In Le Sacre du Printemps bewegt er sich nun selbst als Dirigent, und da er eine charakterlich-theatral wunderbar selbstironische Note hat, verdoppelt sich das zu einem "sehr, sehr lustig", das zudem noch analytisch erkenntnisreich ist. (Fotos © Vincent Cavaroc)
TANZQUARTIER DER FRANZÖSISCHE MOLEKULARBIOLOGE XAVIER LE ROY WIDMET SICH DER GENETISCHEN STRUKTUR VON SIR SIMON RATTLES ORCHESTERPROBE VON LE SACRE DU PRINTEMPS
Das mußte ja so kommen. Nachdem sich der performende Doktor der Molekularbiologie, Xavier Le Roy, 2005 in Mouvement für Lachenmann mit der Theatralität eines Orchesters bzw. von Musikern auseinander gesetzt hat, nimmt er sich 2007 jener des Dirigenten an. "Spielten" damals Musiker ohne Instrumente, so dirigiert Le Roy jetzt höchstpersönlich ohne Musiker, oder besser gesagt, das Publilkum-"Orchester", das dabei nichts zu tun hat, als ihm - wie immer - von der Tribüne aus frontal ins Gesicht zu blicken. Neben einer Portion unschlagbaren Witzes verbirgt sich hinter seiner Analyse von Neuem ein Haufen an tanz- und musikwissenschaftlichem Theoriewissen, das der Franzose als Meister der Ironie ganz bewußt den - fast so konzentriert wie er auf die Musik hörenden - Zuschauern vermittelt. Und so leicht, lustig und verspielt das wirkt, so viel Kraft kostet es ihn, sodass er am Ende der Darbietung im Wiener Tanzquartier sichtlich erledigt ist. Im Klartext: Le Roy ist nach "seinem" Dirigat von Strawinskys Le Sacre du Printemps so fertig, wie es für gewöhnlich echte Dirigenten sind, wenn sie sich mit jeder Faser ihres musikalischen Wesens ihrer Aufgabe hin gegeben haben. - Meist sind das dann auch die akustisch ergreifendsten Konzerte.
Analytischer Ironiemeister
Bei all dem einfachen äußeren Charme der Performances Le Roys ist es immer wieder erstaunlich, was für außergewöhnlich komplexe Ideen und eigenständige Zugänge ihnen zugrunde liegen. Le Roys Kreativität und angesehener Ruf im internationalen Konzepttanz fußt zweifellos auf genau diesen Geistesblitzen, die sich zu allererst aus seinem großen Witz gegenüber der ansonsten allzu ernsten zeitgenössischen Szene speisen. Doch da dieser Choreograf wie sie auf Basis der Semantik, der Zeichensprache im Tanz, arbeitet, wirkt er letztendlich genauso ernst zu nehmend intelligent, nur eben um vieles sympathischer. Jede Geste, jede Mimik, jeder Stillstand hat zu jeder Sekunde einen tieferen Sinn, selbst wenn ihn eine Lachwolke umgibt. Alles dient der im ausgleichenden Humor endenden Erkenntnis, sodass es - am Beispiel des Sacre du Printemps - sogar Leute wie den deutschen Medienphilosophen Dieter Mersch zu einem Essay animiert.
Dieter Mersch mit Le-Roy-Theorie
Spricht Mersch Le Roy als Prototyp des Performance-Künstlers "ein ständiges Changieren, ein ständiges Verrücken der Grenzen des Tanzes gegenüber anderen Kunstgattungen" zu, wo die Medienreflexion naturgemäß beginnt, so gründet das für ihn auf dem Faktum, inwiefern sich Le Roys Frühlingsopferung bezüglich früheren Inszenierungen unterscheidet: Die Erzählung des Opfertanzes des Jungfrauenkörpers unter (alten) Männern fällt weg, wofür nun die Botschaft über die philosophisch definierte Begegnung von Objekten und Wortbildern läuft, sprich Musik und Gestik, sodass dem "Tanz", der "Bewegung", selbst narrative Bedeutung zukommt. Das Besondere an Le Roy sei, dass er einen "nur scheinbaren Dialog" mit dem "Publikumorchester" halte, während er in einer eigenen Welt weile, wo die Musik in Wahrheit (immer schon) da ist. Die Rhythmen folgen dem Körper "Musik", und dieser Körper läßt sich nicht kontrollieren: "Dennoch schafft es Le Roy, durch seine "Dirigat-Befehle", die Zuschauer zu Akteuren zu machen, indem sie der Musik in ihre Details folgen müssen. Hören erscheint als Sehen, und Sehen als Hören." Das Kollektiv von Simon Rattles Filmdokumentation zur Le Sacre-Probe mit den Berliner Philharmonikern - die Inspiration des Choreographen für diese Performance - verwandle sich demnach zu Le Roys Solo, und werde mit den Zuschauern wiederum zu kollektivem Hören. "Somit führt Le Roy zum körperlichen Erleben der Musik der Zuschauer und von seiner selbst, was er durch individuelle Fantasiegesten unterstreicht. Und damit führt er das Stück auf seinen Kern zurück: auf den Körper."
Die Theorie in der Praxis
Wie nachvollziehbar Merschs Analyse ist, merkt man an Le Roys "Dirigat" tatsächlich, wenn er anfangs leicht zu spät hinter der Musik zum Einsatz auffordert, er mit leidenschaftlicher Gesichttheatralität einzelne Töne aus dem Klangteppich heraus zu ziehen scheint, sodass sie der Zuschauer bewußt hört. Die Miniboxen unter den Zuschauerstühlen füllen den akustischen Raum, als gingen die Töne wirklich von den Zuschauern aus. Zwischendurch spielt Le Roy den trockenen, resignierenden Clown, der still hält, während die Musik vom Tonband auch ohne ihn "richtig" weiterspielt. Manchmal tut er so, als wäre die plötzlich unterbrochene Stille von ihm befohlen, da sie dann aber wieder von selbst einsetzt, wird das sogleich revidiert. Gleichzeitig sorgt jede unerwartete Unterbrechung für erneute Spannung in der Performance selbst. Und würde Le Roy am Ende nicht nur erschöpft sein, sondern zusammen brechen, könnte man meinen, er hätte sich als Dirigent selbst statt der Jungfrau zum Opfer erklärt. Zum Opfer einer eigenen Illusion, da es den Dirigenten im Orchester letztendlich gar nicht zu brauchen scheint. - Eine Assoziation am Rande, die allerdings nur auf Le Roys echte Selbstironie zurück zu führen wäre; in Wahrheit ist dieser Ansatz in jeder Hinsicht die Offenbarung der theatralen Notwendigkeit eines Dirigenten - nicht nur für sich selbst, sondern für die Motivation des Orchesters, den Klang der Musik. e.o.
Das mußte ja so kommen. Nachdem sich der performende Doktor der Molekularbiologie, Xavier Le Roy, 2005 in Mouvement für Lachenmann mit der Theatralität eines Orchesters bzw. von Musikern auseinander gesetzt hat, nimmt er sich 2007 jener des Dirigenten an. "Spielten" damals Musiker ohne Instrumente, so dirigiert Le Roy jetzt höchstpersönlich ohne Musiker, oder besser gesagt, das Publilkum-"Orchester", das dabei nichts zu tun hat, als ihm - wie immer - von der Tribüne aus frontal ins Gesicht zu blicken. Neben einer Portion unschlagbaren Witzes verbirgt sich hinter seiner Analyse von Neuem ein Haufen an tanz- und musikwissenschaftlichem Theoriewissen, das der Franzose als Meister der Ironie ganz bewußt den - fast so konzentriert wie er auf die Musik hörenden - Zuschauern vermittelt. Und so leicht, lustig und verspielt das wirkt, so viel Kraft kostet es ihn, sodass er am Ende der Darbietung im Wiener Tanzquartier sichtlich erledigt ist. Im Klartext: Le Roy ist nach "seinem" Dirigat von Strawinskys Le Sacre du Printemps so fertig, wie es für gewöhnlich echte Dirigenten sind, wenn sie sich mit jeder Faser ihres musikalischen Wesens ihrer Aufgabe hin gegeben haben. - Meist sind das dann auch die akustisch ergreifendsten Konzerte.
Analytischer Ironiemeister
Bei all dem einfachen äußeren Charme der Performances Le Roys ist es immer wieder erstaunlich, was für außergewöhnlich komplexe Ideen und eigenständige Zugänge ihnen zugrunde liegen. Le Roys Kreativität und angesehener Ruf im internationalen Konzepttanz fußt zweifellos auf genau diesen Geistesblitzen, die sich zu allererst aus seinem großen Witz gegenüber der ansonsten allzu ernsten zeitgenössischen Szene speisen. Doch da dieser Choreograf wie sie auf Basis der Semantik, der Zeichensprache im Tanz, arbeitet, wirkt er letztendlich genauso ernst zu nehmend intelligent, nur eben um vieles sympathischer. Jede Geste, jede Mimik, jeder Stillstand hat zu jeder Sekunde einen tieferen Sinn, selbst wenn ihn eine Lachwolke umgibt. Alles dient der im ausgleichenden Humor endenden Erkenntnis, sodass es - am Beispiel des Sacre du Printemps - sogar Leute wie den deutschen Medienphilosophen Dieter Mersch zu einem Essay animiert.
Dieter Mersch mit Le-Roy-Theorie
Spricht Mersch Le Roy als Prototyp des Performance-Künstlers "ein ständiges Changieren, ein ständiges Verrücken der Grenzen des Tanzes gegenüber anderen Kunstgattungen" zu, wo die Medienreflexion naturgemäß beginnt, so gründet das für ihn auf dem Faktum, inwiefern sich Le Roys Frühlingsopferung bezüglich früheren Inszenierungen unterscheidet: Die Erzählung des Opfertanzes des Jungfrauenkörpers unter (alten) Männern fällt weg, wofür nun die Botschaft über die philosophisch definierte Begegnung von Objekten und Wortbildern läuft, sprich Musik und Gestik, sodass dem "Tanz", der "Bewegung", selbst narrative Bedeutung zukommt. Das Besondere an Le Roy sei, dass er einen "nur scheinbaren Dialog" mit dem "Publikumorchester" halte, während er in einer eigenen Welt weile, wo die Musik in Wahrheit (immer schon) da ist. Die Rhythmen folgen dem Körper "Musik", und dieser Körper läßt sich nicht kontrollieren: "Dennoch schafft es Le Roy, durch seine "Dirigat-Befehle", die Zuschauer zu Akteuren zu machen, indem sie der Musik in ihre Details folgen müssen. Hören erscheint als Sehen, und Sehen als Hören." Das Kollektiv von Simon Rattles Filmdokumentation zur Le Sacre-Probe mit den Berliner Philharmonikern - die Inspiration des Choreographen für diese Performance - verwandle sich demnach zu Le Roys Solo, und werde mit den Zuschauern wiederum zu kollektivem Hören. "Somit führt Le Roy zum körperlichen Erleben der Musik der Zuschauer und von seiner selbst, was er durch individuelle Fantasiegesten unterstreicht. Und damit führt er das Stück auf seinen Kern zurück: auf den Körper."
Die Theorie in der Praxis
Wie nachvollziehbar Merschs Analyse ist, merkt man an Le Roys "Dirigat" tatsächlich, wenn er anfangs leicht zu spät hinter der Musik zum Einsatz auffordert, er mit leidenschaftlicher Gesichttheatralität einzelne Töne aus dem Klangteppich heraus zu ziehen scheint, sodass sie der Zuschauer bewußt hört. Die Miniboxen unter den Zuschauerstühlen füllen den akustischen Raum, als gingen die Töne wirklich von den Zuschauern aus. Zwischendurch spielt Le Roy den trockenen, resignierenden Clown, der still hält, während die Musik vom Tonband auch ohne ihn "richtig" weiterspielt. Manchmal tut er so, als wäre die plötzlich unterbrochene Stille von ihm befohlen, da sie dann aber wieder von selbst einsetzt, wird das sogleich revidiert. Gleichzeitig sorgt jede unerwartete Unterbrechung für erneute Spannung in der Performance selbst. Und würde Le Roy am Ende nicht nur erschöpft sein, sondern zusammen brechen, könnte man meinen, er hätte sich als Dirigent selbst statt der Jungfrau zum Opfer erklärt. Zum Opfer einer eigenen Illusion, da es den Dirigenten im Orchester letztendlich gar nicht zu brauchen scheint. - Eine Assoziation am Rande, die allerdings nur auf Le Roys echte Selbstironie zurück zu führen wäre; in Wahrheit ist dieser Ansatz in jeder Hinsicht die Offenbarung der theatralen Notwendigkeit eines Dirigenten - nicht nur für sich selbst, sondern für die Motivation des Orchesters, den Klang der Musik. e.o.
DAS URTEIL XAVIER LE ROY IST DER GEISTREICH-LUSTIGSTE PERFORMANCE-KÜNSTLER, DEN DER INTERNATIONALE ZEITGENÖSSISCHE TANZ HAT - SEINE LE SACRE-IDEE IST AUSSERGEWÖHNLICH.
PERFORMANCE Le Sacre du Printemps * Konzept und Performance: Xavier Le Roy * Musik: Igor Stravinsky * Aufnahme: Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle * Künstlerische Mitarbeit: Berno Polzer, Bojana Cvejic * Produktion: in situ productions (D) und Le Kwatt (F) * Koproduktion: Centre chorégraphique national de Montpellier Languedoc-Roussillon (Xavier Le Roy ist Associated Artist 2007/08), Les Subsistances / Residence - Lyon, Tanz im August - Internationales Tanzfest 2007 - Berlin, PACT Zollverein Choreographisches Zentrum NRW - Essen
PERFORMANCE Le Sacre du Printemps * Konzept und Performance: Xavier Le Roy * Musik: Igor Stravinsky * Aufnahme: Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle * Künstlerische Mitarbeit: Berno Polzer, Bojana Cvejic * Produktion: in situ productions (D) und Le Kwatt (F) * Koproduktion: Centre chorégraphique national de Montpellier Languedoc-Roussillon (Xavier Le Roy ist Associated Artist 2007/08), Les Subsistances / Residence - Lyon, Tanz im August - Internationales Tanzfest 2007 - Berlin, PACT Zollverein Choreographisches Zentrum NRW - Essen
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