Saturday, March 15, 2008

OPER: GLANERTS "SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG" IN NICOLA RAAB - REGIE

Der Teufel (Bernhard Landauer) und der Dichter Rattengift (Camillo dell´Antonio) verstehen sich ganz gut: weil die Hölle ja das ironische Nachspiel der Welt darstellt ...

... getanzt wird in dieser Welt auch; wie bei James Bond, selbst wenn es optisch nicht richtig ins Stück passt (Fotos © Armin Bardel) ...

















... aber immerhin passt der Revolver als der Weisheit letzter Schluss. - Er sagt: das Böse bleibt der Welt auch erhalten, wenn der Teufel längst wieder in der Hölle hockt.


MUSEUMSQUARTIER - NEUE OPER WIEN NICOLA RAAB HAT SICH FÜR DETLEV GLANERTS SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG VIEL EINFALLEN LASSEN. EINGESCHLAGEN IST IHRE REGIE DENNOCH NICHT

Walter Kobéra, Leiter der Neuen Oper Wien, hat sich mit der Wahl einer zeitgenössischen Opernsatire und von Nicola Raab als Regisseurin zwar sichtlich zweier Erfolgsstrategien bedient, nachdem die junge, deutsche Regisseurin mit der Doppelinszenierung von Doves When She Died und Peter Maxwell Davies´ Eight Songs For a Mad King an der Wiener Kammeroper, sowie er selbst mit Gerhard Schedls wahnsinnsschrägem Triptychon letztes Jahr zwei Knüller gelandet haben - dennoch wurde Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung des deutschen Komponisten Detlev Glanert (UA 2001 in Halle) nun doch nur eine "ganz passable Routinevorstellung". Genau so, wie man eine zeitgenössische Oper gewohnt ist, vorgesetzt zu bekommen. Die freudige Überraschung über etwas Eigentümliches blieb aus.

Originelle Geschichte

Das, obwohl die Geschichte von Jörg W. Gronius, die sich auf einen Text von Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) bezieht, mit provokant pessimistischer Behauptung ausgesprochen originell ist. Denn sie zielt auf die Dominanz des zerstörerischen Bösen in der Welt ab - als überspitzte Karikierung auf Goethes diabolischen Faust gilt sie damit als Grundsatzkritik auf den deutschen Idealismus und dessen starres Bildungssystem sondergleichen. Explizit ist das daran zu sehen, dass ein Teufel auf die Erde kommt, wo er von sinnlos geschäftigen Raupenform-Unisono-Naturhistorikern (witzig schrullig: Johanna von der Deken, Eva Hinterreithner, Gernot Heinrich, Michael Schweninger) nicht identifiziert werden kann, die ihn folglich kurzerhand zum Oberkirchenrat des schildbürgerhaften Kleinfürstentums erklären. Vierstimmig (wirklich nett anzuhören!) singen sie nach jedem Versagen wiederholend, "lassen Sie es uns noch mal probieren", und bleiben doch Gestalten ohne Durchblick (wirklich zum Abhauen!). Das bleiben sie wahrscheinlich auch noch in der zerstörten (Bühnen-)Welt am Ende, wonach sie (endlich) "von Neuem beginnen" müssen. So ist auch der Schulmeister, Repräsentant für die Pädagogik unserer Kinder, alles andere als vertrauenserweckend. In Napoleonmontur herrscht er (Rupert Bergmann) "das neue Wunderkind" Gottliebchen (Heidi Wolf) an und schüchtert es zur Marionette degradierend so ein, dass es in Gegenreaktion zum zornigen Genie und damit zum wahren "Satansbraten" werden muss, und sich der Teufel seiner Seele auch gleich bestens bedienen kann: damit dirigiert des Teufels Geist auch noch die Welt, nachdem jener schon längst von seiner Großmutter mit Löwenkopf in die Hölle zurück geholt worden ist. - Ein unausweichliches Schicksal unserer bösartig getriebenen Menschenerde.

Bunte Regie

Vor alledem tobt eine Liebeskeilerei, worin vier Männer - der Mitgiftjäger Von Wernthal (Andreas Jankowitsch), der Mörder Von Mordax (Thomas Tatzl), der egozentrisch-ruhmsüchtige Dichter Rattengift (ausdrucksstark-theatral ironischer Sänger: Camillo dell´Antonio) und der häßliche, aber gutherzige Herr Mollfels (gewinnend schöne Stimme: Michael Spyres) - um des Barons (mit Barockperücke lachhaft: Alfred Werner) Tochter kämpfen: um Liddy im kitschigen Blumendekor-Petticoat (standardisierte Mädchenrolle: Magdalena Anna Hofmann). Damit sie Mollfels bekommt, sorgt der eunuchenhafte Teufel mit akustisch verzerrter Stimme (Countertenor Bernhard Landauer) dafür, dass die schlechten Anlagen der verkommenen Nebenbuhler zutage treten: Mordax etwa, muss 13 Schneidergesellen erschlagen - was sich in einer abstrakten Tanzszene mit sieben Tänzern in schwarzen Tricots unter der Choreografie von Nikolaus Adler zu Beginn des zweiten Akts tatsächlich realisiert, sodass einem mit der plötzlich schwarz-leeren Bühne, wo gerade noch der kindlich-symbolhafte Märchen-Kasperlguckkasten von Benita Roth stand, vorkommt, als befände man sich in einem anderen "Film": in jenem von James Bond.

Tatsächlich geistreich, da außergewöhnlich zynisch, sind die Sager des Dichters, der innerhalb dieser Theatersituation über das Theater lästert, weil sie Ruf und Stellung der Darstellungskunst innerhalb der Gesellschaft und der Welt spiegeln: "Diese Unsummen, die diese Schauspieler und Regisseure verschlingen, während sich die Leute im Theater doch eh nur für die Frauen in den Logen interessieren ...", schimpft er, während er sich selbst für Shakespeare hält und geschmeichelt fühlt, dass der Teufel seine Werke gelesen habe, der sich wiederum als Katastrophendichter zu verstehen gibt, weil er mit seiner Hölle das ironische Nachspiel der Welt darstelle. In einer Debatte innerhalb dieses ironischen Theaters wird dem ironischen Theater dann ironisch abgesagt: "Schreiben Sie Tragödien. Dann wird man Sie auf Händen tragen. Und hören Sie auf keinen Fall auf Kritiker."

Zu buntes Gesamt

Und obwohl auch die klassisch-jazzige Musik Glanerts eine kongeniale Übersetzung der bunten Geschichte ist - es passieren immer wieder akustisch spannende, da lautmalerische Momente durch auffällige Orchesterpassagen und ungewöhnliche Instrumentierungen (wie hohe Flöten und tiefe Bläser, wie unheimliches Streichergeflamme zum Teufelsfeuer); wie wenn Melodramatik in bedrohliche Atonalität wechselt, Vogelgezwitscher in Flügelschlagen endet, Geräuschgebläse in Flüstergesang übergeht; ein Löwe aufbrüllt; es donnert; schnelle, kurzgespielte Ton-Rhythmen auf subtil lustige Weise den Weltuntergang einläuten - so ist es mit den vielen närrischen Requisiten und Einfällen insgesamt wahrscheinlich doch einfach zu viel des Guten. Es ist "zu" bunt, um wirklich einschlagend zu sein. Da kann Walter Kobéra sein amadeus ensemble-wien noch so gut dirigieren ... Dr. Wild / e.o.


DAS URTEIL WITZIGE GESCHICHTE - ABER DENNOCH NUR ROUTINE IM STIL EINER TYPISCHEN (KOMISCHEN!) NEUEN OPER.

OPER scherz, satire, ironie und tiefere bedeutung * Komische Oper frei nach Christian Dietrich Grabbe * Musik: Detlev Glanert * Text: Jörg W. Gronius * Regie: Nicola Raab * Bühne: Benita Roth * Choreografie: Nikolaus Adler * Dirigat: Walter Kobéra * Mit: amadeus ensemble wien * Mit: Bernhard Landauer, Camillo dell´Antonio, Gernot Heinrich, Heidi Wolf, Michael Spyres, u.a.

Nächstes Neue Oper-Werk
OPER eine marathon-familie * UA nach Dusan Kovacevic * Musik: Isidora Zebeljan * Regie: Nicola Raab * Dirigat: Walter Kobéra * Mit: amadeus ensemble wien * Mit: Martin Winkler, Hubert Dragaschnig, u.a. Ort: Werkstattbühne Bregenzer Festspiel * Zeit: 20., 22., 23.8.2008
Ort: Halle E / MQ Wien * Zeit: 22., 24., 25.10.2008: 19h30
Ort: Jugoslawisches Schauspieltheater, Belgrad * Zeit: 14., 15.10.2008: 19h30

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