und damit die Presse Australiens richtete, hat mit der Uraufführung 2006 (trotz politischen Verhindungsversuchs) dazu beigetragen, seine Überstellung endlich zu initiieren.

Über fünfeinhalb Jahre war er "unschuldig" inhaftiert, bis er 2006 "ordentlich" angeklagt wurde. "Ja", er habe den Terrorismus praktisch unterstützt, gestand Hicks zur Bestürzung seines Verteidigers, und wurde zu sieben Jahren Haft in Adeleide verurteilt, allerdings mit Option auf 9 Monate, falls er die Klage und Mißhandlungvorwürfe gegen die USA und das Sprechen mit Medien für ein Jahr (bis nach den nächsten australischen Wahlen 2008) unterließe. Hicks akzeptierte und wird im Mai 2007 überstellt.

Von der Körperschändung zum Körpertheater

Dass sich Körperschändung und innerer Zerfall dieser Art bestens für Körpertheater und Tanz eignen, liegt auf der Hand. Und da muss gesagt werden: letztlich ist es die akrobatisch-sportliche, bildliche und inszenatorische Umsetzung, die hier tatsächlich gefangen macht. Dadurch entfernt sich das Stück auch für die australische Roman- und Theater-Blogautorin Alison Croggon, "von der Dokumentarpolemik, die das englischpsprachige Protesttheater bislang dominiert hatte". Für sie ist die spektakuläre Ästhetik genauso "komplex" wie die Politik des Werks. Und in dieser Relation hat sie selbstverständlich recht, in jener zur "Nachricht" könnte man noch einmal darüber streiten.

Emotionslose Körper, die äußerlich leiden

Nigel Jamieson hat als Regisseur aber auf jeden Fall eine fesselnd dynamische Handlung als Mischung von Journalismus und Ausdruckstheater geschaffen, über einen Menschen, der äußerlich kalt in einem multiplen Käfigkomplex (Bühne: Nigel Jamieson und Nicholas Dare) gequält wird und in seltenen inneren Gefühlsexpressionen seine Sehnsucht als Einsamer nach Liebe mit (s)einer Frau gesteht, indem sie in einer ebenfalls nur äußerlich gezeigten Sexstellung über ihm schwebt. Die Liebe der und zu den Eltern, wird dagegen intensiv via Interviewfilm "besprochen".

Die Choreografie von Garry Stewart ist hart, kühl und körperstark, wenn die Insassen im Käfig wie Bergsteiger umherklettern und am Boden zwischen Breakdance und Bodenausdruckstanz "leiden". Grafisch schön und inhaltlich klar eingerichtete Bilder durch Körperarrangements in Luft und Erde verleihen dem Ganzen die Aura von Perfektion, die zum Staunen des Publikums beiträgt, während es gleichzeitig voyeuristisch und neugierig alles über die unmenschlichen Folterungen wissen will. Doch letztlich zählt zu erfahren, ob der Inhaftierte nun schuldig war oder nicht, und wie das Verhältnis zur Politik ist. Und da man danach noch weiter recherchiert, ist dieses Werk tatsächlich stark. e.o.


DAS URTEIL EINES DER SELTENEN BEWEISE, DASS THEATER (KUNST) LEBEN UND POLITIK VERÄNDERN KANN: UND OBENDREIN EINE UNTERHALTSAM-EXPRESSIVE, WENN AUCH EIN WENIG SENSATIONSLÜSTERNE DARBIETUNG - SELBST WENN DIESE SENSATION DAS AUSMASS DER ERLEBTEN EMOTION NOCH LANGE NICHT TRIFFT.