... ihr Bruder (Günter Franzmeier) will Clavigo, der in Spanien aus Karrieregründen sein Liebesversprechen an Marie brach, zu einer anstandswahrenden Erklärung zwingen, ...
... da beschließt Clavigo (Raphael von Bargen) doch, Marie zu heiraten, merkt aber, dass er sie tatsächlich nicht mehr liebt ...
... wahrscheinlich, weil ihn der windig-aalglatte Carlos (Michael Wenninger) auf kalt-starken, homoerotisch-neoliberal kalkuliernden Händen zu manipulieren versteht. (Fotos © Nathalie Bauer)
VOLKSTHEATER NACHDEM SICH "VERLETZTER STOLZ" VON SITZENGELASSENEN FRAUEN HEUTE ÜBER DIE MEDIEN ZU "KEINEM STOLZ" WANDELT, SCHEINT DIE ZEIT REIF ZU SEIN FÜR STIL UND NIVEAU IN EINEM SELBST - STEPHAN MÜLLER DRÜCKT DAS IN SEINER REGIE VON CLAVIGO MIT EINDRINGLICHEM FORMALEM SUBTEXT AUS
"Es gibt nichts erbärmlicheres, als einen unentschlossenen Menschen", sagt Freund Carlos zum zwischen persönlichem Versprechen und Wortbruch taumelnden Clavigo. Dieser Clavigo des gleichnamigen Goethe-Stücks von 1774 wird derzeit im Volkstheater vom "jungen, ehrgeizigen Schriftsteller"-Helden zu jenem des "Journalisten". Bezeichnenderweise. Ein ehrgeiziger, auf sein Gewissen nicht hörender Schreiber, kann heute nur ein Journalist sein. Weil die meisten Journalisten entweder nur mit Sensations-Klatsch oder mit meinungserkauften PR-Arbeiten auf Durchschnittsniveau existieren können - dazu sind auch jene Berichte zu zählen, die im Rahmen des "offiziellen Nachrichtenwesens", sprich in "seriösen" Tageszeitungen und Magazinen, erscheinen ...
Dass die krassierende Manipulationswahrscheinlichkeit über die Jahrhunderte hinweg stets talentierte, aber mittellose Menschen ergreift, die sich von Null emporkämpfen müssen, scheint da generell bedenklich. Ein Mechanismus, der in jeder Berufssparte zu finden ist. Dass es in diesem Fall ein Schreiber sein mußte, ist dem Bedürfnis des jungen Sturm und Drängers Goethe zuzuschreiben, den echten, innerpsychischen Kampf so eines Zerrissenen exakt in Worte fassen zu wollen; wie hätte er das realistischer tun können, als aus seinen eigenen Gewissensbissen schöpfend, die er gegenüber seiner Jugendliebe hatte. - Beim Emporkömmling werden sich diese inneren Gefühlswirren mit nutzenorientierter Entscheidung allerdings im Sinne von (Stück-Zitat) "ohne Stand keine Eh(r)e" auf vielen Ebenen zeigen, nicht nur in der Liebe.
Verletzter Stolz, der sich heute zu Keinem wandelt
In der Liebe ist das schlechte Gewissen eigentlich nicht mehr vonnöten, beanstandet zu werden. Wenn ein junger Mann einem Mädchen vor seinen Studienjahren die Ehe (seine Liebe) versprach, er dieses Versprechen dann aber nicht einhält, ist das heute höchstens bedauernswert, sicher nicht anstößig. Im Grunde ist es nicht einmal bemerkenswert. Das jetzt noch relevante Thema liegt allein im Moment, wo dieser Mann merkt, nur mit einer gesellschaftlich (einfluß)reichen Lebenspartnerin Karriere machen zu können; und dass dadurch die einstigen Liebesgefühle (tatsächlich!) verklingen. Der Nutzeninstinkt manipuliert so den reinen herzorientierten Bindungsinstinkt. Mit der Absage wird der Betroffene seinen wahren Gefühlen - und damit sich selbst - also nicht untreu. Zu schaffen machen ihm nur Moral-, Verantwortungs- und Schuldgefühl, Gefühle, die heute - im Zeitalter des Opportunismus - ebenso keine Rolle mehr spielen. Denn der Opportunist ist in dieser geschäftstüchtigen Gesellschaft ein Held, wo es nicht einmal gilt, einen ehrbaren Schein zu wahren.
Im ausklingenden 18. Jahrhundert dagegen, war Anstand noch etwas wert. Gesellschaftlich geächtet wurde, wer sich ehrenlos verhielt. Besonders wenn das zulasten eines hilflosen Mädchens (in Clavigo: Marie von Beaumarchais) geschah, das dann mit dem Ruf der "Sitzengelassenen" leben mußte. Für manche Frau ist das auch heute noch kaum zu ertragen. Dann kann sie sich aber immerhin mit ihrem verletzten Stolz an die Medien wenden, sich in Talkshows und Society-Schluderblättern ausheulen, die diesen verletzten Stolz entsprechend ihres Opportunismus in "gar keinen Stolz mehr" lenken. Dadurch macht sich so eine Frau endgültig zum bedauernswerten Gespött aller, vielleicht ohne es zu merken, weil sie die allgemeine Aufmerksamkeit verkennt: die als öffentliche Anteilnahme verpuppte Schadenfreude.
Hinsichtlich dieser perversen Steigerung von heute, konnte sich Goethe noch privilegiert fühlen, denn immerhin lebte er in einer Zeit, wo man Gefühle noch ernst nahm und nicht mit ihnen (etwa aus bloßer Popularitätsgeilheit) spielte. - Ein volleres Niveau, das der 57-jährige, schweizer Regisseur Stephan Müller mit Theater- und Tanzausbildung glücklicherweise erhalten bzw. wieder auferweckt hat. Inhaltlich und ästhetisch, rhythmisch und symbolhaft abstrahiert, in der typengerechten Besetzung mit viel gestisch-tänzerischem Körperspiel sowie im klaren Bühnenbild voll subtextlicher Details.
Erstrebenswerter Stolz als Sehnsucht in äußerer Form
Der Anstand der damaligen Zeit findet sich somit als etwas-zumindest-Erstrebenswertes im äußeren Schein des leeren, weitläufigen, bronze-farbenen Raums von Bühnenbildner Hyun Chu, in Carlos´ karrieresüchtigem Nadelstreifanzug, Clavigos naiv-eitlem Rüschenhemd, im unschuldig-weißen und dann liebeshoffend-roten Kleid der ausgeliefert-barfüßigen Marie (adretter Anblick: Luisa Katharina Davids) von Kostümbildnerin Birgit Hutter; und menschlich im Stakkato-Sprechgesang von Carlos und Clavigo, die in ihrer gemeinsamen Karriereliebe und der eindringlichen Art Carlos´ (glaubwürdig neureich-neoliberal und damit passend unsympathisch wirkend: Michael Wenninger) auf Clavigo einzuhetzen, einen homoerotischen Touch aussenden, der einerseits die Unsicherheit der Orientierung manifestiert, andererseits das Hin-und-Her von Clavigos wankenden Gefühlen (zwiespältig-labil: Raphael von Bargen). Große Ausstrahlung in seinem edel geschnittenen, braunen Mantel besitzt Maries Bruder Beaumarchais (Günter Franzmeier), der um die Ehre seiner kleinbürgerlich-fragilen Schwester in Frankreich kämpft, der aber von den in Spanien - mit seinen kräftig-mondänen Frauen als Aussicht - lebenden Burschen (v.a. Carlos) so trickreich hinters Licht geführt wird, dass er letztendlich selbst bis zur Gefängnisstrafe sein Ansehen verliert.
Von der Intrige zur Lebensmoral
Intrige bei doppelter Wortbrüchigkeit funktionierte demnach schon vor zweihundertfünfzig Jahren, sie läßt sich, je nach Rechtssituation des Landes, zu jederzeit mit verdrehten Mitteln zugunsten des Bauernschlausten-ohne-Skrupel auslegen. Interessant dabei ist, dass jenen Leuten, die die Dinge durchschauen und Entwicklungen vorhersehen (wie hier Buenco - maniriert gut: Till Firit), nie Glauben geschenkt wird, weil sie offensichtlich zu wenig bestimmt und klüngelhaft auftreten.
- Bei all den menschlichen Abgründen können nur Schuld, Strafe und Buße reinigen: Marie und Clavigo müssen sterben. Das Schlußbild der Inszenierung ist dafür wieder versöhnend kitschig - wohl gedacht, als Lehre für das Gute im Menschen - wenn die einst Liebenden gemeinsam im Grab ein (englisches!) Poplied singen. Das bedeutet Entschuldigung und Verzeihung im Jenseits zugleich, und somit die erstrebenswerte Moral zu Lebzeiten für das Publikum. e.o./a.c.
"Es gibt nichts erbärmlicheres, als einen unentschlossenen Menschen", sagt Freund Carlos zum zwischen persönlichem Versprechen und Wortbruch taumelnden Clavigo. Dieser Clavigo des gleichnamigen Goethe-Stücks von 1774 wird derzeit im Volkstheater vom "jungen, ehrgeizigen Schriftsteller"-Helden zu jenem des "Journalisten". Bezeichnenderweise. Ein ehrgeiziger, auf sein Gewissen nicht hörender Schreiber, kann heute nur ein Journalist sein. Weil die meisten Journalisten entweder nur mit Sensations-Klatsch oder mit meinungserkauften PR-Arbeiten auf Durchschnittsniveau existieren können - dazu sind auch jene Berichte zu zählen, die im Rahmen des "offiziellen Nachrichtenwesens", sprich in "seriösen" Tageszeitungen und Magazinen, erscheinen ...
Dass die krassierende Manipulationswahrscheinlichkeit über die Jahrhunderte hinweg stets talentierte, aber mittellose Menschen ergreift, die sich von Null emporkämpfen müssen, scheint da generell bedenklich. Ein Mechanismus, der in jeder Berufssparte zu finden ist. Dass es in diesem Fall ein Schreiber sein mußte, ist dem Bedürfnis des jungen Sturm und Drängers Goethe zuzuschreiben, den echten, innerpsychischen Kampf so eines Zerrissenen exakt in Worte fassen zu wollen; wie hätte er das realistischer tun können, als aus seinen eigenen Gewissensbissen schöpfend, die er gegenüber seiner Jugendliebe hatte. - Beim Emporkömmling werden sich diese inneren Gefühlswirren mit nutzenorientierter Entscheidung allerdings im Sinne von (Stück-Zitat) "ohne Stand keine Eh(r)e" auf vielen Ebenen zeigen, nicht nur in der Liebe.
Verletzter Stolz, der sich heute zu Keinem wandelt
In der Liebe ist das schlechte Gewissen eigentlich nicht mehr vonnöten, beanstandet zu werden. Wenn ein junger Mann einem Mädchen vor seinen Studienjahren die Ehe (seine Liebe) versprach, er dieses Versprechen dann aber nicht einhält, ist das heute höchstens bedauernswert, sicher nicht anstößig. Im Grunde ist es nicht einmal bemerkenswert. Das jetzt noch relevante Thema liegt allein im Moment, wo dieser Mann merkt, nur mit einer gesellschaftlich (einfluß)reichen Lebenspartnerin Karriere machen zu können; und dass dadurch die einstigen Liebesgefühle (tatsächlich!) verklingen. Der Nutzeninstinkt manipuliert so den reinen herzorientierten Bindungsinstinkt. Mit der Absage wird der Betroffene seinen wahren Gefühlen - und damit sich selbst - also nicht untreu. Zu schaffen machen ihm nur Moral-, Verantwortungs- und Schuldgefühl, Gefühle, die heute - im Zeitalter des Opportunismus - ebenso keine Rolle mehr spielen. Denn der Opportunist ist in dieser geschäftstüchtigen Gesellschaft ein Held, wo es nicht einmal gilt, einen ehrbaren Schein zu wahren.
Im ausklingenden 18. Jahrhundert dagegen, war Anstand noch etwas wert. Gesellschaftlich geächtet wurde, wer sich ehrenlos verhielt. Besonders wenn das zulasten eines hilflosen Mädchens (in Clavigo: Marie von Beaumarchais) geschah, das dann mit dem Ruf der "Sitzengelassenen" leben mußte. Für manche Frau ist das auch heute noch kaum zu ertragen. Dann kann sie sich aber immerhin mit ihrem verletzten Stolz an die Medien wenden, sich in Talkshows und Society-Schluderblättern ausheulen, die diesen verletzten Stolz entsprechend ihres Opportunismus in "gar keinen Stolz mehr" lenken. Dadurch macht sich so eine Frau endgültig zum bedauernswerten Gespött aller, vielleicht ohne es zu merken, weil sie die allgemeine Aufmerksamkeit verkennt: die als öffentliche Anteilnahme verpuppte Schadenfreude.
Hinsichtlich dieser perversen Steigerung von heute, konnte sich Goethe noch privilegiert fühlen, denn immerhin lebte er in einer Zeit, wo man Gefühle noch ernst nahm und nicht mit ihnen (etwa aus bloßer Popularitätsgeilheit) spielte. - Ein volleres Niveau, das der 57-jährige, schweizer Regisseur Stephan Müller mit Theater- und Tanzausbildung glücklicherweise erhalten bzw. wieder auferweckt hat. Inhaltlich und ästhetisch, rhythmisch und symbolhaft abstrahiert, in der typengerechten Besetzung mit viel gestisch-tänzerischem Körperspiel sowie im klaren Bühnenbild voll subtextlicher Details.
Erstrebenswerter Stolz als Sehnsucht in äußerer Form
Der Anstand der damaligen Zeit findet sich somit als etwas-zumindest-Erstrebenswertes im äußeren Schein des leeren, weitläufigen, bronze-farbenen Raums von Bühnenbildner Hyun Chu, in Carlos´ karrieresüchtigem Nadelstreifanzug, Clavigos naiv-eitlem Rüschenhemd, im unschuldig-weißen und dann liebeshoffend-roten Kleid der ausgeliefert-barfüßigen Marie (adretter Anblick: Luisa Katharina Davids) von Kostümbildnerin Birgit Hutter; und menschlich im Stakkato-Sprechgesang von Carlos und Clavigo, die in ihrer gemeinsamen Karriereliebe und der eindringlichen Art Carlos´ (glaubwürdig neureich-neoliberal und damit passend unsympathisch wirkend: Michael Wenninger) auf Clavigo einzuhetzen, einen homoerotischen Touch aussenden, der einerseits die Unsicherheit der Orientierung manifestiert, andererseits das Hin-und-Her von Clavigos wankenden Gefühlen (zwiespältig-labil: Raphael von Bargen). Große Ausstrahlung in seinem edel geschnittenen, braunen Mantel besitzt Maries Bruder Beaumarchais (Günter Franzmeier), der um die Ehre seiner kleinbürgerlich-fragilen Schwester in Frankreich kämpft, der aber von den in Spanien - mit seinen kräftig-mondänen Frauen als Aussicht - lebenden Burschen (v.a. Carlos) so trickreich hinters Licht geführt wird, dass er letztendlich selbst bis zur Gefängnisstrafe sein Ansehen verliert.
Von der Intrige zur Lebensmoral
Intrige bei doppelter Wortbrüchigkeit funktionierte demnach schon vor zweihundertfünfzig Jahren, sie läßt sich, je nach Rechtssituation des Landes, zu jederzeit mit verdrehten Mitteln zugunsten des Bauernschlausten-ohne-Skrupel auslegen. Interessant dabei ist, dass jenen Leuten, die die Dinge durchschauen und Entwicklungen vorhersehen (wie hier Buenco - maniriert gut: Till Firit), nie Glauben geschenkt wird, weil sie offensichtlich zu wenig bestimmt und klüngelhaft auftreten.
- Bei all den menschlichen Abgründen können nur Schuld, Strafe und Buße reinigen: Marie und Clavigo müssen sterben. Das Schlußbild der Inszenierung ist dafür wieder versöhnend kitschig - wohl gedacht, als Lehre für das Gute im Menschen - wenn die einst Liebenden gemeinsam im Grab ein (englisches!) Poplied singen. Das bedeutet Entschuldigung und Verzeihung im Jenseits zugleich, und somit die erstrebenswerte Moral zu Lebzeiten für das Publikum. e.o./a.c.
DAS URTEIL SCHÖNER ANBLICK. INTELLIGENTES SUBTEXT-KÖRPERSPIEL VON GUT BESETZTEN DARSTELLERN. DETAILREICHE PSYCHOENTWICKLUNG EINER LIEBE, DIE WEGEN DER KARRIERE VERGEHT. UND EIN PLÄDOYER FÜR DIE WIEDERAUFERWECKUNG VON STIL UND ANSTAND IN UNSERER (MEDIEN)ZEIT.
THEATER Clavigo * Von: Johann Wolfgang von Goethe * Regie: Stephan Müller * Musik: Thomas Luz * Dramaturgie Hans Mrak * Mit: Luisa Katharina Davids, Heike Kretschmer, Raphael von Bargen, Till Firit, Günter Franzmeier, Thomas Kamper, Michael Wenninger, Markus Westphal * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 12., 19.6.2008: 19h30-21h
THEATER Clavigo * Von: Johann Wolfgang von Goethe * Regie: Stephan Müller * Musik: Thomas Luz * Dramaturgie Hans Mrak * Mit: Luisa Katharina Davids, Heike Kretschmer, Raphael von Bargen, Till Firit, Günter Franzmeier, Thomas Kamper, Michael Wenninger, Markus Westphal * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 12., 19.6.2008: 19h30-21h
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