Tuesday, April 03, 2007

THEATER-MUSICAL: MICHAEL SCHOTTENBERG MIT "CABARET" AM ZENIT SEINES SCHAFFENS

Fotos © Lalo Jodlbauer: Sally Bowles (Maria Bill Mitte, neben Annette Isabella Holzmann links, und Andy Hallwaxx, Katharina Straßer rechts) arbeitet als laszive Star-Tänzerin und -Sängerin in einer Berliner Bar Anfang 1930 ...

... Dort lernt sie den amerikanischen, mittellosen Schriftsteller Clifford Bradshaw (Raphael von Bargen) kennen, in dessen kleine Mietwohnung sie einzieht...

... wo die beiden allerdings von der opportunistisch-pragmatischen Wirtin "Fräulein" Schneider (Hilde Sochor) abhängig sind, die ihren jüdischen Verehrer (Heinz Petters) feige fallen läßt, sobald die Nazis an der Macht sind ...

... Dieser psychologische Angstmechanismus dient dann Conférencier Marcello de Nardo als Thema seines Revue-Kabaretts mit einem Affen als "geliebten Juden": eine der intelligentesten und berührendsten Nummern des mitreißenden Abends.


VOLKSTHEATER MICHAEL SCHOTTENBERG HAT ES GESCHAFFT: MIT DEM MUSICAL CABARET HOLT ER ALLES AUS SEINER BÜHNE UND SEINEN SCHAUSPIELERN HERAUS, WAS NUR HERAUSZUHOLEN IST - EIN WAHRLICH BEGLÜCKENDES KUNSTERLEBNIS

Keine Frage - da hat jemand Regie geführt, der jeden Quadratmilimeter des Raumes kennt. Da hat jemand besetzt, der jeder Facette seiner Schauspieler gewahr ist, allen voran der Hauptdarstellerin (die denn auch seine Frau ist) als leuchtender weiblicher Revuestar "Sally Bowles" in Cabaret: Maria Bill. Obwohl nicht groß, macht sie - mit Permanentbetonung ihrer Beine - die beste Figur, obwohl keine Tänzerin, bewegt sie sich am anregendsten, obwohl nicht mehr blutjung, wirkt sie verspielt naiv wie ein kokettes Mädchen, doch da eine Sängerin, singt sie alle anderen an die Wand. Allerdings nur die weibliche Mannschaft: Marcello de Nardo ist es der Bill unter den Männern als Conférencier in jeder Hinsicht: er ist präsent, ein wunderbarer Tänzer und Sänger und obendrein ein wandelbar überzeugender Schauspieler.

Schottenbergs Anlaufzeit hat sich rentiert

Eigentlich bestechen aber nicht nur die Hauptfiguren, die ebenso durch Raphael von Bargen als Schriftsteller, Hilde Sochor als Wirtin "Fräulein" Schneider, sowie durch Heinz Petters als "Herr Schultz" mehr als nur glaubwürdig verkörpert sind. Nein, es gewinnt das ganze, starke Ensemble, was für die verantwortungsbewußte und zu führen fähige Hand des Regisseurs und Theaterdirektors Michael Schottenberg steht. Mit dieser Inszenierung wird nun klar, was er in der Zusammenstellung seines Hausstabs sah - in vergangenen Stücken war das nicht sofort augenscheinlich. Selbst wenn sich langsam herauskristallisiert, dass einige dieser "Typen", wovon die meisten erst auf den zweiten Blick auffallen, immer spannender werden. Indem der Zuschauer vom einen zum nächsten Mal an ihnen Neues entdecken will - gerade wegen des zweiten Blicks.

Die zur Geduld mahnende Anlaufzeit, bis das Volkstheater mit dieser Inszenierung zur absoluten künstlerischen Reife erblüht ist, hat sich also gelohnt. Für Schottenberg, für das Ensemble, für das Publikum. Das anfänglich "zu Neue" hat sich in Richtung "Vertrautheit" verlagert, nicht im Stil von Showmaster-Schmeicheleien seitens Schauspielern, wie man sie von heimischen Langzeit-Bühnenstars kennt, sondern im Aufspüren-Wollen der Zuschauer bezüglich deren Verwandlungskunst und Vielfalt. Und in Cabaret zeigte sich nun, dass einige von diesen Schauspieler-Typen auch noch ausgesprochen gut singen können: Von Bargen spielt zudem Saxophon, Jennifer Frank Violine.

Ein Cabaret, das in den Bann zieht

Sofort, als der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw - wohinter sich der echte Autor Christopher Isherwood verbirgt, dessen Berliner Erzählungen über die Begegnung mit dem Revuegirl Bowles mit der Musik von John Kander zu einem Musical (Fassung von Chris Walker 1997) zusammen gefaßt wurden - 1930 in Berlin ankommt, ist man als Zuschauer gefangen. Schon, weil die roten Lampen der als Raum im Raum ausziehbaren Revue-Bar, wo Sally singt, in den Zuschauerraum reichen - eine wunderbare Bühnenkreation von Hans Kudlich. Im gefälligen Wechsel zwischen laszivem, von einmalig gutem Orchester begleiteten Gesang und gespielter, kleinbürgerlicher Handlung, worin sich zuerst der Dichter und dann auch Sally bei der Wirtin Schneider einquartieren, wird man plötzlich mit dem politischen Wechsel konfrontiert, als die naiv-arme Gesellschaft zu jener der Nazis mutiert: die Lampen im Raum sind nun Nazi-Fahnen gewichen.

Sensibel gesetzte, reflexive Kontraste

Sehr sensibel und musikalisch weiß Schottenberg mit den Kontrasten umzugehen, ohne etwas auch nur eine Sekunde auszureizen. Und der Tontechniker wechselt dabei kongenial in ebenso virtuoser Exaktheit zwischen Echo und Sprechakustik. Die Text-Bilder werden in entsprechende Visuelle umgesetzt: Will also etwa die Wirtin mit der einsetzenden Nazizeit aus opportunistischen Gründen ihren Verehrer, den Juden Schultz, nicht mehr heiraten, tanzt als Parallele Conférencier Nardo mit einem Affen und singt dabei: "Sähe man sie (den Affen = den Juden) mit meinen Augen, würde die Welt sie anders sehen." Oder es singt Maria Bill als Highlight "Life is a Cabaret" tief und präsent, nachdem zuvor eine hochqualitative Kleszmer-Nummer aus Akkordeon und Klarinette einem ebenso starken - von den Nazis durch ihre für-sich-Beanspruchung "vergewaltigten" - Volkslied-Sängerknaben gegenüber gestellt wurde. - Dieser politische, für die Durchläufigkeit von Gesinnungen stehende Kontrast wird dann am Ende noch einmal durch die Figur des clownesken De Nardo bekräftigt, indem er sich schnell gerafft vom Nazi-Zöllner zum Conférencier und dann zum Mann mit Judenstern wandelt.

Und vor diesem Hintergrund zerbricht auch die dreijährige Beziehung des Künstlerpaars, weil der Schriftsteller seine schwangere Frau nicht mehr auftreten lassen wollte. - Er, der von ihr als "klein" titulierte Schreiber: "Es wird dir niemand nachweinen." Sie, das Kind abtreibend und wieder auftretend: "Ich bin Künstlerin!" - In der Realität wurde der Schriftsteller Isherwood später freilich weltberühmt, während Bowles einen kommunistisch-britischen Journalisten heiratete, Mutter wurde, und vom früheren Sally-Bowles-Vamp nichts mehr wissen wollte. e.o.


DAS URTEIL MICHAEL SCHOTTENBERG HAT MIT CABARET EIN GESAMTKUNSTWERK GESCHAFFEN. SEIN BISHER BESTES STÜCK - NICHT NUR AUF DIE VOLKSTHEATER-ZEIT BEZOGEN. UND DABEI ABER EINE VORZEIGELEISTUG FÜR EIN "VOLKSTHEATER": ALS GROSSARTIGE UNTERHALTUNG, INTELLIGENTE LEHRE. EIN ABSOLUTER PFLICHTTERMIN VON UND MIT TOP-PROFIS!

THEATER (MUSICAL) Cabaret * Von: Joe Masteroff nach dem Stück Ich bin eine Kamera von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood, Musik: John Kander, Gesangtexte: Fred Ebb, Fassung: Chris Walker 1997 * Regie: Michael Schottenberg * Bühnenbild: Hans Kudlich * Choreographie: Susa Meyer * Musikalische Einrichtung: Herbert Pichler * Mit: Marcello de Nardo, Maria Bill, Raphael von Bargen, Hilde Sochor, Heinz Petters, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 31.12.2007, , 5., 10., 14., 19., 20.1.2008: 19h30

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