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Friday, April 18, 2008

TANZ: DER BATSHEVA-EFFEKT VON OHAD NAHARIN IN "MAX"

Der Tanz von Ohad Naharin lebt vom Wechsel zwischen Gruppe, ...

... Duo und Individualtanz - und hat Sexappeal, da Effekt bei angekränkelt a-typischen Haltungen und Bewegungen. Fotos © Batsheva Dance


TANZQUARTIER DIE ISRAELISCHE BATSHEVA DANCE COMPANY VON OHAD NAHARIN BRINGT MIT MAX EFFEKT IN DEN ABSTRAKTEN TANZ - UND GEFÄLLT

Das ist schon komisch: da muß erst ein Choreograf mit seiner von Martha Graham und Baronesse Batsheva De Rothschild gegründeten Company aus Israel kommen, damit zeitgenössischer Tanz mit dem gewissen Etwas, nämlich "Effekt", unter Österreichs Tanzkritikern zur Gänze gelobt wird. Vielleicht liegt es auch daran, dass dieser Tanz im Tanzquartier (Halle G) gezeigt wurde und nicht etwa in der Volksoper, sodass er für jenen Ort genau das richtige Maß an "Linie" hatte, die man ansonsten dort schmerzlich vermißt. Fakt ist aber auch, dass wir mit Giorgio Madia als Choreograf, vor allem in Nudo schon sehr viel von dem in Wien hatten, was jetzt so begeistert bei Ohad Naharins Batsheva Dance Company von den Wienern angenommen wurde. D.h., was unter der Kategorie "Ballett" von 2003 - 2005 vom Volksopernballett unter Madia erfolgreich lief, läuft jetzt auch unter der Kategorie "zeitgenössischer Tanz", nur eben von manchem Kritiker anders beurteilt, da jener an-sich zu sehr vom Kategoriendenken gesteuert ist.

So weit ist ein Naharin nicht von einem Madia entfernt

Natürlich war Max von Batsheva - gemäß der zeitgenössischen Tanz-Kategorie, in der es stattfindet - noch abstrakter und radikaler als damals Nudo innerhalb der Kategorie Ballett. Doch hat beides unterm Strich in sich dasselbe qualitative Niveau bezüglich des Ausscherens vom Gewöhnlichen innerhalb seiner Kategorie. - Aber auch im eigenen Anspruch bezüglich einer gewissen, wenn auch noch einmal sehr persönlich gefärbten Bewegungsästhetik und Harmonie, wobei sowohl Naharin, als auch Madia Studien- bzw. Tanzjahre bei Béjart und in den USA verbrachten. Da aber jeder Choreograf weiß, dass er ein Projekt "auch" für eine bestimmt-ausgerichtete Auftragsstätte kreiert, bekommt das Werk und die Tanzlinie dann die unterschiedlichen Nuancen. Und doch muß man sagen: wir waren eigentlich schon auf dem Weg, genauso eine eigene (international erfolgreiche), schillernd-abstrakte österreichische Company zu haben. - Aber, was soll´s, diese Debatten sind vorbei. Jetzt waren die Israelis da, und haben uns (endlich wieder einmal) gezeigt, wie aufregend-guter Tanz sein kann. Das fängt mit den athletischen Körpern der Tänzer an, die in ihrer kräftig-gesunden Vitalität eine eigene Wirkung ausstrahlen (wie übrigens auch schon die Körper bei Madia, der andererseits auch entgegengesetzt auffällige, doch in-sich-geschlossen-harmonische bzw. erformte Körpertypen hegte). Dass diese Körper in der Lage sind, außergewöhnliche Körperarbeit zu leisten, liegt auf der Hand. Denn jeder Körper zeigt exakt das, was man ihm ansieht; es läßt sich im Tanz nichts verbergen.

Israelische Körperkunst mit Effekt

Diese Körper stehen zu Beginn in kurzen Sporttricots mit dem Rücken zum Publikum. Dass sie vom Zuschauer als israelische "Körper" wahrgenommen werden, liegt nicht etwa am - in Israel allseits präsenten - Krieg, der jeden Menschenkörper durch mehrjähriges Pflichttraining generell widerstandsfähig macht, sondern am Beifügen einer eigens lokalgefärbten Musik samt Sprechgesang mit hebräischem Text - komponiert und vorgetragen vom Meister himself - von Ohad Naharin unter dem Pseudonym Maxim Waratt. Unklar ist dem Zuschauer bis zuletzt, ob hier nun auf die Geschichte Israels bzw. der Juden angespielt wird oder nicht, denn man sieht immer wieder eine sich formierende, lautstarke "Klagemauer" aus Tänzern, die auch an einen rituellen Buschtanz erinnern könnte, man hört und sieht Wiederholungen des prinzipiellen Zählens, wo jeweils auf Vorigem um eine fortlaufend neue "Nummer" aufgebaut wird; und man sieht den wiederkehrenden Kampf des Einzelnen als ruckhaften Ausbruch aus der Gruppe, aus dem Paar und dessen erneutes Einfügen zum perfekten Unisono(-Duett), einschließlich einer angedeuteten, einmaligen Kopulationsszene zwischen Mann und Frau. Das ist eine getanzte Philosophie zwischen Sollen und Wollen, zwischen Muß und Können, zwischen Regel, Ritual, Religion und Trieb, aus den ursprünglichen Kapazitäten des Körpers heraus, selbst wenn diese der bereits (einschlägig) ausgebildete Mensch erst entdecken muss.

Es geht also um prinzipielle Bausteine, die anwachsen zu einem Gerüst, um motorische Techniken, die zur funktionierenden Maschine werden. Das wäre nichts Außergewöhnliches, würde es letztendlich nicht (bekannt) harmonisch schön wirken und gleichzeitig neuartig abstrakt sein. Sowohl die Musik, als auch der Tanz verwenden dabei (fast banal) Bekanntes, vermischt mit (häßlich) Unbekanntem: der durch das Hebräische folkloristische Ton mit tief singender Männerstimme wird mit Natur-Motorengeräuschen und Flüstern verfremdet, Basisübungen wie die Grundschritte zur Balancehaltung im Ballett werden verbogen und wirken "angekränkelt". Doch bei alledem stimmt letztendlich die arrangierte Abfolge von Einzeltanz zum anwachsenden Gruppenbild im grafisch eingerichteten Raum. - Deshalb stimmt hier der Effekt: weil er genau jenes Tempo bedient, wie der heutige, neugierige Mensch visuelle und akustische Geschwindigkeit als unterhaltsam (und auch komisch!) empfindet. - Das ist zeitgenössischer Tanz, wie man sich´s gefallen lassen will. Und wie er erstmals im Tanzquartier zu sehen war! e.o.

Video-Links zum Tanz-Vergleich:
Ohad Naharin choreografierte für die Batsheva Dance Company: Seder (Stichworte: Klagemauer-Formation und Unisono-Effekt) und Three (Stichworte: sperrige Bewegungen, Isolation des Einzelnen, Unförmigkeit, plötzliche Übereinstimmung der Gruppe oder eines Duos aus Stillstand oder Gruppendurcheinander)
Giorgio Madia chroregrafierte für das Volksopernballett 2003 (siehe popiger Part ab ca. 2,30 min zu Jazz-Sax-Musik: humoristisch motivierte Bewegungen bis zu "schmerzhaft-anmutenden" Boden- und Yogaübungen): Nudo



DAS URTEIL EIGENTLICH HATTEN WIR DAS VOR FÜNF JAHREN SELBST SCHON IN ÖSTERREICH: ABER WENN EINE GRUPPE AUS ISRAEL SOLCHEN TANZ ZEIGT, WIRD ER ERST ANERKANNT! - TYPISCH ÖSTERREICH (WIEN).

TANZ Max * Von: Ohad Naharin * Mit: Batsheva Dance Company (IL) * Ort: Tanzquartier, Halle G/MQ * Zeit: 29.-31.3.2008: 20h30

Friday, January 25, 2008

TANZ: LANGWIERIGE "HETEROTOPIA" VON THE FORSYTHE COMPANY

Wenn ein Tänzer - bzw. Choreograph Forsythe (!) - nicht mehr weiß, wie er sich tänzerisch ausdrücken soll, ...

... sollte er sich vielleicht ein anderes Ausdrucksmittel suchen. (Fotos © Dominik Mentzos)


TANZQUARTIER WIEN DER GROSSE WILLIAM FORSYTHE TOURT MIT HETEROTOPIA KÜNSTLERISCH KLEIN DURCH DIE WELT - MAN HÄTTE IHM BESSER SEIN FRANKFURT BALLETT GELASSEN!

Nach Trisha Brown ist William Forsythe in dieser Saison der zweite legendäre US-Name im Tanzquartier, wo man sich denkt, woher "die Legende" bei diesem Tanzkünstler wohl stammen mag? Forsythes neue Arbeit Heterotopia ist zwar nicht ganz so peinlich wie es die wieder gezeigten 70-er Kurzstücke der Brown (click zur Kritik) waren, weil sie immerhin eine zusammenhängende Dramaturgie mit klarer Aussage aufweist, als Kunstwerk mit Anspruch hat aber selbst Österreich-Italiener Elio Gervasis kürzlich im Tanzquartier gezeigtes Aria mehr auf dem Kasten. - Die Kritik dazu reichen wir in Kürze nach. - Fast ist man gewillt, zu resümieren, dass die Sprache dieser US-gebürtigen zeitgenössischen Tanzikonen nur in Verbindung mit dem klassischen Ballett zum imageverdienten Glanz findet. Denn Forsythe hat bis 2004 das Ballett Frankfurt geleitet, wonach er nun sein unabhängiges Ensemble The Forsythe Company GmbH gründete und mit seinen "zeitgenössischen" Stücken durch die "zeitgenössischen" Spielstätten der Welt touren muss. Und da hat er sich wohl an die dort scheinbar vorherrschende Tanzsprache anzupassen!?! Vielleicht ist er in der (gesellschaftspolitisch) gewachsenen Tanzalltagspraxis genauso wenig vor der berühmten Schere im Kopf gefeit, wie sie als Pendant die meisten Überlebensalltagsjournalisten manipuliert und lähmt. Oder die Europäer haben im Vergleich zu diesen beiden Amerikanern in Sachen zeitgenössischen Arbeitens einfach doch von Haus aus mehr zu bieten, weil in ihnen so etwas wie kunsthistorisches Erbe liegt.

Nonverständnis von Papageien und Ziegen

Was ertragen die Besucher also in Heterotopia während langer 90 Minuten: von einem Grossraum mit unsinnig aneinander gereihten Buchstaben auf Tischen, auf denen sich ein Teil einander nicht gleich zu verständigen fähiger Tänzer bewegt, haben sie sich, sobald sie sich langweilen, in den zweiten kleineren, schwarz verkleideten Leerraum zu begeben, wo sich ein bis vier Menschen körperlich und stimmlich quälen, indem sie offensichtlich versuchen, eine künstlich verfremdete Off- oder auch Tanzkollegenstimme adäquat mit ihrem Körper umzusetzen. Sobald sich ein Besucher wiederum hier langweilt, kann er in den ersten Raum zurückwechseln. - So dass er also ständig auf den Beinen ist. Denn die Langeweile ist in beiden Räumen groß. Da mag der eine oder andere Tänzer noch so gut Tiere wie Papageien oder Ziegen nachahmen, sich die eine oder andere Tänzerin momentweise noch so harmonisch zu den offensichtlichen Befehlsstimmen bewegen - das als Choreographie(installation) auszudehnen, ist doch ein wenig zu wenig für ein Kunststück. Denn verstanden hat man die Sache ja sofort. Und dass ein Tänzer sagen will, eine Akustik mit noch so großem Bemühen doch nie hundertprozentig übersetzen zu können, läßt sich wohl in größerer Vielfalt darstellen als in unzusammenhängenden Einzel-Improvisationen, andernfalls sollte sich dieser Tänzerchoreograph vielleicht eine andere Kommunikationsform wählen, da er das Tanzen (bzw. Choreographieren) offenbar verlernt hat.

Keine Kunst auf der Bühne, dafür im Zuschauerkopf

Nun mag die Langwierigkeit vielleicht bewußt dafür stehen, dass auch jeder Mensch im Alltag nie gänzlich verstehen und wiederholen kann, was der andere von einem wünscht. - Oder der Choreograph spekuliert darauf, all diese Non- bis Versuchskommunikation möge den Besucher dazu zwingen, sich seine eigenen Gedanken zu spinnen, wenn etwa oberhalb der Tische "Irre" miteinander ringen und sich eine Frau unter die Tische verkriecht, um sich ihrer eigenen Identität vor einem Spiegel zu vergewissern. Der Besucher denkt sich: "Macht es Spaß, sich (als Gruppe) auf Befehl eines anderen wie ein Affe aufzuführen? Vielleicht, denn das mach(t)en auch Sekten- und SS-"Soldaten." - Der Zuschauer muß sich notgedrungen mit sich selbst unterhalten, weil er sonst vor lauter Ärger über diese Zumutung zerspringen würde. Nach Zweidrittel des Abends ertönt endlich etwas Kunst, nämlich Klaviermusik - also "gesellschaftlich anerkannte" Kultur - und alles scheint sich ein wenig "in paarmäßigem Bewegungsverständnis" zu entspannen. Das macht sich aber wiederum der einzige "Anzugträger" zunutze, der die zum Volk gewordenen Einzelgänger nun mit Pistolen beherrschen will, während sich eine sexuell bereite Frau vor ihm und seiner Macht auf dem Boden räkelt. Plötzlich kommt "im Volk" ein Fantasiesprachen-Streit auf, sodass sich nach zweimal Kurz-Schwarzbild (Licht aus) die einzig witzige theatrale Szene heraus kristallisieren muss, wo der Anzugträger den Untergebenen endgültig seine gezwitscherten Befehlsworte einzutrichtern versucht. Bei einem fruchtet das, die anderen krähen und mähen aber weiter wie bisher - denn das ist ihre Sprache, zu einer anderen sind sie entweder nicht fähig, oder auch nicht bereit. - So ist und bleibt daher die menschliche "Un"-Kultur frei ... (!!!) e.o.


DAS URTEIL MUSS SICH DER ZUSCHAUER SEINE ERKENNTNIS VOM FREIWILLIGEN NICHT-VERSTEHEN-WOLLEN WIRKLICH SO UNERTRÄGLICH ERARBEITEN, WIE ES IHM FORSYTHE IN HETEROTOPIA AUFZWINGT?

PERFORMANCE Heterotopia * Von: The Forsythe Company (D) * Choreographie: William Forsythe * Mit: Esther Balfe, Yoko Ando, Amancio Gonzales, David Kern, Ioannis Mantafounis, Fabrice, Mazliah, Cyril Baldy, Francesca Caroti, Dana Caspersen, Inma Rubio, Ander Zabala, u.a. * Ort: Tanzquartier Wien: Kunsthalle / Halle E * Zeit: 25.1.2008: 20h30

INSTALLATION Scattered Crowd * Von: Forsythe und Dramaturg Steven Valk * Mit: The Forsythe Company * Ort: Österreichisches Parlament * Zeit: 29.7.2008: 17h + 30., 31.7, 1.8.2008: 16h

PERFORMANCE Snowman Sinking * Von und mit: Company Antony Rizzi (US/DE) (Forsythe-Extänzer) * Ort: Akademietheater * Zeit: 28.7.2008: 21h

TANZ Gala-Abend "Preljocaj/Forsythe/Rosas/Chouinard" * Mit: Manuel Legris und Laetitia Pujol vom Ballet de l’Opéra National de Paris; Tänzern des Mariinsky-Kirov-Balletts; Antony Rizzi & Leslie Heylman, Ex-Tänzer des Ballett Frankfurt; Mitgliedern von Rosas und Chouinard * Ort: Burgtheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 14.7.2008: 19h30, 16.7.2008: 20h

Thursday, December 20, 2007

PERFORMANCE: "LE SACRE DU PRINTEMPS" VERFÜHRT "DIRIGENT" XAVIER LE ROY

Vor zwei Jahren reduzierte Xavier Le Roy ein zeitgenössisches Abendkonzert in Mouvement für Lachenmann - ohne Ton - auf seine theatralen Bewegungen. Das war schon lustig ...

In Le Sacre du Printemps bewegt er sich nun selbst als Dirigent, und da er eine charakterlich-theatral wunderbar selbstironische Note hat, verdoppelt sich das zu einem "sehr, sehr lustig", das zudem noch analytisch erkenntnisreich ist. (Fotos © Vincent Cavaroc)




TANZQUARTIER DER FRANZÖSISCHE MOLEKULARBIOLOGE XAVIER LE ROY WIDMET SICH DER GENETISCHEN STRUKTUR VON SIR SIMON RATTLES ORCHESTERPROBE VON LE SACRE DU PRINTEMPS

Das mußte ja so kommen. Nachdem sich der performende Doktor der Molekularbiologie, Xavier Le Roy, 2005 in Mouvement für Lachenmann mit der Theatralität eines Orchesters bzw. von Musikern auseinander gesetzt hat, nimmt er sich 2007 jener des Dirigenten an. "Spielten" damals Musiker ohne Instrumente, so dirigiert Le Roy jetzt höchstpersönlich ohne Musiker, oder besser gesagt, das Publilkum-"Orchester", das dabei nichts zu tun hat, als ihm - wie immer - von der Tribüne aus frontal ins Gesicht zu blicken. Neben einer Portion unschlagbaren Witzes verbirgt sich hinter seiner Analyse von Neuem ein Haufen an tanz- und musikwissenschaftlichem Theoriewissen, das der Franzose als Meister der Ironie ganz bewußt den - fast so konzentriert wie er auf die Musik hörenden - Zuschauern vermittelt. Und so leicht, lustig und verspielt das wirkt, so viel Kraft kostet es ihn, sodass er am Ende der Darbietung im Wiener Tanzquartier sichtlich erledigt ist. Im Klartext: Le Roy ist nach "seinem" Dirigat von Strawinskys Le Sacre du Printemps so fertig, wie es für gewöhnlich echte Dirigenten sind, wenn sie sich mit jeder Faser ihres musikalischen Wesens ihrer Aufgabe hin gegeben haben. - Meist sind das dann auch die akustisch ergreifendsten Konzerte.

Analytischer Ironiemeister

Bei all dem einfachen äußeren Charme der Performances Le Roys ist es immer wieder erstaunlich, was für außergewöhnlich komplexe Ideen und eigenständige Zugänge ihnen zugrunde liegen. Le Roys Kreativität und angesehener Ruf im internationalen Konzepttanz fußt zweifellos auf genau diesen Geistesblitzen, die sich zu allererst aus seinem großen Witz gegenüber der ansonsten allzu ernsten zeitgenössischen Szene speisen. Doch da dieser Choreograf wie sie auf Basis der Semantik, der Zeichensprache im Tanz, arbeitet, wirkt er letztendlich genauso ernst zu nehmend intelligent, nur eben um vieles sympathischer. Jede Geste, jede Mimik, jeder Stillstand hat zu jeder Sekunde einen tieferen Sinn, selbst wenn ihn eine Lachwolke umgibt. Alles dient der im ausgleichenden Humor endenden Erkenntnis, sodass es - am Beispiel des Sacre du Printemps - sogar Leute wie den deutschen Medienphilosophen Dieter Mersch zu einem Essay animiert.

Dieter Mersch mit Le-Roy-Theorie

Spricht Mersch Le Roy als Prototyp des Performance-Künstlers "ein ständiges Changieren, ein ständiges Verrücken der Grenzen des Tanzes gegenüber anderen Kunstgattungen" zu, wo die Medienreflexion naturgemäß beginnt, so gründet das für ihn auf dem Faktum, inwiefern sich Le Roys Frühlingsopferung bezüglich früheren Inszenierungen unterscheidet: Die Erzählung des Opfertanzes des Jungfrauenkörpers unter (alten) Männern fällt weg, wofür nun die Botschaft über die philosophisch definierte Begegnung von Objekten und Wortbildern läuft, sprich Musik und Gestik, sodass dem "Tanz", der "Bewegung", selbst narrative Bedeutung zukommt. Das Besondere an Le Roy sei, dass er einen "nur scheinbaren Dialog" mit dem "Publikumorchester" halte, während er in einer eigenen Welt weile, wo die Musik in Wahrheit (immer schon) da ist. Die Rhythmen folgen dem Körper "Musik", und dieser Körper läßt sich nicht kontrollieren: "Dennoch schafft es Le Roy, durch seine "Dirigat-Befehle", die Zuschauer zu Akteuren zu machen, indem sie der Musik in ihre Details folgen müssen. Hören erscheint als Sehen, und Sehen als Hören." Das Kollektiv von Simon Rattles Filmdokumentation zur Le Sacre-Probe mit den Berliner Philharmonikern - die Inspiration des Choreographen für diese Performance - verwandle sich demnach zu Le Roys Solo, und werde mit den Zuschauern wiederum zu kollektivem Hören. "Somit führt Le Roy zum körperlichen Erleben der Musik der Zuschauer und von seiner selbst, was er durch individuelle Fantasiegesten unterstreicht. Und damit führt er das Stück auf seinen Kern zurück: auf den Körper."

Die Theorie in der Praxis

Wie nachvollziehbar Merschs Analyse ist, merkt man an Le Roys "Dirigat" tatsächlich, wenn er anfangs leicht zu spät hinter der Musik zum Einsatz auffordert, er mit leidenschaftlicher Gesichttheatralität einzelne Töne aus dem Klangteppich heraus zu ziehen scheint, sodass sie der Zuschauer bewußt hört. Die Miniboxen unter den Zuschauerstühlen füllen den akustischen Raum, als gingen die Töne wirklich von den Zuschauern aus. Zwischendurch spielt Le Roy den trockenen, resignierenden Clown, der still hält, während die Musik vom Tonband auch ohne ihn "richtig" weiterspielt. Manchmal tut er so, als wäre die plötzlich unterbrochene Stille von ihm befohlen, da sie dann aber wieder von selbst einsetzt, wird das sogleich revidiert. Gleichzeitig sorgt jede unerwartete Unterbrechung für erneute Spannung in der Performance selbst. Und würde Le Roy am Ende nicht nur erschöpft sein, sondern zusammen brechen, könnte man meinen, er hätte sich als Dirigent selbst statt der Jungfrau zum Opfer erklärt. Zum Opfer einer eigenen Illusion, da es den Dirigenten im Orchester letztendlich gar nicht zu brauchen scheint. - Eine Assoziation am Rande, die allerdings nur auf Le Roys echte Selbstironie zurück zu führen wäre; in Wahrheit ist dieser Ansatz in jeder Hinsicht die Offenbarung der theatralen Notwendigkeit eines Dirigenten - nicht nur für sich selbst, sondern für die Motivation des Orchesters, den Klang der Musik. e.o.


DAS URTEIL XAVIER LE ROY IST DER GEISTREICH-LUSTIGSTE PERFORMANCE-KÜNSTLER, DEN DER INTERNATIONALE ZEITGENÖSSISCHE TANZ HAT - SEINE LE SACRE-IDEE IST AUSSERGEWÖHNLICH.

PERFORMANCE Le Sacre du Printemps * Konzept und Performance: Xavier Le Roy * Musik: Igor Stravinsky * Aufnahme: Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle * Künstlerische Mitarbeit: Berno Polzer, Bojana Cvejic * Produktion: in situ productions (D) und Le Kwatt (F) * Koproduktion: Centre chorégraphique national de Montpellier Languedoc-Roussillon (Xavier Le Roy ist Associated Artist 2007/08), Les Subsistances / Residence - Lyon, Tanz im August - Internationales Tanzfest 2007 - Berlin, PACT Zollverein Choreographisches Zentrum NRW - Essen

Monday, December 10, 2007

PERFORMANCE: MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER IN "MAYBE FOREVER"-ROMANTIK

Im poetischen Liebesabschied: Meg Stuart und Philipp Gehmacher finden eine sperrige, doch innerlich gelebte Ausdrucksweise...













... sodass ihr weiblicher und sein männlicher Körper (ausnahmsweise bei den Zeitgenossen auch einmal) sinnlich wirkt. (Foto © Dieter Hartwig)


TANZQUARTIER MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER LERNEN GLAUBWÜRDIG ZU FÜHLEN, UND DAS AUCH NOCH AUF SPANNEND ABARTIGE UND NEUE WEISE - IN IHREM GEMEINSAMEN PROJEKT MAYBE FOREVER

Das ist ja jetzt mal etwas ganz Neues. Zeitgenössische Tänzer, die tatsächlich in ihrem Körperinneren etwas fühlen und sogar imstande sind, das auszudrücken. Der Romantische Konzeptualismus erobert demnach nicht nur das Ausstellungswesen der Bildenden Kunst, sondern auch die Performance-Szene. Das ist schön, das ist wichtig, das tangiert das Publikum. Ganz besonders wenn es um das Thema Verlust und Abwesenheit geht. So spannend war schon lange nichts mehr im Tanzquartier. Die eigenartige Künstlerkombination aus der psychoschüttelnden Amerikanerin mit Company Damaged Goods in Belgien, Meg Stuart, mit dem österreichischen Minimalgestikulierer Philipp Gehmacher setzt mit diesem Duo einen neuen Maßstab, nicht nur als Tanzkunst an sich, sondern auch für ihre jeweils individuellen Tänzerprofile. Es ist erstaunlich, wie gut die Beiden harmonieren, wie spannend sie sich ergänzen, wie bereichernd sie einander weiter bringen.

Neue Erzählweise im zeitgenössischen Tanz: das Liebesdrama

Neu ist auch der Weg, das Thema zu transportieren. Im Grunde verläuft er über die Erzählung eines klassischen Liebesdramas. Durch die Abstraktion in der Form, wo neue Zeichen und Gesten für etwas Bekanntes stehen, bekommt jenes aber eine geheimnisvolle Dimension. Verstärkt wird sie durch die Erzählweise, die nicht chronologisch ist, sondern in doppeldeutigen Abschnitten aus realen bzw. scheinbaren Rückblenden, Introspektionen, Monologen erfolgt; und doch ist sie insgesamt wieder linear. Das Bühnenbild von Janina Audick wirft ein weiteres Rätsel auf. Es zeigt eine halbrunde Bühne mit seitlichen Vorhängen und Kinoleinwand in der Mitte - was für literarisch erzählte Geschichten steht, für das Theater, und damit für das eigene Theater, das sich jeder Mensch aus seiner eigenen Liebesgeschichte macht. Poetisch wird irgendwann das Bild einer Pusteblume eingeblendet, die den Raum mit wehmütiger Vergänglichkeit füllt.

Poesie trotz Konzeptualismus und Trauer

Poesie dominiert daher, obwohl Meg Stuart, so cool wie sie ist, mit tiefer und fester Stimme ins Mikrofon spricht, sie habe eine Postkarte geschrieben, worin sie gesagt habe, sie könne nicht ohne "ihn" leben. - "Ich nehme es zurück." Sie meinte, es sei heute unnötig, romantisch zu sein. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme gleiten angewinkelt zur Seite. - Sie wollte ihn (sein), obwohl er gar nicht ihr Typ war. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme rucken parallel nach oben. - Sie hätte Angst vor der Nähe gehabt. - "Ich nehme alles zurück." Die Poesie dominiert, weil bereits zuvor ihre aneinander geschmiegten Körper, jener des Mannes, jener der Frau, mit wiederkehrender Abweisung kämpften, Körper, deren Inneres expressive und doch subtile Emotion fühlten, und die ein kalter Wind und Glockenklänge in Dröhnsound umwehte, als sie endgültig auseinander gegangen waren. Ausgeläutet hatte ihre Beziehung der sehr professionell-stimmige, fast duchgehend auf der Bühne präsente Brüsseler Singer-Songwriter mit Elektrogitarrenspiel Niko Hafkenscheid. Er sang: "It may be forever." - So auch der Titel der Performance, Maybe Forever, selbst wenn dessen Sinn nur noch als Utopie für die Zukunft in anderer Paarkonstellation gelten kann, denn tatsächlich haben sich diese Liebenden ja verloren.

Zwischen Erinnerung und Zukunft

Obwohl sie momentweise als Körper wieder zusammen kommen, scheint das doch in Abwesenheit des Anderen statt zu finden, als Bild ihrer Sehnsucht nach ihm, seiner nach ihr, während sie sich gegenseitig langsam, jeder für sich allein, von einander lösen. Die sperrigen Haltungen stehen für den psychischen Kampf ihrer Beziehungsunmöglichkeit. Zielen ihre beiden Arme synchron nach oben, steht das aber doch wieder für deren insgeheim erhoffte Möglichkeit, selbst jetzt noch, wo es aus ist. In den Momenten, wo die Gesten zum Takt der Gitarre harmonieren, scheint auch alles zuversichtlich, trotz des offensichtlichen Schmerzes. Auch wenn der Sänger einen Walzer ankündigt, der dann keiner ist. Und dann zieht Meg ihre Schuhe aus, läßt sie als Erinnerung für "ihn" (Philipp) auf der Bühne zurück, während sie hinter den Vorhang geht, aus seinem Leben geht, aus ihrer beider Liebesgeschichte.

Die Jahreszeiten ziehen vorbei, und sie kommt wieder zurück, denn manchmal holt sie beide die frühere Abhängigkeit ein. Sie versuchen gemeinsam zu fliegen, mit schwachen, eingeknickten Flügelarmen. Zwischen Todesgedanken und lautstarker Eigenmotivation eines erzwungenen Ausrufs von "next, next, next...". Und so verblaßt das "Zurück" irgendwann endgültig gegenüber dem "Nach Vorne". "Du hast mir den Beginn meiner Geschichte gegeben", sagt Meg, und sie findet im roten Glitterkleid ihre neue, echte, passende Liebe (im Singer-Songwriter), und "Ich bin bereit ....", sagt Philipp im schwarzen Anzug, während seine Finger eine Geste des "... zu gehen" zeichnen. e.o.


DAS URTEIL DAS IST ROMANTISCHER KONZEPTTANZ MIT NACHWIRKUNG - ENDLICH ZWEI ZEITGENOSSEN, DEREN KÖRPER EIN INNENLEBEN HABEN! ENDLICH WIEDER MAL WAS GUTES IM TANZQUARTIER.

Unser nächster Tanztipp im Tanzquartier
Le Sacre du Printemps * trockene Studie übers Dirigieren (möglicherweise auch zum Lachen) * Von und mit: Xavier Le Roy (F) * Ort: Tanzquartier / Halle * Zeit: 13.-15.12.2007: 20h30

Friday, September 21, 2007

TANZ-PERFORMANCE: TRISHA BROWN BRINGT EINEN IN "EARLY WORKS" ZUM PLATZEN

Ein witziges Bild, doch zum Zusehen entsetzlich fad: Trisha Browns Floor Of The Forest, wo zwei Männer - auf einem Seilnetz gespannte - Kleider anziehen, um sich mit der Schwerkraft zu matchen.


TANZQUARTIER TRISHA BROWN IST IN EARLY WORKS SO UNSPEKTAKULÄR FAD - UND DABEI ABER SO SELBSTHERRLICH -, DASS MAN PLATZEN KÖNNTE

Gestern im Tanzquartier - das war mal wieder eine echte Zumutung, sodass man als Zuschauer glaubte, platzen zu müssen. Wie kommt ein Performancekünstler zu dieser maßlosen Selbstüber- und Fehleinschätzung, dass etwas, das ihn selbst beim Machen anregt, reicht, um einem, der zusieht, dasselbe Gefühl zu vermitteln! Man denkt sich - wie so oft in dieser Bewegungsstätte - in was für einer aussichtslos verlorenen Lebensphase diese zwanzig bis fünfzig Zuseher sein müssen, dass sie sich vormachen lassen, ihnen würde hier etwas geboten. Haben sie eine Art von Gehirnwäsche durchgemacht, werden sie erpresst, oder ist der einzige Grund dafür, dass sie in Wahrheit Hobby-Yoga-isten sind, die sich in den Turner auf der Bühne versetzen, um sich denken zu können, "ah, das mache ich beim nächsten Training auch, denn in Wahrheit bin auch ich ein "Künstler"!"?

Trisha Brown - heute besser als in den 70-ern

Nun ist ja die Amerikanerin Trisha Brown nicht irgendwer (war gerade bei der documenta XII). Bei ImPulsTanz 2005 tanzten drei Etoile-Spitzentänzer des Pariser Opernballetts ihre fragil-schöne Choreografie O zlózóny / O composite zu Laurie Andersons spröder Gedichtmusik, deshalb wollte man sich nun im Tanzquartier ihre Early Works von 1970 bis 1974 ansehen. - Was für eine Enttäuschung. Es war schon klar, dass ihr bekannter Stil des "Minimalismus", wo wiederholende Phrasen als Endlosschleife in stetig kleinen Abweichungen etwas mit Konzentration und Bewußtsein zu tun haben, kein großartiges Gefühlsspektakel werden würde - aber so mickrig hätte es nun auch wieder nicht sein müssen. Vielleicht wäre es ja mit etwas dramatischerer Lichtsetzung erträglicher geworden. Doch wenn das Programmkonzept allein schon "nichts" enthält, wird auch das "nichts" mehr nützen.

Zuerst bewegte die junge Sandra Grinberg in Accumulation mit rundem Bauch zu einem Hippiesong repetitiv ihre Hände und Füße - ziemlich fad. Dann kletterten zwei (wenigstens) gut gebaute Männer über ein Seilgerüst in Floor of the Forest, um sich die darauf gespannte Wäsche anzuziehen und so die Schwerkraft zu überwinden - für sie bei etwa 30 Minuten vielleicht abenteuerlich, für die rundum stehenden Zuseher: total fad. Dann wiederholten vier Tänzerinnen in Group Primary Accumulation eine sich allmählich verändernde Unisono-Ballett-Boden-Übung in 360°-Drehung - recht lang und daher lange fad. Die zwei Steckentänze Sticks und Figure Eight sind daraufhin Balanceacts und Vertrauensbeweise an die Partner - da kurz, halbwegs interessant. Und in Spanish Dance schließen vier Tänzerinnen Hintern-wackelnd im Dominoeffekt, nur mit Körper- nicht Augenkontakt am Gruppenrhythmus an - kurz und damit gerade noch erträglich. Alles zusammen: ärgerlich lächerlich! e.o.


DAS URTEIL TRISHA BROWN WAR IN DEN SIEBZIGERN OFFENSICHTLICH NOCH AM ANFANG. EINE DARBIETUNG ZUM SCHREIEN.

TANZ-PERFORMANCE Early Works * Von: Trisha Browon * Mit: TRISHA BROWN DANCE COMPANY (USA) * Ort: Tanzquartier / Halle G * Zeit: 21., 22.9.2007: 18h30 + 21., 22.9.2007: 20h30

Monday, May 07, 2007

TANZ: MATHILDE MONNIER UND CHRISTINE ANGOT IM "LA PLACE DU SINGE"-TEXTKAMPF

Wenn Christine Angot liest, "Aufstehen (=widersprechen) war in Mathildes Familie ausgeschlossen", verbiegt sich auch schon Mathilde Monniers widersetzender Körper. (Fotos © Marc Coudrais)



Mathilde bekommt so eine "Wut", dass sie die Worte (in ihrem Kopf) wie ein verspieltes Kind, erschießen will.
















Am besten ist, man entledigt sich dessen, was einen ärgert - so wie der Kleider und Nationalitäten.



TANZQUARTIER
MATHILDE MONNIER, DIE STARKE FRANZÖSISCHE - ECHTE - AUSNAHME - CHOREOGRAFIN WAR MIT EINEM SOLO IN WIEN: IN LA PLACE DU SINGE TANZT SIE MIT NICHTS ANDEREM ALS MIT UND GEGEN WORTE(N) - DER AUTORIN CHRISTINE ANGOT


Mathilde Monnier "liebt Literatur". Wenn man das von einer zeitgenössischen Tänzerin hört, möchte man eher nicht in ihre Vorstellung gehen. Denn zu befürchten ist: Wieder so eine, die über ihr "Werk" mehr quatscht, als es von selbst zu "sagen" in der Lage ist. Es ist unglaublich, wie mancher zeitgenössische Tänzer (Künstler) sich dadurch hinauf zu hieven versteht. Unverschämt unglaublich ist das. Mathilde Monnier nun aber, gehört nicht zu dieser Type. Denn sie "tanzt" und artikuliert Literatur auf der Bühne. Als eine der edelsten Erscheinungen im Tanzgeschehen weiß sie sich als Persönlichkeit genauso wie in unaufdringlich expressiver Weise auszudrücken. Ihr Frère et Soeur war letzten Sommer neben Ismael Ivos Solo das stärkste Ereignis des ImPulsTanz-Festivals.

"Menschlich" vergehen 55 Minuten schnell

Und jetzt kam sie mit dem "kleinen Stück" La Place du singe ins Wiener Tanzquartier.
55 Minuten können im zeitgenössischen Tanz lang sein. Wenn man nicht erkennt, was die Tänzer ansprechen oder wenn sie sich in Wiederholungen verlieren. Bei Mathilde Monnier kann man jede Bewegung nachvollziehen, obwohl ihre Bewegungen sperrig sind. Darin liegt die Kunst. Das ist bewegte Erzählung. Das ist interessant. Das ist kurzweilig. Das ist menschlich. Und wenn Mathilde Monnier selbst tanzt, liebt man sie auch als Mensch. Aber eben als sehr edlen! Denn ihre Bewegung ist von einer Anmut, einer Leichtigkeit, einer Gut-Erzogenheit, wie man sie hierzulande eigentlich überhaupt nicht findet. Und gerade die "gute Erziehung" ist nun aber ihr Thema, die von ihrer Herkunft stammt und in den Text ihrer Co-Partnerin, der Autorin Christine Angot, neben anderen Biografien zu einer verwoben wurde.

Der abgelegte Traum von der Bürgerlichkeit

Während die eine nun liest, die andere tanzt, möchte man glauben, der Text beschreibe jede von ihnen. Sie beide. Gut, Mathilde Monnier fast noch ein bißchen mehr: die "Angestellten"-Mutter käme aus einer jüdischen, mittellosen Familie, der Vater als großer Industriellen-Boss aus dem rassistischen Grossbürgertum, bei zuvor geäußerter Annahme, dass gerade solche Familien gerne ihre Familientradition "regelten". Deshalb hätte sie, die Bastard-Tochter, eigentlich immer lieber zur Familie des Vaters - den Besseren der Gesellschaft - gehört. - Sie lebten "angenehm" und "bequem", alles war gut "organisiert", und doch emotions- und spannungslos. Das war der Punkt, der Monnier tatsächlich betraf, wie sie in einem Interview erzählt. Und deshalb wurde sie Künstlerin. Weil sie das Bürgerliche, dessen Humorlosigkeit, dessen Schein-vor-Wahrheit-Manierlichkeit anwiderte.

Der gefährliche Traum von der Eigenständigkeit

Genau das tanzt Mathilde Monnier, während Christine Angot liest. Anfangs "knallt" sie übermütig in der Gestik eines kleinen Jungen, der eine Pistole hält und den Schuß aus dem Mund abfeuert, um sich, und auf die lesende Autorin. Selbstverständlich ist aber bereits das von einer Feinheit, wie sie nur eine Dame mit Witz haben kann. Und dann zieht sie sich aus, entledigt sich wortwörtlich ihrer Herkunft, steht mit schwarzer Unterhose da. Und was man sieht, ist sehr schön. Ein zartgliedriger, schmaler, der weiten Welt ausgelieferter Körper, aber mit trainierter und deshalb widerstandsfähiger, femininer Muskulatur, der sich frei und glücklich bewegt. Als er selbst. Behende balanciert die Zierliche über herein gestoßene und arrangierte Tische, deren Beine brennende Kerzen tragen. Und droht, abzurutschen, dazwischen zu fallen, weil sie im Stand nachgeben. Fiele sie durch, würde sie verbrennen. Auf diesem "unsicheren Boden", den sie nun "ohne Herkunft" ganz allein und ohne Rückhalt zu überqueren hat. Sie zieht sich also besser wieder an: eine Jeans, die ihr sehr gut paßt, einen roten Pulli, ein rosa Jäckchen, und "tanzt" zusammen mit der Autorin, mit dem Mikro in der Hand, einen rebellischen Rock-Song. - Auch so eine Art Boden, den man sich aufbauen kann.

Und der Kampf beginnt von vorn

"Ich beneide die Stiefgeschwister noch heute", liest Angot weiter, und Monniers Körper widerstrebt und hinterfragt sie von Neuem. Mit subtilem Witz tänzelt sie einen Kampf mit ihr aus, ohne sie je zu berühren. Denn ihre Worte, ihre Behauptungen sind ihre Gegner, als Stimmen in ihrem Kopf. Doch sie nimmt den Kampf gleichzeitig gelassen: es ist ernst und komisch zugleich, was sie da tanzt. Kann man auch nichts machen, hat ja jeder so seine Herkunft. Und es ist auch eine Ironie, dass Monnier ausgerechnet ihre Eleganz mit ihrer Eleganz austreiben will...

Tatsächlich denkt Monnier, dass die Herkunft heute gesellschaftlich keine Rolle mehr spielt, sagt sie im Interview: alles was zähle, sei Geld-zu-haben und berühmt-zu-sein. Hinzu kommt - und das sagt nun die Schreiberin dieses Kommentars -, dass solche Entweder-Oder-Behauptungen nur in der Kunst vorkommen, weil sie aus ästhetischen Kontrastgründen aufgestellt werden müssen. In Wahrheit ist das Wunschbild von einem selbst doch einem steten Wandel, dem ständigen Hin-und-Her, unterworfen. Aber das ist unwichtig: Schön war die Performance. e.o.


DAS URTEIL WAS IST DAS NUR FÜR EINE SEXY FRAU, DIESE MATHILDE MONNIER. ALS MANN MÜSSTE MAN SIE VERFÜHREN. ALS ZUSCHAUER MUSS MAN SIE, IHRE BEWEGUNG, IHRE ÄSTHETIK UND IHRE EIGENSTÄNDIGKEIT BEWUNDERN.

TANZ gustavia * "Humor" von und mit: Mathilde Monnier & La Ribot * Ort: Akademietheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 15., 18.7.2008: 21h