Tuesday, December 04, 2007

FILM: "LIEBESLEBEN" VERFILMT VON MARIA SCHRADER NACH SHALEVS SEXROMAN

Jara (Netta Garti) hat einen einfühlsamen Ehemann (Ishai Golan): da sie das Gegenteil noch nicht kennenlernte, weiß sie aber nicht, was das eigentlich wert ist ...

So lässt sie sich vom geheimnisumwitterten, viel älteren Arie (Rade Sherbedgia) auf ein Sexabenteuer der völligen Entmachtung ein ...

... und lernt sich selbst und ihre wahren Liebes- und Lebensbedürfnisse kennen. - Der nächste, geeignete Partner wird somit wohl zwischen einem Arie und einem langweiligen Joni liegen. (Screenshots © Filmladen Filmverleih)


JETZT IM KINO SEXUELLE ERNIEDRIGUNG UND MENSCHLICHE ENTMACHTUNG ALS SCHLÜSSEL ZUR BEWUSSTEN LEBENSGESCHICHTE EINER FRAU - MARIA SCHRADER HAT DEN BESTSELLER DER ISRAELISCHEN AUTORIN ZERUYA SHALEV REIZVOLL VERFILMT

Sucht sich eine zunächst noch subjekthafte Frau einen Mann, der sie demütigt, unterwirft, der sie - über die spielerische Schlafzimmer-Ebene hinaus - zum willenlosen Objekt degradiert, dann stimmt mit ihr wahrscheinlich psychisch etwas Fundamentales nicht. Es könnte aber auch sein, dass sie mit ihrem Leben unterbewußt unzufrieden ist, weshalb dieser Mann es gewaltsam zerstören muss. Ihr selbst fehlt dafür wohl der Mut. In direktem Sinne. Dieser Mann muss sie indirekt zwingen, "als Nichts" von Neuem zu beginnen, weshalb "so ein Mann" nur Mittel bzw. Weg sein wird und nicht bleibender Teil des Neuen.
Bei einer sehr jungen Frau hingegen mag diese Machowahl instinktiv begründet sein. Indem Neugierde und Abenteuerlust sie drängen, die äußersten Grenzen der erotischen Hingabe erfahren zu wollen, einschließlich des provozierten Tränenmeers, des Risikos, sich selbst irgendwann abgrundtief zu verachten. Mancher Frau wird das wiederum helfen, um zu begreifen und für die Zukunft auszuwägen, worauf es ihr für "ihre" echte Liebe oder überhaupt "ihre" persönliche Lebensgeschichte tatsächlich ankommt. Manche könnte darüber als Mensch aber auch endgültig zerstört sein.

Abenteuerin und Ausbrecherin in einer Frau

Die im deutschen Raum gefeierte Schauspielerin Maria Schrader hat nun in ihrem Regiedebut mit dem deutsch-israelischen Spielfilm Liebesleben, basierend auf dem gleichnamigen Bestseller der Israelin Zeruya Shalev, beide Frauentypen in einer Figur vereint: Jara repräsentiert durch die Schauspielerin Netta Garti sowohl die instinktive, junge Abenteuerin, als auch die reifere, etwa 30-jährige Romanheldin, die sich bewußt treiben und führen lassend ausbrechen will. Und wundersamer Weise erscheint Jara im Film dadurch samt ihres Abenteuers mit dem ca. 25 Jahre älteren Mann Arie (Rade Sherbedgia) sympathischer, positiver, angenehm anregender als Jara im Roman. Da sich die demütigende Erfahrung als klare, abschnittsbezogene Lehrphase zur eigenen Erkenntnis heraus schält, während sie im Buch unterschwellig zum Ideal eines aufregenden Sexuallebens-an-sich hoch stilisiert wirkt. Dieser Eindruck könnte allerdings auch daher rühren, dass die Leseerfahrung viel ausgedehnter, detaillierter, länger stattfindet, als die Sichtung eines 109-minütigen Spielfilms, selbst wenn zu dessen schöner Atmosphäre eindeutig introspektiv-aufregender Kamera- und Rhythmusstil beitragen.

Der ältere Mann und die Abenteuerin

Dass Laras Leben an der Kippe zum Aufbruch steht, erkennt man zu Beginn, nachdem ihr Arie, der aus Frankreich heim nach Israel gekehrte Jugendfreund ihrer Eltern, über den Weg rennt. Er verwirrt und zieht Lara sofort an; er schürt ihre Neugierde noch, da auch ihre Eltern große Bewunderung für ihn hegen. Mit seiner Anarcho-Selbstshow repräsentiert Arie den intellektuellen und ästhetischen Lebenskünstler, der über den provinziellen, kleinkarierten Menschen in engem Familienverbund steht. Jara studiert an der Universität Vergleichende Religionswissenschaft, mit Aussicht auf eine Assistentenstelle, was jedoch davon abhängt, ob sie ihre Diplomarbeit anfängt. Und wie in ihrem Eheleben mit dem liebevoll-aufmerksamen, aber uninteressanten Joni (Ishai Golan) alles ohne Leidenschaft und Ziel dahin läuft, weiß Lara auch hier nicht, worüber sie schreiben "muss". Sie lässt sich daher ablenken, von Arie, dem sie in einem Modegeschäft, wo sie sich zufällig begegnen, gleich mal in einer Umziehkabine an sein bestes Stück greift, wonach sie ihn in seinem Haus aufsucht, und er sie ohne Vorspiel von hinten nimmt und danach rausschmeißt. "Das war nicht gut für mich!", schreit Jara auf der Straße, und damit beginnt nun das rätselvolle Spiel.

Der Schlüssel zur eigenen Lebensgeschichte

Wie dringend Lara etwas Bestimmtes sucht, zeigt bereits die Szene, in der sie sich egoistisch und verlogen nach dem Unfalltod der geliebten Katze ihrer Freundin verhält, den sie mitverantwortet hat. Sie lässt von ihrem Weg ins Abenteuer keine Sekunde ab, alles, was zählt, sind ihre angstvollen Ohnmachtsvorstellungen in subjektiver Kamera. Jara "will" den Boden unter den Füßen verlieren, obwohl ihr dieser geheimnisvolle Fremde sagt, "bleib bei dem, was du hast". Doch sie lässt sich nicht stoppen und fährt mit Arie über eine einsame Wüstenlandschaft zu einem Hasch-Freund, bei dem Lara zu Dreiersex gedrängt wird - da jener Freund sie als Tochter ihres Vaters erkennt, schämt sie sich zutiefst. Als Anonyme hätte sie das Erlebnis möglicherweise von sich entfernt lustvoller erfahren können, als "Identität" ist es ihr peinlich. - Ein weiteres, negatives Indiz, sich als Selbst mit Wunschgrenzen künftig zu positionieren. Der gelangweilte Arie weiß die ganze (von ihm initiierte) Aktion jedoch nur so zu erklären: "Du bist hungrig, und ich bin satt." Desillusioniert zeigt sich Lara darauf hin eine innere Vison von sich selbst, in der sie blutig überfahren am Straßenrand liegt.

Die Ernüchterung im Entmachtungsrausch zwischen Selbstunsicherheit und Seinswunsch eskaliert, als Arie bei sich zuhause ein Fest organisiert und Laras Eltern einlädt, während er die junge Frau im Schlafzimmer eingesperrt hält, ihr Vater durch einen Zufall aber dennoch registriert, dass sie bei seinem Freund gerade ihren Ehemann betrügt. Und damit wiederholt sich ein Spiel, das seinen Ursprung bereits viel früher nahm. Denn als Höhepunkt der Verletzung muss Lara erkennen, dass es Arie gar nie um sie gegangen ist, sondern um seine "einzig wahre Liebe": Laras Mutter. Sie verließ ihn einst, weil er keine Kinder zeugen kann. Die ganze Affaire erklärt sich somit als religiöses Urthema von der elterlichen Schuld, die sich auf die Kinder übertragt: als traumatisches Erbe. Das ist Schuld und Sühne in Sippendimension. Aber auch psychologisch wahr. - Immerhin weiß Lara am Ende: "Es ist nicht wichtig, dass du mich liebst. Denn ich weiß jetzt, worüber ich schreiben will." In Laras Fall könnte man (im Film) daher durchaus von einem Happy End sprechen ... e.o./a.c.

Regisseurin Maria Schrader ist demnächst im Exklusiv-Gespräch auf intimacy: art in artists / talks zu lesen und zu hören


DAS URTEIL DER FILM IST BEI TOLLER KAMERA WEITAUS ANGENEHMER ZU ERTRAGEN ALS DAS BUCH - AUCH WEIL LARA AUS DEN SEXUELLEN DEMÜTIGUNGEN LERNT UND DAMIT ERNST ZU NEHMEND SYMPATHISCH IST.

FILM Liebesleben * Regie und Co-Drehbuch: Maria Schrader * Roman: Zeruya Shalev * Filmverleih: Filmladen * Produzent: Stefan Arndt, Andro Steinborn, Marek Rozenbaum * Mit: Netta Garti, Rade Sherbedgia, Ishai Golan, u.a. * Deutschland / Israel 2007 * Kinostart in Österreich: 7.12.2007

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