Monday, April 09, 2007

OPER: NICOLA RAAB INSZENIERT "WHEN SHE DIED" UND "EIGHT SONGS FOR A MAD KING"

Fotos von ©Christian Husar: Die Bühne von Duncan Hayler als Riesenfernseher steht einerseits für die deformierte Massenpsyche des heutigen TV-Volkes, das in When She Died nur noch "dumme" Geschichten projiziert, anstatt selbst zu leben ...

... was die Bühne erst recht betont, wenn sie auch als Hintergrund zu Eight Songs for a Mad King dient, worin der geniale Bariton Martin Winkler von seinem klaustrophoben Geisteswahn in einem Vogelkäfig singt, während die ihn umgebenden Instrumentalisten die freien Vögel darstellen.

Wird in When She Died nur ein außenstehender, fernsehfreier Bettler (Mentu Nubia) zum weisen König ...

... so wird auch der irre König Geoge III in Eight Songs for a Mad King am Ende zum "rückblickenden" Bettler, als er noch - fern von aller Hofes- (Fernseh-)Dekadenz - demütig eingestellt war.


WIENER KAMMEROPER VOM WAHNSINN EINES BRITISCHEN KÖNIGS ZUM HEUTIGEN FERNSEH-IRRSINN DER MASSE - EINE DEMOKRATISCHE STEIGERUNG; EIN GEWAGTER DOPPEL-OPERNABEND DER ZWEI BRITISCHEN KOMPONISTEN JONATHAN DOVE UND PETER MAXWELL DAVIES


Das ist ein hochinteressantes Experiment, was sich die Wiener Kammeroper da leistet: Stünde allerdings der erste Teil, die 2002 von Jonathan Dove komponierte Oper When She Died für sich allein, müßte man sagen, was für ein stupides Stück Musiknarration! Was für ein Armutszeugnis für unsere Zeit! Denn diese "Oper" wurde für das britische Fernsehen (Channel 4) geschrieben; und ist das Fernsehen die heutige Volksbildungsstätte schlechthin, kann sie in diesem Zusammenhang nur "armselig" genannt werden. Das Ärgste daran: der Text. Sätze, die eins-zu-eins den Äußerungen von Passanten vor TV-Kameras auf den Tod Prinzessin Dianas 1997 hin entnommen wurden, verbrochen durch David Harsent, der "auch" fürs Fernsehen schreibt. Und die, fast durchgehend, ausgesprochen guten, anglistisch- australisch- amerikanischen Sänger hatten diesen Mist zu lernen. Das grenzt an sadistische Nötigung!

Dumme Fernseh-Menschen, weise TV-lose Bettler

Inhaltlich hinzu konstruiert wurde dem ein Durchschnittspaar, wovon die Frau (Mezzosopranistin Suzanne Carey) nach London möchte, um der Prinzessin die letzte Ehre zu erweisen - wie es auch die an Kerzendekor vor Dianaporträts rundum der Kammeroper vorbeigehenden Theaterbesucher "müssen" -, der Mann dieser Frau (Bass-Bariton Steven Gallop) aber ausgerechnet da Probleme mit dem Auto hat. Außerdem geht es um die seelisch lädierte, unfruchtbare Annie (Sopranistin Marianne Gesswagner), die vom Tod der schwangeren Diana auf den Kindstod ihres eigenen Babies schließt, sowie um den gestörten Ryan (Tenor Michael Spyres), der eine Diana-Doppelgängerin (stimmlich als Einzige weniger gewinnend: Mezzo-Sopranistin Gisela Theisen) zwecks Sühneopfer-Ritual engagiert, um Diana auf ihrem Himmelsgang von der Last der Sünde zu befreien. Und es geht um einen schwarzen Obdachlosen, der das Geschehen beobachtet und kommentiert.

Die naiven Sätze, die teilweise gebetsartig klingen, dienen wie eine Entschuldigung für die filmisch konventionelle Musik, die das Ganze transportiert, und um die es letztendlich wohl gehen sollte. Dazu ein anspruchsvoller Solistenchor, der ab Mitte des Stücks aus dem Zuschauerraum aufsteht, Leuten Kerzen in die Hände drückt und anfängt zu singen. Als einziger Held erstrahlt der Bettler, Bass Mentu Nubia, der sich als objektiver Außenstehender die Krone aufsetzt (wobei aber auch er unsäglich dümmliche Worte äußert). - Sozusagen als arm, aber weise Gebliebener mit gesundem Menschenverstand.

Vom Irrsinn zum Geniestreich

Diese ausgedachte Interpretation vom "gesunden" Bettler mit der Krone dient dann als Verbindungselement zum zweiten Operneinakter Eight Songs for a Mad King von Peter Maxwell Davies aus dem Jahr 1969. Und dachte man sich zuvor noch, warum hat sich Regisseurin Nicola Raab für When She Died als Inszenierungsform nicht eine komplette Verarschung überlegt, so weiß man ab nun, warum: Warum etwas Schlechtes durch eine Interpretation aufwerten, wenn man seine Schlechtigkeit durch ein brillantes Gegenüber erst recht betonen kann? - Das ist tatsächlich ein gewitzt intelligenter und neuer Ansatz. Das Aberwitzige daran aber ist, dass ausgerechnet beim zweiten Geniestreich die Zuschauer vereinzelt den Saal verlassen. - Und das ist gleichzeitig wieder typisch für Werke, die polarisieren, und gerade deshalb genial sind (selbst wenn prinzipiell auch Nicht-Geniales zu polarisieren vermag... denn es gibt einfach kein Rezept für die Kunst!).

Warum jubeln also die verbliebenen Zuschauer beim zweiten Stück, während einige Einzelne gehen? Warum bleiben beim Ersten alle, jubelt aber keiner? - Es liegt an der Musik und Erzählweise, die im ersten Stück harmonisch und analog ist, während im Zweiten beides zumeist disharmonisch, abstrakt ist. - Passend zum Inhalt des Stückes, wo es um die wirren Gedanken des Königs George III geht. - Und da sich der Großteil der Zuschauer in seiner Existenz immer nur bestätigt wissen möchte - finden alle im ersten nichtssagenden, banalen Durchschnitt zumindest einen gemeinsamen Berieselungsnenner, und die Hälfte der Verbliebenen im zweiten Geniestreich echte Herausforderung und Identifikation, die andere Hälfte Grund zum Nachdenken und dazu, sich weiterentwickeln zu wollen. - Denn es gilt ja auch im Volksmund: vom Irrsinn zum Genialen ist es nicht weit! - Das bezieht sich auf die Form der Kunst, bzw. darauf, wie ein Künstler auf eine besondere Form kommt.

Überraschende Erzählweise als künstlerische Überzeugung

In Eight Songs for a Mad King "ist" nun George III tatsächlich auch irr. Darsteller Martin Winkler - der Vorarlberger Bariton - singt, spielt und interpretiert diese Figur wiederum auf geniale Weise. Denn auch er legt die Figur nicht, wie man meinen könnte, in gesteigertem Irrsinn an, sondern in Durchgehendem, im abrupten Wechsel von Kopfstimme-, höfischem (Cembalo-) Schöngesang zu Gekreische, während er sich erst am Ende im Kapitel "Rückblick" - wiederum in die Bettlerkleider des vorigen Darstellers geschlüpft - mental gefestigter gibt. Im Vogelkäfig, worin er zuvor aber gefangen ist, spricht er in Kapiteln wie "Antike Seele", "Die Hofdame", "Auf dem Lande" und "Die Täuschung" Facetten des Zustandekommens seines Geisteszustandes an. Alles scheint ihm feindlich gesinnt. Da bleiben ihm nur die Vögel zum Reden, die im Gegensatz zu ihm, bewacht durch das Schlagzeug, außerhalb des Käfigs als "Streicher" und "Holzbläser" sitzen. Aber auch mit ihnen kommt er auf Dauer nicht aus: Gegen Ende zerschlägt er die Violine.

In beiden Stücken überzeugen Dirigent Daniel Hoyem-Cavazza - neben den ausgezeichneten Musikern des Orchesters der Wiener Kammeroper - und der typisch britische Ausstatter Duncan Hayler durch eine Bühne, die zur Gänze in einen Riesenfernseher verpackt ist, der dann auch noch in den klaustrophoben Geisteszustand des Königs bei anspruchsvoller Musik hinein führt. - Als Symbol für die heutige, freiwillig gewählte "Volksbildung" der Masse bei wiederum banal-berieselnder Musik, die letztlich zu nichts anderem erzieht als zu Wahnsinns-Projektionen wie "Diana". - Zum "König" wird dabei nur, wer sich dem in bescheidener Demut zu entziehen vermag! r.r./e.o.


DAS URTEIL ZUERST MAG MAN SICH DENKEN, WARUM REGISSEURIN NICOLA RAAB DIESE DUMME OPER WHEN SHE DIED NICHT VERARSCHT HAT - DOCH MIT DEM GENIESTREICH EIGHT SONGS FOR A MAD KING WECHSELT DAS ZUM AHA-ERLEBNIS. EIN HERRLICH UNKONVENTIONELLER ZUGANG! MIT EINEM HERRLICHEN OPERN-SCHAUSPIELER MARTIN WINKLER!


OPER When She Died / Eight Songs for al Mad King * Von: Jonathan Dove / Peter Maxwell Davies * Regie: Nicola Raab * Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza * Mit: Orchester der Wiener Kammeroper * Bühne: Duncan Hayler * Mit: Mentu Nubia, Suzanne Carey, Steven Gallop, Marianne Gesswagner, Bryan Rothfuss, Magdalena Hofmann, Michael Spyres, Gisela Theisen, Martin Winkler * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 10., 12., 14., 17., 19., 21., 24., 26.4.2007: 19h30

No comments: