... sodass etwa Mamas Liebling, der Erstgeborene Richard (Markus Meyer hinten), verliebt in Philippe (Tomasz Tyndyk) schwul, aber ebenso kalt wie die Mutter wird ...
... und Richard nicht nur seine machthungrigen Brüder Geoffrey (Philipp Hauß) und Papa-Söhnchen John (Sven Dolinski) bedroht, sondern am Ende auch den Vater. (Fotos © Georg Soulek)
BURGTHEATER REGIE-NESTROY-PREISTRÄGER GRZEGORZ JARZYNA MACHT AUS DER LÖWE IM WINTER EIN POLNISCH GEFÄRBTES FAMILIEN-WIRTSCHAFTSIMPERIUM AUS DEM HAUSE HENRYS II
Die Atmosphäre ist in Regisseur Grzegorz Jarzynas Burgtheater-Inszenierung Der Löwe im Winter ganz so, als würde man durch die teuren Einkaufsstraßen in Warschau schlendern, wo die Herren über Anzügen lange Mäntel und elegante Hüte tragen, manche junge Neureiche in chiquen, leicht flippigen Silhouetten dazwischen treiben, und die Frauen gestylt als Diven, Kreative oder Sexobjekte trippeln. In Warschau herrscht zweifellos Stilbewußtsein, genauso wie in Mailand oder Paris. Modernen Stil trägt so auch das James Goldman-Historienstück über den Familienkampf des englischen Königs Henry II, umgesetzt vom 40-jährigen Jarzyna, Theaterdirektor des TR Warszawa, der gerade den österreichischen Regie-Nestroy für seine Medea im Kasino am Schwarzenbergplatz bekommen hat. Obwohl man nörgeln könnte, dass seine neue Arbeit für westliche Verhältnisse eigentlich eher unserer Mode der 80-er entspricht, jener von Denver Clan und Dallas, die da auf der Bühne zu sehen ist. Selbst wenn Magda Maciejewskas ausgestatteter "Wohnraum der Familie" - mit Drehtüre und Möbeln, Glaswänden und geradliniger Großräumigkeit - an eine Hotellobby erinnern mag, was dem globalen Jetzt wieder näher wäre als etwa eine "Villa" oder ein "Schloß".
Familienwirtschaftsbonzen als Könige von heute
Äußerlich edles Business - das steht für die weltweite, jetzige High-Class-Menschheitsrepräsentation, die das höchste Ansehen der Geschicke-lenkenden Monarchen und Staatsherren ersetzt. Durchgehend auf der Bühne präsent spielt dazu ein fantastisch virtuoser Pianist (z.Bsp. Leszek Mozdzer) wie ein exklusiv engagierter Privat-Clubmusiker neue bis postmoderne Klassik. Sein angenehmer, untermalender und dramatikbegleitender Klang hebt die vor einander offen praktizierte Zu- und Abneigung einzelner Familienmitglieder auf eine überhöhte, doch scheinheilig distanzierte Ebene, sodass der Schmerz jener, die sich ungeliebt oder weniger geliebt fühlen, über Videomonitore umso heftiger zum Ausdruck kommt. Ein Gefühl einer von Eifersucht getriebenen Eiseskälte, die von der märchenhaften "Schneekönigin" abstrahlt - übrigens ein oft vorkommender Querverweis im polnischen Theater -, deren eisige Silhouette zeitweilig die Gattin Henrys, Eleanor (die auratisch-präsente Sylvie Rohrer), annimmt. Sie ist die Antriebsfeder für den zwischenmenschlichen Gefühlsuntergang dieser Familie, die sprichwörtlich durch sichtbaren Regen und Schneefall wandert. Jedes Vertrauen, jede Liebesbekundung wird mit Mißtrauen und Enttäuschung belohnt. Denn die Macht und Gier scheint die Menschen zu verändern, die anfangs doch nur Liebe wollten und sich am Ende noch immer danach sehnen. Bekommen werden sie sie nie, nach all den Schandtaten voller böswilliger Vorhaben bis zu Mordabsichten, die jedes Vertrauen untergraben haben.
Gier nach Macht, obwohl nach Gefühl
Stellt Vater Henry (starker Charakter: Wolfgang Michael) innerhalb seines dekadenten Erscheinungsbildes mit langen Zotteln einen anarchischen Querdenker dar, so finden wir das in geschwächelter Ableitung auch in seinem jüngsten, leicht hysterischen Sohn Johnny (Sven Dolinski), den er "als schwarzes Schaf der Familie" am meisten liebt: ein "Schaf" in ewig betrunkener Partystimmung, das in Stöckelschuhen nicht zur Jagd gehen will. Ein wenig erinnert das Ganze an Tennessee Williams´ Die Katze auf dem heißen Blechdach, da der älteste, seriöseste Sohn, Richard (Markus Meyer), als natürlicher Nachkomme für die Chefposition vom Vater dafür kaum in Erwägung gezogen wird. Denn er ist der, bis zur erotischen Anziehung erkorene Liebling von Gattin Eleanor, der sie als Erstgeborener einst von ihrem Ehemann entfernte.
Gänzlich auf der Zuneigungsstrecke bleibt das typische Sandwich-Kind Geoffrey (Philipp Hauß), der vergebens um Liebe bettelt und deshalb zum Intrigantesten von allen wird. Der einzig logische Sinn liegt für ihn in der von den Kapitalisten legitimierten "Wirtschaftsheilung", die akustisch verstärkt ertönt: "Gier bringt die Befreiung, um die Firma zu retten." Die Fähigkeit zur Intrige erbte er zynischerweise von seiner Mutter, die ebenfalls von niemandem (außer Geoffrey) geliebt wird, nicht einmal von Richard, der ihr "Medea-kaltes Herz" verachtet und eigentlich schwul ist, nachdem er in Paris als Junge von Vaters Wirtschaftspartner, Philippe, verführt wurde, der wiederum seine Schwester Alias Capet als künftige Braut des herrschenden Nachkommen an die englische Familie verschachert hat. Alias treibt es aber schon seit Teenager-Tagen mit Henry. Brisant dabei ist, dass sämtliche ernste und nur zum-Schein-nach-außen-eingegangenen Liaisonen jedem Familienmitglied klar sind. Die bildliche Vorstellung beim ernstgefühlten Liebesakt wird in den Köpfen der eifersüchtig Außenstehenden umso lebendiger. Sie ist so präsent, akut, sie tut so weh, dass die Söhne irgendwann mit dem Revolver gegen den Vater vorgehen, und der Vater gegen die Söhne - entsprechend Alias´ Worten während eines Wunschmoments der gemeinsamen Zukunft mit "Löwe" Henry: "Du mußt Deine Söhne töten, weil sie sonst dich oder unsere Kinder töten werden."
Polen als globales Opfer
Mit melodiös und subtil eingeflochtenen, visuellen Effekten - wie von einem, sich zwecks neuerlicher Stärkung hantelnden Henry in der Ferne, während Eleanor Richard gegenläufig die Firma verspricht oder akustischem Mix wie kaltem Windgebläse -, werden die einstigen Ziele von Macht und Poesie von Eleanor spürbar, die den Zuschauer mit mikrofon-verständlichen Schauspielern eindringlich und durchgehend gefangen nehmen. Makaber unser Jetzt aufzuwühlen, scheint dabei ausgerechnet Eleanors Satz: "Wir haben alle Waffen, im 21. Jahrhundert sind wir Barbaren. Um Christi Willen sollten wir uns lieben!" Er zeugt für die rare globale, aber polnische Religiosität. Und dass Jarzyna Philippe und Alias sehr bewußt mit zwei akzentsprechenden Polen besetzt - mit der billigblond aufgemotzten, naiven Katarzyna Warnke und dem Yuppie-schwul-gestylten Tomasz Tyndyk - das steht auch für die Angst der Polen, sich an den Westen verkaufen zu müssen, um am Weltmarkt teilhaben zu können. e.o./a.c.
Die Atmosphäre ist in Regisseur Grzegorz Jarzynas Burgtheater-Inszenierung Der Löwe im Winter ganz so, als würde man durch die teuren Einkaufsstraßen in Warschau schlendern, wo die Herren über Anzügen lange Mäntel und elegante Hüte tragen, manche junge Neureiche in chiquen, leicht flippigen Silhouetten dazwischen treiben, und die Frauen gestylt als Diven, Kreative oder Sexobjekte trippeln. In Warschau herrscht zweifellos Stilbewußtsein, genauso wie in Mailand oder Paris. Modernen Stil trägt so auch das James Goldman-Historienstück über den Familienkampf des englischen Königs Henry II, umgesetzt vom 40-jährigen Jarzyna, Theaterdirektor des TR Warszawa, der gerade den österreichischen Regie-Nestroy für seine Medea im Kasino am Schwarzenbergplatz bekommen hat. Obwohl man nörgeln könnte, dass seine neue Arbeit für westliche Verhältnisse eigentlich eher unserer Mode der 80-er entspricht, jener von Denver Clan und Dallas, die da auf der Bühne zu sehen ist. Selbst wenn Magda Maciejewskas ausgestatteter "Wohnraum der Familie" - mit Drehtüre und Möbeln, Glaswänden und geradliniger Großräumigkeit - an eine Hotellobby erinnern mag, was dem globalen Jetzt wieder näher wäre als etwa eine "Villa" oder ein "Schloß".
Familienwirtschaftsbonzen als Könige von heute
Äußerlich edles Business - das steht für die weltweite, jetzige High-Class-Menschheitsrepräsentation, die das höchste Ansehen der Geschicke-lenkenden Monarchen und Staatsherren ersetzt. Durchgehend auf der Bühne präsent spielt dazu ein fantastisch virtuoser Pianist (z.Bsp. Leszek Mozdzer) wie ein exklusiv engagierter Privat-Clubmusiker neue bis postmoderne Klassik. Sein angenehmer, untermalender und dramatikbegleitender Klang hebt die vor einander offen praktizierte Zu- und Abneigung einzelner Familienmitglieder auf eine überhöhte, doch scheinheilig distanzierte Ebene, sodass der Schmerz jener, die sich ungeliebt oder weniger geliebt fühlen, über Videomonitore umso heftiger zum Ausdruck kommt. Ein Gefühl einer von Eifersucht getriebenen Eiseskälte, die von der märchenhaften "Schneekönigin" abstrahlt - übrigens ein oft vorkommender Querverweis im polnischen Theater -, deren eisige Silhouette zeitweilig die Gattin Henrys, Eleanor (die auratisch-präsente Sylvie Rohrer), annimmt. Sie ist die Antriebsfeder für den zwischenmenschlichen Gefühlsuntergang dieser Familie, die sprichwörtlich durch sichtbaren Regen und Schneefall wandert. Jedes Vertrauen, jede Liebesbekundung wird mit Mißtrauen und Enttäuschung belohnt. Denn die Macht und Gier scheint die Menschen zu verändern, die anfangs doch nur Liebe wollten und sich am Ende noch immer danach sehnen. Bekommen werden sie sie nie, nach all den Schandtaten voller böswilliger Vorhaben bis zu Mordabsichten, die jedes Vertrauen untergraben haben.
Gier nach Macht, obwohl nach Gefühl
Stellt Vater Henry (starker Charakter: Wolfgang Michael) innerhalb seines dekadenten Erscheinungsbildes mit langen Zotteln einen anarchischen Querdenker dar, so finden wir das in geschwächelter Ableitung auch in seinem jüngsten, leicht hysterischen Sohn Johnny (Sven Dolinski), den er "als schwarzes Schaf der Familie" am meisten liebt: ein "Schaf" in ewig betrunkener Partystimmung, das in Stöckelschuhen nicht zur Jagd gehen will. Ein wenig erinnert das Ganze an Tennessee Williams´ Die Katze auf dem heißen Blechdach, da der älteste, seriöseste Sohn, Richard (Markus Meyer), als natürlicher Nachkomme für die Chefposition vom Vater dafür kaum in Erwägung gezogen wird. Denn er ist der, bis zur erotischen Anziehung erkorene Liebling von Gattin Eleanor, der sie als Erstgeborener einst von ihrem Ehemann entfernte.
Gänzlich auf der Zuneigungsstrecke bleibt das typische Sandwich-Kind Geoffrey (Philipp Hauß), der vergebens um Liebe bettelt und deshalb zum Intrigantesten von allen wird. Der einzig logische Sinn liegt für ihn in der von den Kapitalisten legitimierten "Wirtschaftsheilung", die akustisch verstärkt ertönt: "Gier bringt die Befreiung, um die Firma zu retten." Die Fähigkeit zur Intrige erbte er zynischerweise von seiner Mutter, die ebenfalls von niemandem (außer Geoffrey) geliebt wird, nicht einmal von Richard, der ihr "Medea-kaltes Herz" verachtet und eigentlich schwul ist, nachdem er in Paris als Junge von Vaters Wirtschaftspartner, Philippe, verführt wurde, der wiederum seine Schwester Alias Capet als künftige Braut des herrschenden Nachkommen an die englische Familie verschachert hat. Alias treibt es aber schon seit Teenager-Tagen mit Henry. Brisant dabei ist, dass sämtliche ernste und nur zum-Schein-nach-außen-eingegangenen Liaisonen jedem Familienmitglied klar sind. Die bildliche Vorstellung beim ernstgefühlten Liebesakt wird in den Köpfen der eifersüchtig Außenstehenden umso lebendiger. Sie ist so präsent, akut, sie tut so weh, dass die Söhne irgendwann mit dem Revolver gegen den Vater vorgehen, und der Vater gegen die Söhne - entsprechend Alias´ Worten während eines Wunschmoments der gemeinsamen Zukunft mit "Löwe" Henry: "Du mußt Deine Söhne töten, weil sie sonst dich oder unsere Kinder töten werden."
Polen als globales Opfer
Mit melodiös und subtil eingeflochtenen, visuellen Effekten - wie von einem, sich zwecks neuerlicher Stärkung hantelnden Henry in der Ferne, während Eleanor Richard gegenläufig die Firma verspricht oder akustischem Mix wie kaltem Windgebläse -, werden die einstigen Ziele von Macht und Poesie von Eleanor spürbar, die den Zuschauer mit mikrofon-verständlichen Schauspielern eindringlich und durchgehend gefangen nehmen. Makaber unser Jetzt aufzuwühlen, scheint dabei ausgerechnet Eleanors Satz: "Wir haben alle Waffen, im 21. Jahrhundert sind wir Barbaren. Um Christi Willen sollten wir uns lieben!" Er zeugt für die rare globale, aber polnische Religiosität. Und dass Jarzyna Philippe und Alias sehr bewußt mit zwei akzentsprechenden Polen besetzt - mit der billigblond aufgemotzten, naiven Katarzyna Warnke und dem Yuppie-schwul-gestylten Tomasz Tyndyk - das steht auch für die Angst der Polen, sich an den Westen verkaufen zu müssen, um am Weltmarkt teilhaben zu können. e.o./a.c.
DAS URTEIL EIN EINDRINGLICH ERZÄHLTES, YUPPIE-GEFÄRBTES STÜCK DER GLOBALEN GEFÜHLSKÄLTE IN POLNISCHER MODERNE. GUT VERSTÄNDLICH UND VIRTUOS GEMACHT, SEHR GUT BESETZT, ABER DENNOCH KEINE ABSOLUTE SENSATION.
THEATER Der Löwe im Winter * Von: James Goldman * Neu übersetzt von Susanne Meister * Fassung und Regie: Grzegorz Jarzyna * In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA * Ausstattung: Magda Maciejewska * Musik: Jacek Grudzien * Mit: Wolfgang Michael, Sylvie Rohrer, Markus Meyer, Philipp Hauß, Sven Dolinski, Katarzyna Warnke, Tomasz Tyndyk * Wechselnde Pianisten: Stefan Kallin, Piotr Mania, Leszek Mozdzer * Ort: Burgtheater * Zeit: 117.+25.3.2008: 20h, 11.+15.4.2008: 19h30
THEATER Der Löwe im Winter * Von: James Goldman * Neu übersetzt von Susanne Meister * Fassung und Regie: Grzegorz Jarzyna * In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA * Ausstattung: Magda Maciejewska * Musik: Jacek Grudzien * Mit: Wolfgang Michael, Sylvie Rohrer, Markus Meyer, Philipp Hauß, Sven Dolinski, Katarzyna Warnke, Tomasz Tyndyk * Wechselnde Pianisten: Stefan Kallin, Piotr Mania, Leszek Mozdzer * Ort: Burgtheater * Zeit: 117.+25.3.2008: 20h, 11.+15.4.2008: 19h30
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