Sunday, January 28, 2007

OPER: GIL MEHMERTS UND RICHARD DÜNSERS POLITICAL KORREKTER "RADEK"

Das ist der "Dank": Der Einsatz für verschiedene Kommunismus-Ideologien - wobei Stalin kurz auch mal mit Hitler paktiert -, bringt den opportunistischen Fanatiker Radek ins sibirische Gefängnis. Foto ©andereart


NEUE OPER WIEN, MUSEUMSQUARTIER RICHARD DÜNSERS OPER RADEK - EIN PORTRÄT DES JÜDISCHEN DEMAGOGEN ZWISCHEN LINKS UND RECHTS - IST BEI GIL MEHMERT EIN KONVENTIONS-STATEMENT DER ANKLAGE UND BEDAUERUNG

Was bleibt, ist die Sicht auf einen politisch-radikalen Menschen, wie wir ihn gelernt haben zu sehen, oder besser, zu bewerten. Diese Sicht dominiert das ganze Stück über. Kein Verständnis für den Fanatiker Karl Radek. Selbst wenn zwischen 1900 und 1945 viele Leute zum Fanatismus neigten und dafür Beachtung fanden. Diese Tatsache wird in der Kammeroper Radek nach dem Libretto von Thomas Höft vernachlässigt. Obwohl nur über sie verständlich würde, wie ein Mensch so leidenschaftlich für Überzeugungen leben und manipulieren kann, wobei ihm der Einsatz und das "Machen" vordergründig wichtiger zu sein schienen, als die Sache selbst.

Im Grunde suchte dieser Karl Radek Erfolg. Genauso wie es jeder anerkannte Business- bzw. Werbemensch unter uns tut, wenn er heute "die" Marke und morgen jene der Konkurrenz zum Absatzrenner pusht. Dafür bekommt er Geld, Applaus, Frauen und den nächsten Auftrag. Er ist also ein großer Mann. - Auch dieses Verhalten ist Politik, nur wird es nicht als solches erkannt.

Ideologe mit Wendehalsbiografie

Karl Radek (eigentlich Karl Sobelsohn) machte sich als galizischer Jude - 1885 in armen, kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren - zuerst für die Sozialisten stark. Dafür kam er 1905 ein Jahr ins Gefängnis. Von der SPD wurde er zwei Jahre später in Deutschland ausgeschlossen. 1914 fand er eine neue geistige Heimat: bei Lenin. Er gründete zusammen mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die KPD. - Eine Wende, die viele hoffnungsvolle Freigeister eingeschlagen hatten. - 1922 war Radek Mitglied der Kommunistischen Partei in Moskau, wovon er 1924 wegen Unterstützung Trotzkis ausgeschlossen wurde. Und dann folgte 1929 das, was man ihm heute - charakterlich gesehen - am meisten ankreidet: Radek unterwarf sich Stalin. Dafür wurde er begnadigt. Im Zuge des Pakts zwischen Stalin und Hitler, warb Radek folglich für Hitler und die Nationalsozialisten. 1937 wurde er im 2. Moskauer Schauprozess zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Doch schon 1939 starb er im sibirischen Lager - ermordet.

Wendehals wie heutige Welchselpolitiker

Karl Radek gilt als Wendehals sondergleichen. Wie es heutige Wechselwähler oder Wechselpolitiker sein mögen... Für Juden war das in vielen (kommunistisch gewordenen) Ländern Europas bis lange nach dem 2. Weltkrieg (!) allerdings eine Frage des Überlebens. - Etliche jüdischen Filme handeln in bitterer Selbstironie davon. Aber bei diesem Opern-Radek, der bei den Bregenzer Festspielen 2006 uraufgeführt wurde, bleibt nichts als Anklage. Die gut durchdachte a- und tonale Musik des Vorarlberger Komponisten Richard Dünser ist mit musikalischen Zitaten bekannter Musikstücke und -genre dem Geschehen in puristisch-surrealer Regie Gil Mehmerts untergeordnet.

Rückblenden aus dem Gefängnis

Die ganze Geschichte spielt 1937 im sibirischen Gefängnislager auf karger Bühne, wo Radek mit den Gefangenen sein Leben inszeniert. Als Kind ist Karl ein Außenseiter, mit dem niemand spielen möchte, weil er immer alles umhaut. Die familiäre Armseligkeit ist ihm "zu klein, das ist kein Leben", sagt er, "ich bin der Messias". - "Du bist krank", antwortet seine Mutter.

Zeitsprung: Über eine Doppelfigur schaut sich Karl Radek (ambitioniert: Georg Nigl) selbst zu, wie er vom sozialen Lebensumfeld (der KZ-Aufsicht?) gedemütigt wird. Lichter leuchten zu seinen politisch geschrieenen Ideologien, die ihm als Halt dien(t)en, "Krieg, das ist gut!", scheint ihm die nötige Konsequenz zu sein. Doch ein Koffer steht symbolisch für die Durchläufigkeit seiner Gesinnung und der Kriege.
Privat verläßt Radek indessen seine Ehefrau Rose für die Politik, wegen der er wiederum später selbst von seiner Geliebten Larissa verlassen wird.

Dann der entscheidende Moment, der bis heute verwundert: Radek singt: "Was ist Deine Revolution? Braune marschieren durch Berlin. Sind die Braunen nicht auch Sozialisten?" So kommt es, dass er in jiddischer Propaganda fidelt, während Hitler mit deutscher Nazi-Fahne und Stalin mit kommunistischer Fahne wedeln. Beide Führer grüßen mit ihren jeweils typischen Handzeichen, begleitet vom dirigierenden Radek und verdoppelt durch das Echt-Dirigat Walter Kobéras hinter Radeks Rücken. Da es ihm so am besten zu gehen scheint, mausert sich Radek also zum guten Freund Stalins (Stefan Cerny mit Countertenor-Stimme), indem er zu Jazz-Samba-Rhythmen mit ihm Schach spielt. Währendessen wird sein einstiger Freund Trotzki (auf Auftrag Stalins, was allerdings chronologisch erst viel später geschah) erstochen, der zuvor geplant hatte, Stalin ermorden zu lassen.

Zeitsprung: Radek wird des Vaterlandsverrats verurteilt und nimmt das Urteil an. Sein verworrenes Gedankengebäude fällt als Steinschlag in sich zusammen. "Es ist kalt hier", sind die letzten Worte des Opportunisten. e.o.


DAS URTEIL POLITICAL KORREKTE NEUE OPER, DIE GENAU DAS BILD VON KARL RADEK ZEIGT, DAS SICH EIN EUROPÄER ERWARTET. DIE MUSIK UNTERSTREICHT DIE HANDLUNG UND IST EBENFALLS POLITICAL KORREKT - ALSO EHER UNAUFFÄLLIG.

OPER Radek * Kammeroper von Richard Dünser * Regie: Gil Mehmert * Musikalische Leitung: Walter Kobéra * Mit: Georg Nigl, Rebecca Nelsen, Anna Clare Hauf, Bernhard Landauer, Manfred Equiluz, Stefan Cerny * Wiener Concert-Verein * Ort: MuseumsQuartier, Halle E * Zeit: 25.-29.1.07, 20.00 h
* Ort: Nederlands Kameropera Festival in Zwolle/NL * Zeit: 18.4.2007

Thursday, January 25, 2007

THEATER: RUDOLF FREY UND MARTIN HECKMANNS KONGENIAL - IN "DAS WUNDERVOLLE ZWISCHENDING"

Wie hält ein Künstlerpaar sein Sexleben spannend? - Es dreht einen Film und macht es dabei mal in der Badewanne statt im Bett: Johannes Krisch (Johann), Stefanie Dvorak (Anne), Foto © Georg Soulek / Burgtheater

Wie integriert ein Künstlerpaar den Mann vom Amt (Roland Kenda) in den Film? - Er wird zum Gegenspieler seiner Liebe und darf als neuer Patschenmann zu Anne (Stefanie Dvorak) ins Haus. Das macht Johann (Johannes Krisch) sauer, aber es ist ohnehin nicht "echt" - oder doch?, Foto © Georg Soulek / Burgtheater


BURGTHEATER
REGISSEUR RUDOLF FREY VERSTEHT MIT SEINEN JUNGEN JAHREN ERSTAUNLICH VIEL VON BEZIEHUNGEN. ODER AUTOR MARTIN HECKMANNS HAT ES IHM NUR SCHLAU UND EINFÜHLSAM EINGESAGT


Da trifft ja mal ein ausnehmend guter Regisseur auf ein ausnehmend gutes Stück! - Der erst 24-jährige Rudolf Frey hat Das wundervolle Zwischending des Deutschen, Martin Heckmanns (35), im Burgtheater-Vestibül verstanden und interpretiert. Intelligent interpretiert. Heckmanns´ Text entschachtelt sich durch Wortspiele. Frey betont sie puristisch verspielt durch mehrdeutige, symbolhafte und vielfach verwendbare Bühnendetails. Eingerichtet von Vincent Mesnaritsch, der genau das richtige Maß an erträglicher Requisitenfülle für den schwierig zu gestaltenden barocken Raum gefunden hat. Um zu betonen, dass sich jeder Zuschauer angesprochen fühlen darf, stehen anfangs auf der Bühnenseite Zuschauerstuhlreihen spiegelverkehrt zum Zuschauerraum, verstärkt durch einen Spiegel an der Rückwand.

Unfreie freischaffende Künstler

Warum, das erzählt die einfache Handlung: Ein Pärchen, das seit sieben Jahren zusammen ist, versucht seine einstige Liebe aufzufrischen, indem es sie ab dem ersten Kennenlernen verfilmt. Zeit dazu hat es. Denn es "genügt" ihm, ein vom Sozialamt finanziertes Künstlerdasein zu leben. Was machen da schon die paar Stunden Schneeschippen zwischendurch, ohne das die Gelder gestrichen würden? Oder der Kontrolleur, der als Mann vom Amt wie die Frau Oberlehrer aller Schüleralbträume, das ganze Stück über "fast wortlos" auf der Bühne steht? - Obwohl sich hier also zwei Menschen offensichtlich zugunsten freischaffender Tätigkeit für die Armut und gesellschaftliche Machtlosigkeit entschieden haben, sind sie dennoch nicht "frei": Nicht nur, dass dieser Mann vom Amt durch seine Dauerpräsenz auf Annes (Stefanie Dvorak) und Johanns (Johannes Krisch) Psyche einwirkt, er versucht sie auch zu überreden, öffentliche Förderungen für ihr Projekt in Anspruch zu nehmen. - Die paar kleinen Änderungen in "ihrem" intimen Film als Bedingung dafür - wie "nur mit anderen Darstellern" - sollten "echte" Künstler im hippen Wirtschaftszeitalter doch hinnehmen können! Und darum geht es im Grunde: um die Relevanz der Echtheit in Kunst und Liebe, wobei "diese Künstler" ihre "echte Kunst" aber gar nicht veröffentlichen wollen, sondern als "echte Liebe" für sich behalten wollen.

"Echte" Liebe, "echte" Kunst

Erkennbar wird die Echtheit erst durch Provokationen und Diskussionen, über reflexives und aktives Schaffen: Doch beginnen Anne und Johann schon während des Filmdrehs mit bewußter Manipulation, um die Dramaturgie des Films spannender als die Realität zu machen. Der Mann vom Amt wird kurzerhand als - auch privater! - "Gegenspieler" eingesetzt, indem er den Liebhaber von Anne mimt - was dank Regie und Spiel von Roland Kenda zum Schießen trocken pointiert ist, während er an Johanns Statt neben Anne wie selbstverständlich Hauspatschen anzieht.

Da die Inszenierung dann in gewisser Weise aber auch ins reale Leben überfließt, wird klar: Selbst im "Echten" dominiert die Konstruktion. Nur über sie behält das Leben seinen Reiz. Alles neu oder alt Gelernte wurde ja auch einmal als Inszenierung angeeignet. Und erst durch die Automatisierung bekam es den Wert der Echtheit. Also: die Inszenierung muß immer wieder auf ein Neues passieren, damit das soziale Leben überhaupt stattfinden kann. Am plakativsten geschieht das im Sex:

Die Krux mit dem langweiligen Sex

So konstatiert Johann, nach sieben Jahren mit Anne: "Warum gibt es keine aufregenden Bilder über Treue?" Doch die Beiden sind dann beim Dreh - oder geschieht das nun privat? - so kreativ und leidenschaftlich, dass Anne Johann beim Badewannen-Fick beinahe ertränkt. Später reflektiert Johann: "Ich hasse es, dass ich dich begehre, wenn du dich wie eine Nutte herrichtest", und hat - da ein Mann - Angst davor, eines Tages die Lust an ihr zu verlieren: "Vielleicht werde ich später einmal zum Kinderschänder?" Worauf sie - da eine Frau - an ihrem dauerhaften Glück festhält und sagt: "Gut, dass wir im Alter viel schlechter sehen und nicht erkennen müssen, wie häßlich wir werden." Darauf er: "Ich glaube, wir reden an einander vorbei." In der Altersszene scheint das mit dem Sex dann aber gar nicht mehr so wichtig zu sein, denn Johann sagt nur noch: "Hier bin ich." Und sie: "Willst Du mich retten?" (Eine Frage, die sie ihm schon in jungen Jahren stellte.)

Die ewigen Rätsel sind es, die man liebt

All das Unverständnis und Geschlechter-Typische, das bereits anfangs bestand - indem ihre Bilder von einander weder übereinstimmten, noch dass sie einander durchschauten -, bleibt bis zuletzt erhalten. Genau diese Rätsel sind es, diese "echten Fakes" - ob automatisiert oder inszeniert - die sie zusammen bleiben und sich ergänzen läßt. Und sollte einmal jemand gelangweilt glauben, alles von seinem Partner zu kennen, so muss er nur genauer hinsehen. Denn die liebenswerten Geheimnisse liegen überall als rote Bälle um ihn herum verstreut oder stecken in seinen roten Kleideraccessoires - zumindest bei Anne und Johann ist es so. - Zur Feier dieser Erkenntnis ein Feuerwerk! Denn echt kann die kitschige Liebe sein! Sie immer wieder neu zu "erschaffen", darum muss sich allerdings jeder selbst zuerst bemühen. e.o.


DAS URTEIL EIN FEINES STÜCK ÜBER DIE ECHTHEIT VON LIEBE UND KUNST. MIT SCHÖNEM, INTELLIGENTEM TEXT UND EBENSOLCHER REGIE. UNGEWOHNTER KITSCH, DA MIT TROCKENEM HUMOR VERSEHEN.

Auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in artists / talks ist Autor MARTIN HECKMANNS im O-Ton zu hören und zu lesen!

Theater Das wundervolle Zwischending * Von: Martin Heckmanns * Regie: Rudolf Frey * Mit: Stefanie Dvorak, Johannes Krisch, Roland Kenda * Ort: Burgtheater im Vestibül * Zeit: 15.2.2008: 20h

Monday, January 22, 2007

THEATER: ROMAN PASKA FASZINIERT MIT PROJEKTIONSREICHEM "BEETHOVEN IN CAMERA"

Roman Paska (hier Puppenspieler Gabriel Hermand-Priquet) kreiert die elegantesten, edelsten Puppen der Theaterszene. Sein Gehör-verlierender "Beethoven" ist im aktuellen Stück eine multiple Persönlichkeit, bestehend aus sechs Puppen, die zugleich für Außenwelt-Menschen auf ihrer Lebensreise stehen. Foto: © Mangafas / Schauspilehaus


SCHAUSPIELHAUS WIEN DER NEW YORKER PUPPENKÜNSTLER ROMAN PASKA ZAUBERT EIN ANSPRUCHSVOLLES THEORIEGEBILDE ÜBER BEETHOVENS GEHÖRLEIDEN AUF DIE BÜHNE - ETWAS ZUM NACHDENKEN

Ohne Begeisterung für abstraktes Denken wird man mit Roman Paskas Uraufführung, Beethoven In Camera, im Schauspielhaus Wien nicht viel anzufangen wissen. Dass da ein Stück gespielt wird, das von der Selbstwahrnehmung Beethovens, seinen inneren Kämpfen mit seiner nahenden Taubheit handelt, wird als Wissensgrundlage ebenfalls nicht genügen. Hilfreich ist allerdings, prinzipiell davon auszugehen, dass die Umsetzung von Paskas "Beethoven" über fünf Alter Egi, aufgesplittet auf sechs Puppen erfolgt. Zudem scheinen sämtliche Puppen gleichzeitig für reale Personen in Beethovens Leben, sowie für Projektionen in seine Person aus heutiger Sicht, zu stehen. - Was auch immer Puppenspieler Roman Paska genau ausdrücken wollte, der Theaterabend reizt zum Nachdenken und macht darauf neugierig, Beethovens reales Leiden genauer zu erforschen.

Beethovens Krankheit als zum Kentern verurteilte Meeresreise

Dieser Beethoven bekommt von Paska einen anderen Namen verpaßt: Tom. Ein Tom, der in übergeordnetem Sinne auch noch für jeden Menschen steht. Denn jeder hat in seinem Leben eine Reise zu begehen, mit der Gefahr, jeder Zeit zu Tode zu kommen. In Toms (Beethovens) Fall zu ertrinken, denn seine Reise spielt sich naheliegenderweise auf dem Meer ab, passend zu Beethovens Jahrzehnte langem Gehörleiden an Otosklerose. Unerträgliche, dumpfe Rausch- und Klopfgeräusche begleiteten ihn, während er seine Musik komponierte und dirigierte. Seine Depressionen darüber schrieb er während eines Kuraufenthalts im Heiligenstädter-Testament nieder, das Jahre nach seinem Tod gefunden wurde - neben rätselhaften Briefen "an die unsterbliche Geliebte" - ein Indiz für seinen hinzu kommenden, ewigen Liebeskummer.

Glaubte man lange, dass die Krankheit, des zu seinen Lebzeiten berühmten Komponisten, aufgrund von mit Morphium behandelter Syphilis entstanden war, so scheint heute bewiesen, dass sich Beethoven in jungen Jahren eine Vergiftung durch einen zu hohen Bleigehalt im Trinkwasser zugezogen hatte.

Beethoven war Normalo, Liebender, Punker und sein eigener Mörder

Auf all das spielt Paska in seinem Stück an: eine Puppe in weißem Maßanzug und mit schwarzer Maske steht für die Intrige, das Böse im Leben, und erinnert an die Figur des "Brighella" der Commedia dell´Arte, der rücksichtslos mit Menschen spielt, um die Welt neu einzurichten. Er bringt letztendlich das Boot, auf dem "der neutrale Durchschnittsreisende" fährt, zum Kentern. Davor begegnet jener einer "Frau", die ihn bis zum Meeresgrund verführt. Erst mitten auf der Reise taucht die äußerlich erkennbare Figur des Beethoven auf. Sein Gehörsinn ist ein rockender "Punker", der irgendwann tot im Instrumentenkasten weggetragen wird. - Zuvor gibt er als heutiger Rockstar aber noch eine "Pressekonferenz".
Skalpierungen (Haaraufsetzen und -abnahme) stehen als Parallele zum Verlust von Projektionen und Potenz. Mutationen der einzelnen Puppen und ein Gefecht mit zwei Dirigierstäben zeigen die ständigen psychischen Verlagerungen und verschiebenden Wahrnehmungszustände, ausgelöst von der Krankheit, die alle Puppen (mittels Spritze) befällt. - Dementsprechend verändert sich auch die Musik des Komponisten.
Was Beethoven letztenendes heute ist, scheint ein Resultat aus alledem zu sein, ein ewiges Forschungsfeld, eine Reise, die am Ende von vorne beginnt.

Bestach Roman Paska in seinem letztjährigen Gastspiel Dead Puppet Talk - neben seinen gewohnt wunderschönen, filgranen, edlen Puppen und ebensolchem Requisiten-Design (Donna Zakowska) - durch exakte Bewegung und Rhythmik im Puppenspiel, so geht er heuer hauptsächlich den erzählerischen Weg. Wieder unterbricht er das Spiel durch gelesene Handlungsanweisungen, die Puppen sprechen in anspruchsvollem Englisch (was entsprechende Sprachkenntnisse erfordert) miteinander, begleitet vom filmisch professionellen Soundmix von Paul Prestipino. In schwarzen Fracks und Melonen überlassen er und seine beiden Puppenspieler (Uta Gebert, Gabriel Hermand-Priquet) nichts dem Zufall. e.o./h.o.

DAS URTEIL DIESER ABEND IST INTELLEKTUELL ANSPRUCHSVOLL. EINE STARKE ABSTRAKTION AUS PUPPENSPIEL-THEORIEN, WAS VOR ALLEM FÜR INSIDER DIESES GENRES EIN LECKERBISSEN SEIN WIRD. DER THEATERLIEBHABER WIRD SICH DAGEGEN MEHR KLARHEIT ERHOFFEN. DOCH ALLEIN DIE PUPPEN ZU BEWUNDERN - IST EIN ERLEBNIS.

Theater Beethoven in Camera * Buch, Regie und Spiel: Roman Paska * Puppenspiel: Uta Gebert, Gabriel Hermand-Priquet * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: bis 4.2., täglich außer Montag, 20h

Tuesday, January 16, 2007

POLITIK+TANZ: DER SCHREI DER MACHTLOSEN ODER WIE RECHT DAS TANZTHEATER HOMUNCULUS IN "WIENER KÜCHE" HAT



Das Tanztheater homunculus zeigte im Stück Wiener Küche, wie sich die meisten Künstler nach dem Regierungspaket unter Bundeskanzler Gusenbauer fühlen: verunsichert und gehemmt. Da kann man nur höchst professionell raufen (schreien) wie Amadeus Berauer und Julian Timmings und findet so zur Kunst, die hoffentlich endlich gehört wird! (Foto © Max Moser)


ZUM SPÖ-ÖVP-REGIERUNGSPAKET ALLES, WAS MAN TUN KANN, IST SCHREIEN - DAS TANZTHEATER HOMUNCULUS HAT IN SEINER WIENER KÜCHE VÖLLIG RECHT GEHABT!

Nach der ersten stummen Erschütterung, erholen wir uns langsam und ringen uns zu einem Kommentar bezüglich des aktuell von SPÖ und ÖVP beschlossenen Regierungspakets durch. Nur auf die Kulturfragen konzentriert, versteht sich; - alle Ergebnisse zusammen zu betrachten, wäre noch immer unmöglich, da schlicht und ergreifend unfaßbar.

Was da heraus gekommen ist, hilft uns nun aber wenigstens, die lange versprochene Kritik zum Stück Wiener Küche des Tanztheaters homunculus nachzureichen. Im Klartext dienen die entsetzlichen politischen Ergebnisse als Erklärung für jene inhaltliche Unlogik im Stück, die bisher nicht zu begreifen war. Doch jetzt, da die Realität die Irrealität bestätigt hat, der Unsinn über den Sinn siegt, wird die Unlogik logisch. Das ist Magie. Das muss also Kunst sein. Dass sie dabei allein aus unserer österreichischen Politik schöpft, gibt allerdings zu denken. - So irr ist Österreich.

Wie ein Tanzstück die Regierungsergebnisse vorweg nimmt

Also: Im besagten Stück Wiener Küche wird das Publikum zuerst von den Tänzern in Big-Brother-is-watching-you-Manier durch einen selbstgebastelten "Irrgarten" geführt. Über "Kontrollpersonal", das fragt, ob man Künstler, gerade arbeitslos und beim AMS gemeldet sei, gelangt es ins "Auditorium". Den "Neoliberalismus" angklagend - sprich all das, was Karl-Heinz Grasser darstellt - wird die Tanzgruppe beim "Wiener" Kochen präsentiert, die sich alsdann in eine Jury- und Bewertungsgruppe teilt: die Beurteilten gefallen nur in Mustern internationaler Massen-Markt-Norm wie Strip (à la Chippendales), Standardtänzen (á la Dancingstars bzw. Tango) und Einheitsbewegung. Daneben werden die Tänzer - da sie vom Tanz allein nicht leben können - in ihren Zweitjobs angepriesen: als Masseure und Dienstleister. Doch in stillen Momenten zeigen sich Einzelne von ihnen in schizoiden Tanzisolationen, worin sie traurig und monoton über ihre fehlende künstlerische Individualität nachdenken, um sich sogleich wieder in gruppenhaften Tanzübungsstunden gegenseitig anzupassen. Genau da kommt es aber zum großen Tanzkunstwerk des Abends: als Amadeus Berauer und Julian Timmings in einen Zweikampf geraten. Das ist technisch und theatral so gekonnt, dass der Zuschauer sowohl herzhaft lachen, als auch staunen muss. Die bittere Ironie dabei ist allerdings, dass diese "Kunst" tatsächlich nur zufällig entstehen konnte, nicht im Rahmen der Norm, die zuvor von den (politisch beeinflußten) Juroren als gut befunden wurde. Die echte Kunst bleibt für die Außenwelt unsichtbar, verweilt in intimen, geheimen Momenten verunsicherter Experimentier-Künstler.

Künstlern bleibt nur zu schimpfen und zu schreien

Was uns Kritiker hinsichtlich der Stückbewertung nun so lange schweigen ließ, war der Widerspruch in der politischen Anklage: nicht nur die Tanzbedingungen und -kategorien wurden angeprangert, sondern unkonkret direkt und rigoros die verantwortlichen Politiker aus Stadt und Bund: Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ Wien) und (Ex-)Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP). Die Beschimpfung über Tonbandrede des Choreografen Manfred Aichinger schien sich in ihrer Sinnhaftigkeit selbst zu entkräften, denn sowohl die Tanzkompagnie homunculus, als auch das Stück Wiener Küche waren von der Wien Kultur und dem Bundeskanzleramt/Kunst subventioniert! Das war also eine Beschimpfung aus reinem Selbstzweck, Schimpfen, nur um zu schimpfen.
- Nachdem das Ergebnis der neuen Bundesregierung aber nun auf dem Tisch liegt - und sämtliche Hoffnungen einer Änderung des generellen Grundtenors einer Kunst jenseits der neoliberalen "creative industries" zerstört sind - muss man sagen: das tanztheater homunculus hat schlichtweg recht gehabt. Man kann als Künstler nur schreien. Denn Versprechen werden in diesem Land nur gegeben, nicht gehalten.

SPÖ versprach und brach

- Die SPÖ sollte zum Beispiel für die Kunstagenden in den Bund kommen und als vollwertiges Kunstministerium Kunststaatssekretär Franz Morak ersetzen, doch niemand "künstlerischerer" als eine hauptberufliche Finanzberaterin ist Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dafür eingefallen. Besagte Dr. Claudia Schmied wäre eigenen Angaben zufolge ebenso in ein Finanzministerium gezogen, hätte man es ihr angeboten. Das schließt mit ein, dass ihre Kunstliebe nicht von innen, sondern ausschließlich vom geschmäcklerischen Außen kommen muss - Stichwort: Kunst der PR- und nicht Kritik-Mentalität! - Unser aller künstlerischer Schrei aus Selbstzweck erfüllt daher seinen Zweck. Den Zweck der Enttäuschung und des Rufs nach Wiedergutmachung!

Dabei denken wir allein an die Grundsicherung: Kommt sie erst ab 2010, ist beispielsweise mancher von und auf intimacy: art entweder verhungert oder zum hoffnungslos verlorenen Kapitalisten mutiert - und darauf scheint die (neue-alte) Politik zu spekulieren. Zu veräußern gibt es schon jetzt nichts mehr. Wir - und das "wir" steht hier für all die vielen Künstler und Einzelkämpfer außerhalb kreativferner Marktformate - sind nach den kunstfeindlichen letzten Jahren am Ende unserer Vorräte und Kapazitäten. Und dabei haben wir aber den Verdacht, dass es darüber hinaus noch schlimmer kommen wird: Denn der Gradmesser für Kunst lautet weiterhin "creative industries", und damit alles das, was in vorgefestigte Schemata des Markts passen muss. Die Regierung bleibt desinteressiert an authentischer, originärer Kunst.
Es lebe die un-freie Marktwirtschaft!

Realität der Animal Farm

Es ist wohl symptomatisch, dass selbst Andreas Mailath-Pokorny die Position des Kunstministers (bzw. des "abgeschwächten" Unterrichtsministers, der auch für Kunst zuständig ist) im Vorfeld nicht annehmen wollte. Wahrscheinlich erkannte auch er sofort, dass sich unter seinen roten Freunden ähnliches abspielt wie in der Animal Farm. Darin sagen die revolutionierenden "Schweine" (SPÖ) zu den mitstreitenden Farmtieren, während sie gemeinsam die "Bauern" (ÖVP) besiegen: "Alle Tiere sind gleich!" Doch wenig später, nachdem die Schweine mit den Menschen (ÖVP) kooperieren, korrigieren sie sich: "Alle Tiere sind gleich! Aber manche Tiere sind gleicher!"
- So schreien wir verbleibenden ungleichen Tiere (Künstler und unabhängigen Journalisten) also weiter und durch. Denn das scheint die einzig sinnvolle Sprache der Machtlosen zu sein. e.o., a.c., r.r.

DAS URTEIL AUSWÄGENDE UND FRIEDVOLLE MENSCHEN MÖCHTEN IMMER DAS BESTE GLAUBEN. HUNGERT MAN SIE AUS UND HINTERGEHT MAN SIE, FANGEN DIE FRIEDVOLLSTEN ABER AN ZU SCHREIEN. - WO BLEIBT DER VON DER SPÖ VERSPROCHENE STIMMUNGSWECHSEL ZUR AUFWERTUNG VON KUNST, KÜNSTLERN, INNOVATIV-ANDERSDENKENDEN UND SOZIAL SCHWACHEN?

Thursday, January 11, 2007

THEATER: PATRICK SCHLÖSSER MACHT AUS SCHNITZLERS GROSSER "LIEBELEI" EINE KLEINE


Allzeitgültig: Fritz (Till Firit) ist ein grüner Macho-Junge, der am liebsten mit allen Frauen herummacht. Wenn die tief liebende Christine (Jennifer Frank oben) nicht herschaut, vergnügt er sich mit der Prolo-Mizi (Katharina Straßer unten) oder mit einer verheirateten Frau. Fotos © Gabriela Brandenstein


VOLKSTHEATER ARTHUR SCHNITZLER IST DER THEATERAUTOR DER TIEFENPSYCHOLOGIE. SEINE SÄTZE SIND ECHT WIE AUS UNSER ALLER LIEBESLEBEN GEGRIFFEN. PATRICK SCHLÖSSER SUCHT IM DETAIL EINEN NEUZEITLICHEN ZUGANG UND VERGISST DABEI DAS WICHTIGSTE

Bestimmte Sätze, die Mann und Frau in Liebesdingen äußern, sind immer gültig, ob zur vorigen Jahrhundertwende oder heute, im ausgehenden Jahrtausend. Darunter sind die schmerzhaftesten Taten und Worte, die einer ur-vertrauenden Frau widerfahren können, was zuzugeben, sie größte Überwindung kosten wird. Denn das dabei empfundene Gefühl der Demütigung, für den anderen - backfischigen, eitlen Mann - nicht genügend "wert" gewesen zu sein, währt ewig, wenn sie erst einmal enttäuscht stammeln muß: "Ich wäre für ihn gestorben, und er läßt sich für eine andere erschießen."

Am eigenen Leibe in zahlreichen Affairen erfahren, brachte Schnitzler solche wahre Facetten der Liebeständelei auf Papier und Bühne, Sätze von Mann und Frau in ihren typischen reflexartigen Mustern der Liebesbekundung, Liebesangst und Liebesflucht. Mit (Macho-)Männer-Sagern wie: "Schreib einer Geliebten niemals Liebesbriefe! Mach keine konkreten Versprechungen!", und Frauen-Sagern wie: "Ich verstehe sein Verhalten nicht. Verstehst du das?"

Tolles Klasse-Stück, lückenhafte Schmuddel-Regie

Wegen dieser tiefenpsychologisch wahren Sätze ist der Besuch von Liebelei im Wiener Volkstheater keine verlorene Zeit. Die Regie des seit 2004 an österreichischen Bundesländer-Bühnen inszenierenden Deutschen, Patrick Schlösser, ist es eher. Denn unklar ist, was dieser Regisseur sagen will, wenn Beliebigkeiten einander abwechseln: Ausstattungsmäßig (Etienne Pluss, Uta Meenen) stehen eine grossräumige Sitzgarnitur und Leuchte der 80-er Jahre für den Yuppie-Status von Fritz und seines Freundes Theodor, während sie zeitlos elegante, schwarze Nadelstreif-Anzüge tragen. Ein billiger, weißer Vorhang an der Rückwand mag für ihren dekadenten Luxus stehen, nur ist das alles zusammen ästhetisch so grauslig arrangiert, dass es nur an die nicht vorhandene Kassa des Volkstheaters für passende Requisiten erinnert.
Vielleicht weiß dies der fantasievolle Besucher aber dennoch zu entschuldigen, indem er in der Zeit-Undefinierbarkeit so etwas wie "Allgemeingültigkeit" abliest. Die plötzlich ertönenden modischen Einlagen, wie wenn Fritz, Theodor und die "Wiener Mädeln", Mizi und Christine, als Teeniegroup Pop singen, müssen schließlich etwas bedeuten. Da dann aber doch wieder werkgetreu das Duell der Satisfaktion aus dem beginnenden letzten Jahrhundert folgt, scheint dahinter nichts als strategischer "Zufall" zu stecken.

Deutsche Sprecher mit Wiener Dialogen

Zusätzliche Irritation liefern - bis auf die expressive Freundin Mizi als wollüsterne Prolo-Göre (Katharina Straßer), die Sex in Mengen wie Schokoladetorten genießt - die nicht-wienerischen Darsteller im wienerischen Dialog. Gut, auch Alain Delon war kein Wiener - und mit ihm wird seit der Verfilmung von Liebelei ("Christine") neben Partnerin Romy Schneider jede Neuinszenierung gemessen. Alain wirkte dennoch "klasse", wovon es bei diesen Darstellern gar nichts zu geben scheint. Vielleicht repräsentieren sie dadurch aber sinnvollerweise wieder unsere heutige "Klassenlosigkeit", wo der Geschmack des Einzelnen nicht mehr persönlich entwickelt, sondern ausschließlich durch Markt, Mode und Wirtschaft aufgedrückt ist.

Konkret haben wir mit Jennifer Frank als Christine wegen ihrer bodenständigen Optik und deutschen Natur ein weniger naives und verletzliches Mädchen als Romy, die aber dennoch suggeriert, wie sehr sich heutige coole Mädchen im sexuell freizügigen Alltag samt widersprüchlich konservativer Erziehung noch "verbrennen" können.

Till Firit hat als egozentrischer Mode-"Fritz", in seiner Eitelkeit bestärkt durch Theodor (Raphael von Bargen), seinen einprägendsten Moment, als er bei Christine vorbei schaut, bevor er sich wegen der Affaire zur verheirateten Frau tödlich duelliert: die ganze Spannbreite zwischen schlechtem Gewissen und Feigheit liegt in seinem Spiel. In seiner letzten Chance, durch Ehrlichkeit Verantwortung zu beweisen, ist er - typisch Mann - zu unreif und zu schwach, Christines Verachtung hinzunehmen, sodass sie sie später gegen sich selbst lenken und sich umbringen wird.

- Bei all den Querverweisen ins Heute, fehlt der Version nun aber ein entscheidender Hinweis: Unsere neuzeitliche "Leistung", dass zwar kein einfühlsamerer Umgang zwischen den Geschlechtern herrscht, dafür aber nicht mehr "ausschließlich" mit Frauen falsch gespielt wird: heute kommen auch die Männer dran! Selbst wenn die Methoden eigennütziger Mädchen und Frauen anders sein mögen ... e.o.


DAS URTEIL DAS STÜCK ARTHUR SCHNITZLERS VON OBERFLÄCHLICHER UND TIEFER LIEBE IST EINE WEISHEIT VON UNSCHÄTZBAREM WERT. DIE INSZENIERUNG VON PATRICK SCHLÖSSER IST ES WENIGER.

THEATER: Liebelei * Autor: Arthur Schnitzler * Regie: Patrick Schlösser * Mit: Jennifer Frank, Till Firit, Katharina Straßer * Ort: Volkstheater * Zeit: 10., 13., 16.4.07: 19h30-21h

Sunday, December 10, 2006

MODERNES BALLETT: MARK MORRIS MIT AUSGEREIFT GUTEN "MOZART DANCES"

Zwei soziale Außenseiter: Eine so kleine Ballerina (mit roten Locken) hat man wahrscheinlich noch nie gesehen: bei Morris wird sie zur Solistin.

Ein schwarzer Ballerino mit zuviel Körper-Kraft: bei Morris bekommt er den Leading-Part. Denn Ausgrenzung ist das Thema dieses Auftragswerks. Foto: © Stephanie Berger


NEW CROWNED HOPE MARK MORRIS VERSETZT DAS MUSEUMSQUARTIER IN EUPHORIE: DANKBAR SIND DIE ÖSTERREICHER FÜR SO VIEL MODERN DANCE IN MOZART DANCES. DENN MODERNES BALLETT BEKOMMEN SIE HIER JA NICHT MEHR ZU SEHEN

Wieder ein Auftragswerk für New Crowned Hope, und wieder geht es um Ausgrenzung von Minderheiten. Der amerikanische Choreograf Mark Morris hat dieses menschlich-tierische Ausschlußverhalten in die Welt des Balletts übertragen. Seine Mozart Dances sind in drei Teile geteilt. Es begint mit Eleven zum Musik-Konzert für Klavier und Orchester Nr. 11, übrigens wie alle Morris-Aufführungen mit live-Musik (hier: Camerata Salzburg mit Klaviersolo von Emanuel Ax, exakt dirigiert von Louis Langrée):

Ausgegrenzte Frau

Eine ungewöhnlich kleine, rothaarige Frau tanzt das Solo. Sie ist ob ihrer körperlichen Nicht-Entsprechung bei proportional auch noch zu kräftigen Beinen im Ballett eine Außenseiterin, so gut sie auch tanzen mag. Die großen, kräftigen Frauen in Grau machen ihr das Tänzerdasein schwer, ihr, dem unangepaßten "Klavier", dessen Melodie sie notensynchron modern tanzt. Ein schwarzer Pinseltupfer als Bühnenbild unterstreicht optisch ihren eigenwilligen Standpunkt. Manchmal wirkt sie recht komisch - so drollig wie eben sehr kleine Menschen automatisch wirken. Und doch, nach langer Auseinandersetzung mit der Gruppe, gelingt es ihr manchmal, die großen Gleichgesinnten an der Nase herum zu führen, sie zu manipulieren. Wirkt sie also aufgrund ihrer Form nicht sofort attraktiv, so bekommt sie von einem zumindest gleich mehr zugeschrieben: individuellen Charakter.

Ausgegrenzter Mann

In Double zu Mozarts Sonate in D für 2 Klaviere, wobei Emanuel Ax von Yoko Nozaki unterstützt wird, ist nun ein energiegeladener Schwarzer, mit zuviel männlicher Kraft und Oberkörpereinsatz, das Ausschlußobjekt. Im schwarzen Frack strebt er nach Aufnahme bei den gewohnt zierlich-athletischen Tutti-Männern in Grau, so wie sich an der Bühnenrückwand, schwarze Tupfer an grauen Farbflächen anhängen. Während jene Männer auch Frauen zu tanzen bekommen, entschwindet dem Schwarzen die Partnerin wieder. Trotzig schreitet er davon. Und kommt wieder, um von Neuem zu versuchen, aufgenommen zu werden. Die Männer bilden eine Kreisformation, jeder von ihnen kann auf die Stütze des anderen zählen, falls einer fällt, wird er aufgefangen. Nur der Schwarze findet in diesem Kreis nicht gleich Entgegenkommen. Morris findet für diesen Gedanken ungewohnt harmonische Konstellationen, schöne, überraschend neue Tanzbilder. Doch gegen Ende kann der Schwarze die Gruppe dann doch auch überzeugen, sodass er sie sogar einmal anführen darf.

Glückliches Paar

Der letzte Teil Twenty-seven im Konzert für Klavier und Orchester Nr. 27 ist vor roter Pinselrückwand schließlich der Paarbildung mit dem anderen Geschlecht gewidmet. Haben sich Mann und Frau innerhalb ihres eigenen Befindens und sozialen Umfelds erst einmal positioniert - ja, wenn die beiden vormaligen Außenseiter jetzt in der Gruppe tanzen, fällt ihre äußerliche Andersartigkeit tänzerisch und schritttechnisch gar nicht mehr auf -, können sie sich auch der Liebe widmen. Es läge nahe, zu denken, dass sich die beiden vielleicht finden, sie treffen sich aber nur kurz; denn der und die Richtige liegt für beide in der anatomischen Entsprechung (also ausgerechnet da, wodurch sie sich von den anderen unterscheiden!): die Frau springt in konventionellen Paarschritten mit einem zarten, dunklen, nicht allzu großen Partner über die Bühne, der Schwarze findet sich eine ebenfalls recht kräftige schwarze Partnerin. Dass diese Sprünge sämtlicher Paare etwas lange dauern, liegt leider an der Musik Mozarts, der sich zu oft wiederholt. Der lange Ausklang kann der reif durchdachten, fließend-formschönen Gesamtarbeit aber nichts anhaben. e.o.


DAS URTEIL EIN INHALTLICH UND FORMAL SCHÖNES WERK, WO SICH BEIDES BEDINGT; WO KEINE TYPISCH PERFEKTEN BALLETTKÖRPER SCHÖNSTE BALLETTBILDER UND MENSCHLICHE URFRAGEN TRANSPORTIEREN. DIE TANZCHOREOGRAPHISCHE BESONDERHEIT LIEGT IM MITTELTEIL.

BALLETT Mozart Dances * Choreografie: Mark Morris * Orchester: Camerata Salzburg * Dirigent: Louis Langrée * Tanz: Mark Morris Dance Group * Ort: Halle E/ MQ * Zeit: 10.12., 20h

Saturday, December 09, 2006

MUSICAL: ESTHER MUSCHOL MACHT AUS "A GOOD MAN" SCHLECHTES JUGENDTHEATER


A Good Man - schrecklich hausbackene Regie (was auch das "Vorstadttheater"-Bühnenbild zeigt), gute charismatische Sänger: Cedric Hayman, Stephen Shivers, Alvin Le Bass, Lerato Sebele, Carole Alston, Amber Schoop, Foto © Christian Husar


WIENER KAMMEROPER NACH DEM SENSATIONELLEN AIN´T MISBEHAVIN´ IM LETZTEN JAHR IST DAS DIESJÄHRIGE AFRO - AMERIKANISCHE MUSICAL A GOOD MAN GERADEZU SCHLECHT - ZUMINDEST WAS DIE REGIE ANBELANGT.

Vor zwei Jahren startete die Wiener Kammeroper mit einer Musical-Schiene, die primär durch starke schwarze Interpreten besticht. Wo auch immer diese Sänger und Tänzer ihr Charisma und ihr Talent herhaben - eines ist auf alle Fälle klar: mit diesen Darstellern geht nichts schief. Da mag die Regie noch so dilettantisch sein, wie etwa heuer von der Münchnerin Esther Muschol. - Was soll das sein: ein Kinderstück, ein Vorstadttheater für amusische Bauersleute, ein Schwank für Analphabeten?

Nach dem schlicht inszenierenden Alonso Barros bei Avenue X, dem glamourös sexy und augenzwinkernd dynamisch regieführenden Giorgio Madia bei Ain´t Misbehavin´, ist die Welturaufführung von A Good Man nun der enttäuschende Schuß nach hinten. Vielleicht liegt es ja nur an der banalen Geschichte, die in Mississippi um 1946 spielt, und die von Ray Leslee und Philip S. Goodman 2002 geschrieben und in den letzten Jahren in diversen Workshop-Produktionen "weiterentwickelt" worden ist. - Diesen Workshop-Charakter, den merkt man leider.

Nichtsdestotrotz: die Darsteller singen blendend, sodass sich Geschichte und naiv-dumme Regie phasenweise vergessen lassen. Erstaunlich ist Carole Alston als alte "Granny": den Fake erkennt man zwar sofort, aber dass Alston die Altennummer durchzieht - ja selbst "alt" singt - das ist innerhalb der schlechten Verkleidungsidee doch erstaunlich gut. Als einzig interessanter Charakter kommt Alvin Le Bass rüber: "Hardway" gerät im allgemeinen schwierigen Kampf der schwarzen Bevölkerung um Selbstbehauptung auf die schiefe Bahn und endet im Opportunismus. Alle anderen Darsteller sind reine schwarze Klischeetypen, keine echten Charaktere.

Eine interessante Wandlung gegenüber letztem Jahr machte nur der musikalische Leiter Michael Schnack durch. Nach der Fats-Waller-Klavier-Jazzmusik kommt er heuer mit ein paar Musikern des Wiener Kammerorchesters als Blues´n´Rock´n´Roller daher. Diese Musik hat Schmiß und fetzt Gott-sei-Dank schnell durch den zweieinhalbstündigen Abend.
Übrigens Schnack leitet im Jänner die konzertante Operette The Gondoliers u.a. mit zwei Top-Sängern aus Ain´t Misbehavin`: Aisha Lindsey und Previn Moore! a.c.


DAS URTEIL GUTE SÄNGER, BANALE REGIE: SCHADE UM DIESES ALLJÄHRLICHE AFROAMERIKANISCHE MUSICAL-HIGHLIGHT.

MUSICAL: A Good Man * Musik: Ray Leslee * Buch: Philip S. Goodman basierend auf einer Novelle von Jefferson Young * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Regie: Esther Muschol * Mit: Amber Schoop, Lerato Sebele, David Durham, Quintin Gray, Carole Alston, Stephen Shivers, Cedric Hayman, Alvin Le Bass, Charlie Hensley * Mit: Orchester der Wiener Kammeroper * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 12., 14*., 16., 19*., 21.12., 19h30

OPERETTE: The Gondoliers * Von: William Gilbert und Arthur Sullivan * konzertant * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Mit: Previn Moore, Aisha Lindsey, u.a. * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 6.,8.1.07, 19h30

MUSIK: SANFTER VOGEL MARIA SCHNEIDER IN "CERULEAN SKIES"

Maria Schneider ist ungewöhnlich: sanft und sinnlich führt sie ihr Musikerheer durch vogelreiches Gezwitscher. Etwas Feuer hätte dem Abend im Wiener Konzerthaus aber auch nicht geschadet. Foto: © David Korchin.


NEW CROWNED HOPE KOMPONISTIN MARIA SCHNEIDER BRINGT WEIBLICHKEIT IN DEN JAZZ. ALS SINNLICHER ENGEL TÄNZELT SIE VOR IHRER BIG BAND "MARIA SCHNEIDER ORCHESTRA" DURCH EIN SANFTES FLÜGELSCHLAGEN UND GEZWITSCHER IM AUFTRAGSWERK CERULEAN SKIES

Jazz ist Kopfmusik und deshalb männlich. Wurde dieses Klischee inzwischen erfolgreich aufgebrochen, indem Frauen als Jazz-Musikerinnen und - Sängerinnen bewiesen, dass auch sie durchaus intellektuell veranlagt sein können, so lenkt Maria Schneider den Vorbehalt noch einmal in die andere Richtung: Sie reichert den Jazz emotional an. Nun gab es auch das schon mittels Milonga, sprich Brasilianischem Jazz. - Wurde das aber schon von einer Jazz-Big-Band gespielt? - Kaum.

Emotionale Kompositions- und Dirigiertechnik

Die Emotionalität erreicht Maria Schneider in der Komposition über individuelle Orchestrierung: ein blumiger Klangteppich aus Akkordeon, Frauenstimme (die wie ein Instrument ausschließlich summt), Perkussion-Naturtönen und Flöten ist bei ihr mindestens genauso präsent wie das obligatorische Saxophon, die Trompete, Klarinette, Posaune und das Schlagzeug. Dämpfer auf dem Blech führen ihre Big Band - übrigens mit ungewöhnlich vielen Frauen besetzt - zur leicht-beschwingten, gefühlvollen Muse.

Unterstrichen wird diese Kompositionstechnik noch einmal durch den Dirigatstil - was bei Schneiders einmaligem Konzert während des New Crowned Hope Festivals im Wiener Konzerthaus live zu erleben war. Wer die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker in ihrem Solo Once sah, muß sich wahrscheinlich beim Anblick der dirigierenden Maria Schneider mit einem Déjà Vu beschäftigen: Die zierliche Rothaarige hat die Anatomie und den Ausdruck der Tänzerin und gibt den Takt hauptsächlich mit ihrem Körper vor. Auch ohne Arme könnte sie ihr Musikgefolge mühelos durch den Abend führen, denn das Grundtempo schwingen ihre Hüften, die durch den schenkelhohen Rückschlitz am Rock auf das Publikum zusätzlich sinnlich wirken. Was das Publikum nicht sieht, ist allerdings das Gesicht der Musikerin, mit geschlossenen Augen transportiert sie Farben und Stimmungen, die die Musiker ungewöhnlich oft in ihrem Gesicht abzulesen scheinen.

Ein Abend, dem der Teufel fehlt

So selbstvergessen sie dirigiert, so bewußt gesetzt sind die Lieder, die sie gegensätzlich "plappernd" anmoderiert. - Auch das entspricht eigentlich dem herkömmlichen Klischee einer "kommunikativen Frau". Sie erzählt beim ersten Lied von der Brasilien-Nähe, beim Zweiten von der Rhythmischen - auf Perkussion mit den Händen geschlagen - zu Peru, beim Dritten von der Spanien-Nähe mit geklatschtem und sanft gerasseltem Flamenco sowie zärtlichen Querflöten, aber mit irrem ruckartigen Finale - denn der Rhythmus stammt jetzt aus Afrika. Den Abschluß vor der Pause bildet ein Werk mit Solo der Trompeterin Ingrid Jensen.

Und dann kommt, worauf alle gewartet haben: Das Auftragswerk für New Crowned Hope, Cerulean Skies. Schneider dachte bei dieser Kompostion an eine spezielle Art von blauem Vogel, die wie viele andere Arten aus aller Welt jährlich im Central Park zusammen treffen. - Als fröhliches Get Together "zwitschern" hier Flöten, Trommeln und Streicher um ein Saxophon-Solo herum, den Übergang "piept" das Akkordeon begleitet vom Klavier, die Musiker ziehen Tücher hervor, mit denen sie Flügelschläge imitieren - was Leos Janacek für die Klassik ist, ist daher Schneider für den Jazz. Nur die Musik dazwischen scheint ein wenig einfach und Mainstream-verloren, sodass das Ganze nicht wirklich einzuschlagen vermag.

Plötzlich schießt dem Zuhörer die Fernseh-Serie Unsere kleine Farm in den Kopf. Es muß vom Klangbild der "naiven, mitfühlenden, heilen Welt" herrühren. Und Schneider hat auch bis zum Schluß keine richtigen Sorgen. Ohne Eile, lediglich etwas melancholisch spaziert sie in einem abermals um ein Saxophon-Solo gelegten, sanften Werk sowie einem Brasilianisches Lied ins Finale, getoppt durch ein Zugabe-Werk, das Schneider einst einer an Brustkrebs verstorbenen Freundin gewidmet hatte: Steve Wilson spielt darin das Saxophon-Solo. r.r.


DAS URTEIL MARIA SCHNEIDER LIVE ZU SEHEN, IST ZUNÄCHST BEWUNDERSWERT NEUARTIG: SANFT, WEIBLICH, TÄNZERISCH FÜHRT SIE ENGELSGLEICH IHRE BIG BAND AN. NUR SCHADE, DASS ALLE KOMPOSITIONEN GLEICH UM SOLO-AUFTRITTE GEBAUT SIND. DIE LIEDER SANFTELN DAHIN, RUHIG, MEDITATIV, BESCHEIDEN, BIS SICH DER "MENSCH" FRAGT: KOMMT NUN BALD MAL DER TEUFEL?

Thursday, November 30, 2006

THEATER: PETER MISSOTTEN VERTECHNISIERT HEINER MÜLLERS "QUARTETT"

Unter dieser Vier-Leinwand-Konstellation und den agierenden zwei Männern auf der Platte in der Luft, sitzen die angestrengten Zuschauer und sehnen sich das Ende herbei. (Foto © N. Mangafas / Schauspielhaus)


SCHAUSPIELHAUS WIEN EIN ANSTRENGENDES VIDEO - VIER - LEINWAND - SYSTEM ÜBER DIE EROTIK-MENAGE-A-TROIS GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN NACH HEINER MÜLLERS QUARTETT: DIE TECHNIKFREUDE IST MIT REGISSEUR PETER MISSOTTEN SICHTLICH DURCHGEGANGEN

So wenig erotisch hat man einen sinnlichen Stoff noch nie erlebt: Brecht-Nachfolger Heiner Müllers Theaterversion Quartett des Romans Gefährliche Liebschaften: Der Zuschauer sitzt mit steifem Nacken auf sich bewegenden weichen Gummipolstern und starrt an die Decke. Dem Zeltfreund und Wiesensitzer mag das gefallen, kultivierten Menschen weniger. Ganz zu schweigen von der Geißelung des Körpers, die der Zuschauer an allen Ecken und Enden spürt.

Wenn sich da oben, auf der Platte, die von der Decke baumelt, nun wenigstens etwas abspielen würde, könnte er sich von den Schmerzen vielleicht ein wenig ablenken lassen. Aber nein, zwei junge Männer (Karel Tuytschaever, Jonas Leemans) imitieren mit lüsternen, wulstigen Lippen lediglich zwei Frauenstimmen (Vivien Löschner, Barbara Horvath), die alle drei Figuren sprechen. Diese Synchronität ist recht treffend und über live-gefilmte Nahaufnahmen überdimensional auffällig - aber reicht das auch, um einen Abend zu füllen?

Wenn es nun wenigstens um die Liebe zweier schwuler Juden ginge - denn beide tragen Kippa und Peikeles - könnten wir von der Verfremdung etwas Überbegriffliches ableiten. Aber nein, das soll die Verfremdung Brechts, bzw. Heiner Müllers, per se bedeuten, steht also für nichts als für die Verfremdung an sich. Nein, das ist kein didaktisches Theater. Das ist schlicht Technikverdrossenheit eines Fernseh-Komponenten-Freaks. Wäre wirklich großartig, wenn der niederländische Regisseur Peter Missotten nächstens seine Liebe zum Theater und Geschichtenerzählen miteinbinden könnte. p.m./e.o.

DAS URTEIL ETWAS FÜR MASOCHISTEN. DA NÜTZT DER GANZE INSTALLATIVE BÜHNENAUFWAND NICHTS.

THEATER Quartett * Autor: Heiner Müller * Regie: Peter Missotten * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: täglich außer Montag bis 6.12., 20h

PERFORMANCE+AUSSTELLUNG: LEMI PONIFASIOS "REQUIEM" IM SCHWARZ DES TODES II

Szene aus dem maniriert-meditativen, dramatisch-dunklen Requiem von Lemi Ponifasio und seinem Tanzensemble MAU: Noch ist das Kind geschützt bei einem Erwachsenen, später wird es blutrot überströmt stehend sterben. (Foto: © Lemi Ponifasio / MAU)

Invisible by Night, 2004 von der Künstlerin und Ausstellungskuratorin im Künstlerhaus: © Lynette Wallworth: Auch hier ist vieles formal-überhöht schön und dunkel. Was es über den Effekt hinaus wertvoll macht, ist die Fragilität: diese Frau berührt und läßt sich durch Glas berühren.


NEW CROWNED HOPE IM SCHWARZBILD SAMOANER LEMI PONIFASIO TANZT MIT SEINER TANZCOMPAGNIE MAU IN REQUIEM STILL UND GEISTERHAFT IN DEN TOD, WÄHREND EIN BLUTROTES KIND STIRBT: SO MANIRIERT SCHÖN, DASS MAN KAUM AN "ETHNOKUNST" GLAUBEN MAG - UND DAS IST AUCH DIE QUALITÄT DER LAUFENDEN AUSSTELLUNGEN EVOLUTION OF FEARLESSNESS UND GREEN FLAME


Lemi Ponifasio dramatisch dunkles Requiem

Eine fast schwarze Bühne, ein dramatisch heller Lichtkegel, ein Häuptling begrüßt die Zuschauer, nonnenhafte Frauen schreiten als kaum sichtbare Geister am Bühnenhorizont entlang. Kräftige Männer üben sich in Gesten wie Waschungen mit reinen weißen Tüchern. Sie alle gedenken der Toten, in ritueller, meditativer Tradition, und auch wieder nicht: Hier ist alles schick, hat der intellektuelle Westen mit aller Wucht zugeschlagen. Mit distanzierter, grafischer Exaktheit und meisterhaftem Licht (Helen Todd).

Choreograf und Regisseur Lemi Ponifasio läßt in seiner Réné-Magritte-Illusion schwarze, steife Totenkörper durch den Raum tragen, den zwei mächtige Mittelpfosten stützen. Sie ermahnen unaufhörlich, in allem zwei Ansichten zu bedenken: Tag und Nacht, Leben und Tod. Da zieht jemand unter großer Anstrengung einen Totenkarren, als sei darin während seines ganzen Lebens die Erinnerung an seine Ahnen verpackt. Ein Männergrüppchen trippelt in Schwebe, asiatisch gestikulierend über die Bühne - bewußt recht komisch - denn die Zeremonien im pazifischen Raum sind mit Witz und Satire bespickt. Und doch, es artet direkt und unverblümt in gesungene Klagen aus: gegen Tyrannei und für soziale Gerechtigkeit.

Dann: Ein unschuldiges Kind betritt die Bühne. Erst ist es rein, gesund, regungslos steht es da. Langsam rinnt Blut über seinen nackten Oberkörper. "Kinder - Zerbrecher der Kalebassen - Mit eurem Beitrag und meinem Beitrag Sollen die Menschen genährt und erhalten werden", heißt es, und: "Die Menschheit zeugt, aber die Todesgöttin verbirgt, So wie ein Häuptling stirbt, Wird ein anderer seinen Platz einnehmen." Tücher werden wie Totentafeln auf dem Boden des Raums verteilt, ein Kind nimmt jedes von ihnen einzeln auf: andächtig, in Gedenken und legt sie wieder zusammen.

Wie im Friedhof, wenn irgendwann die Knochen unserer Väter und Mütter zusammen geworfen werden, da die Seelen schon längst in den lebenden Menschen verankert sind. - Traurig und schön, ist diese Performance des Bildererzählens. Und langsam. - Für manchen auch zu schön und langsam ... e.o.

Edle Ausstellungen Evolution of Fearlessness und Green Flame

Viel dramatisches Licht in dunklem Schwarz gibt es auch im Wiener Künstlerhaus in der von der australischen Künstlerin Lynette Wallworth kuratierten Ausstellung Evolution of Fearlessness zu erfahren. Die ausdrucksstärksten, den Titel treffendsten Werke steuert sie selbst bei: im gleichnamigen, interaktiven Video sowie in Invisible by Night berühren die Besucher durch eine Glasscheibe dunkle Frauenkörper - Ängste gegen andersartige Herkunft werden dabei abgebaut, wobei die Ängste auf beiden Seiten, hinter und vor der Scheibe, zu liegen scheinen. Fragile stoffumhüllte Frauenkörper wehen auf der Spitze eines Berges in Standbildern (Damavand Mountain), im Video Still: Waiting 2 ereignet sich ein archaisch-poetisches Naturszenario in vogelreicher Ewigkeit.

Das Schöne an Ponifasios und Wallworths Präsentation ihres sinnlichen Ethnogedankes ist die hohe Qualität der ästhetischen Form. Nicht arm, unbeholfen und schmutzig ist diese Kunst, sondern in jedem Quadratmillimeter durchdacht und strategisch gesetzt. Das ist doch recht wichtig, wenn man im Westen Kunst von "armen" Entwicklungsländern zeigt. Denn nur so werden kapitalistische Wohlstandsbürger zur Anerkennung na(t)iver Völker bekehrt. Das mag arrogant klingen, ist aber wichtig zu erwähnen.

Ebenso formschön sind die Werke von Elias Simes (Web-Gemälde im Stil der Aboriginies) und Julie Mehretus/Stephen Vitiellos (Rauminstallation mit Tontellern und Grafikwand), sowie von Ernesto Novelo, Sergio Pech und Reinaldo Pech im project space, Karlsplatz, kuratiert von der Äthiopierin Meskerem Assegued unter dem Titel Green Flame. r.r.




Weitere Werke von Lynette Wallworth im Künstlerhaus: Intera
ktive Videos der Frauenberührung wie Evolution of Fearlessness, 2006 (© Foto: Rocco Fasano / Courtesy Lynette Wallworth), Still: Waiting 2 (© Foto/Courtesy: Lynette Wallworth), Damavand Mountain und Hold_bowlcu1 aus der Serie Hold: Vessel 1, 2001 (© Foto: Diana Panuccio/Courtesy Australian Centre for the Moving Image)



Weder Wallworths, noch die Kunstwerke von Elias Sime - Filega 2 (Yarn Stiches Construction, 2004, 70 x 80 cm) aus der Serie Mud & Straw - oder Julie Mehretu/Stephen Vitiello - Wandmalerei und Toninstallation: Untitled #2 - machen einen ethnisch-stillosen Eindruck - das ist mit höchster, künstlerischer Ernsthaftigkeit gemacht. Ebenso wie in der Green Flame-Aussstellung in der Kunsthalle wien project space von den Bildenden Künstlern: Ernesto Novelo, Sergio Pech (buntes Bild) und Reinaldo Pech.



DAS URTEIL DIE ETHNISCHE ZAUBERFORMEL FÜR DEN TOD SCHEINT SCHWARZ MIT DRAMATISCHEM LICHT ZU SEIN, SOWIE DIE BRAV AUSGEFÜHRTE KONVENTIONSLINIE DER EMOTION. DAS MAG AUF MANCHEN EIN WENIG ÜBERSTILISIERT WIRKEN - DOCH BRINGT DAS DIE ETHNOKUNST WEG VOM KLISCHEE DER STILLOSEN ALTERNATIVÄSTHETIK.

AUSSTELLUNG: Evolution of Fearlessness / Green Flame * Kuratorinnen: Lynette Wallworth, Meskerem Assegued * Ort: Künstlerhaus / Kunsthalle Wien: Project Space * Zeit: bis 13.12.06 * Eintritt frei

OPER/TANZ: PETER SELLARS "LA PASSION DE SIMONE" IM SCHWARZ DES TODES I

Peter Sellars schwarze La Passion de Simone als gefühlsarmes Kammerstück.


NEW CROWNED HOPE IM SCHWARZBILD PETER SELLARS BETONT IN SEINER REGIE VON LA PASSION DE SIMONE ABERMALS WORT UND MUSIK - DIESMAL IST ES AUCH UNVERKITSCHT ELEGANT: DADURCH ABER NUR EINE NUMMER-SICHER-INSZENIERUNG

Schwarz als Grundtenor der Erinnerung an eine scheinbar selbstlose, tote, französisch-jüdische Mystikerin: Lichteffekte auf den Arnold Schönberg Chor im unteren Drittel der Bühne frontal zum Publikum. Sie betonen innere Gefühlswallungen und Geistesdilemma der auf dem oberen Bühnen-Zweidrittel räumlich eingekapselten Simone Weil. Sie ist gespalten, in eine singende Opernsängerin (sopranstimmlich perfekt Pia Freund) und einen gestisch-reduzierten Tänzer (unspektakulär Michael Schumacher). Kopf und Gefühl der Frau, ihre innere Zerrissenheit und ihre gefühlte Last am Leben werden so doppelt betont.

Im Libretto des in Frankreich lebenden, libanesischen Librettisten Amin Maalouf ist die 1943 im freiwilligen Hungertod Verstorbene ein geschlossenes System an frühkindlicher Selbstverachtung und späterer Liebessuche durch Selbstaufopferung für sozialwirtschaftliche und politische Gerechtigkeit. Leid und Liebe ihrer Nächsten übersah sie allerdings. Von der Fließbandarbeiterin in einer Fabrik zur Krankenpflegerin im spanischen Bürgerkrieg und letztendlich zur - als jüdischer Flüchtling - Zurückkommenden in das Nazi-besetzte Frankreich, und folglich zur Nachkriegs-Wiederaufbau-Arbeitenden Europas, erlebte sie an ihrem eigenen Leib aus Protest die Härte von Lebenssituationen geschundener, benachteiligter Menschen. So ist die Oper gebaut in fünfzehn Kreuzwegstationen, gleich der Lebensgeschichte Jesu: "Es ist ein Privileg wie Jesus am Kreuz zu sterben. Er starb am Kreuz, weil Gott ihn verlassen hatte", singt die Bühnen-Weil. Worauf der Chor feierlich und grell erleuchtet einstimmt: "Er/sie ist wieder auferstanden!"

Visuell sieht der Zuschauer diesen Weg zwar nicht, denn es spielt sich ja alles im Kopf der Frau ab, dessen Gedanken Pia Freund auf französisch ausspricht - weshalb der Zuhörer auch vom Text kaum etwas hat. Er kann nur mitlesen, was auf Dauer zu anstrengend ist: Worte wie, "alles Schlechte auf der Welt reist umher, bis es auf ein reines Opfer trifft. Das Leben ist die Vorbereitung auf den Tod. Schlagen und Geschlagen-werden ist dasselbe", und die enden, wie sie begonnen haben: "Man muß das lieben, was nicht ist."

Peter Sellars hat intellektuell Regie geführt. Es ist ein Kammerspiel, das trotz der rührseligen Worte kaum zu rühren vermag. Selbst die vom Tonband mit Frauenstimmme eingespielten, textlich schönen Originalverse Weils, die bestimmt dramatisch ergreifende Musiknotation mit Dissonanzen und Harmonien der Komponistin Kaija Saariaho, temperamentvoll dirigiert von Susanna Mälkki und ebenso wiedergegeben vom Klangforum Wien, rufen im Zuschauer kein liebevolles Bedauern um die bzw. Miterleben der Frau Simone Weil hervor. Das ist ein nüchternes, sauberes, wenn nicht sogar ein wenig eitles Kammerspiel. e.o.

DAS URTEIL WAR PETER SELLARS IN A FLOWERING TREE ZU BLUMIG, IST ER HIER ZU INTELLEKTUELL. LA PASSION DE SIMONE IST DAHER WAHRSCHEINLICH ETWAS FÜR AUSSCHLIESSLICHE DER-STANDARD-LESER.

Friday, November 24, 2006

THEATER: CORNELIA CROMBHOLZS ZIRKUSREIFE "YVONNE, DIE BURGUNDERPRINZESSIN"

Yvonne (Silvia Fenz oben links Mitte) ist so makaber häßlich, dass sie der Prinz (Andreas Seifert) aus dekadentem Edelmut heiraten will. Der Prinz wird aber leider von der Häßlichen nicht sexuell erregt, deshalb nimmt er dann doch lieber (brutal von hinten!) die Hofdame zur Frau (Anja Schiffel) (alle Fotos ©Lalo Jodlbauer)
Die charakterstärksten Schauspieler des Abends: König (Rainer Frieb, unten Mitte) und Königin (Beatrice Frey, unten rechts)


VOLKSTHEATER CORNELIA CROMBHOLZ MACHT AUS WITOLD GOMBROWICZS KLUGER MÄRCHENGROTESKE (1934) EIN SCHNELLES ZIRKUSSTÜCK: ANFANGS IST ES GLÜCKLICHERWEISE SENSIBEL

Yvonne, die Burgunderprinzessin - Premiere war am 19.11. im Wiener Volkstheater - ist bis zur Halbzeit ein hochinteressantes Stück. Denn es verkehrt herkömmliche Auslöser der Liebe und Beziehung ins Gegenteil und schält dadurch die wenig politisch korrekten, aber echten Bedingungen für eine anhaltende Verbindung heraus. Am Ende siegen Konvention und Klischee. Doch jedem Menschen werden solche Fehlzündungen unter/bewußt schon passiert sein - wie eben auch Prinz Philippe im Stück.

Die Prinzenrolle steht Schauspieler Andreas Seifert sehr gut. Wie schon im Spiegelgrund ist er auch hier nach außen hin "irr", in Wahrheit aber (zuerst) ein Widerstandskämpfer für Gewissen und Gerechtigkeit innerhalb einer opportunistischen, dekadenten und verlogenen Gesellschaft. Um sich ihr und seinem eigenen, natürlichen Ekel zu widersetzen, will er die häßliche Yvonne heiraten - optisch blendend besetzt mit der viel älteren Silvia Fenz. "Sie ärgert mich dermaßen, dass ich sie heiraten muß", sagt er. Ein Satz, der auch die oft vorkommende Neugier durch Verunsicherung als Liebesmotivation miteinschließt. Doch der Prinz verlobt sich noch mehr "aus Überfluß mit dem gerupften Huhn" und rechtfertigt es (nur) mit "Edelmut". Und der Hof kann sich dem nicht entgegen stellen, denn das wäre ein Skandal.

Häßlichkeit als Spiegel für menschliche Schwächen

Interessant ist aber, dass der Prinz trotz seines vordergründigen Mitleids versucht, Gutes in Yvonne zu finden, um sie lieben zu können. Dadurch verliebt allerdings sie sich in ihn. Der Vergleich liegt nahe, einen Menschen kaum mehr äußerlich zu sehen, wenn man ihn besser kennt. Nur so lassen sich etwa Scheidungen von Fotomodellen erklären. Aber auch glückliche Ehen mit häßlichen Partnern. Letztenendes werden ja auch die Schwächen eines Menschen geliebt, allerdings nur, wenn jene in einem selbst schlummern.
- Und das erleben auch die meisten Leute am Hof, sie müssen ihre dunklen, verborgenen Seiten in Yvonne erkennen: Den zappelnden König (brillant gespielt von Rainer Frieb) erinnert sie an die schmutzige Unterwäsche seiner Frau, was ihn trotz Schreckens sexuell anregt. Die Königin - Beatrice Frey mit der stärksten Schauspielleistung des Abends, als sie sich äußerlich selbst zerstört - entdeckt in der Schreckschraube ihre lesbisch-egozentrischen Anwandlungen, die sie in heimlichen Tagebüchern niedergeschrieben hat.
Nur einer kommt bei Yvonne sexuell überhaupt nicht in Fahrt: der Prinz. Deshalb überfällt er kurzerhand die sexy Hofdame Isa (konventionell: Anja Schiffel), mit der er sich auch gleich neu verlobt, ... Yvonne muß also sterben, damit wieder Ruhe einkehrt und sie in den Leuten kein schlechtes Gewissen mehr auslösen kann.

Leider wird das Stück nach der Pause inhaltlich und regiemäßig (Cornelia Crombholz) zum oberflächlichen, zeitlich durch die Mordplanung gestreckten Klamauk. Lieferte die Groteske zuvor noch überraschende Wendungen, so ist ab diesem Zeitpunkt alles vorhersehbar. Sandy Lopicics Musik im Stil von Max Raabe bindet die Szenen, Tempo und Atmosphäre enden im Zirkus. Selbst wenn das für den Zirkus des Lebens mit einem unverschämt, gestandenen Ja zur Bosheit hinter der Fassade stehen mag, ist das doch ein wenig enttäuschend. Selbst wenn die Menschheit tatsächlich nur ihre Eitelkeit im Gange hält. e.o.


DAS URTEIL DASS MAN NIE AUS MITLEID LIEBEN SOLL - ALLEIN WEGEN DIESER ERKENNTNIS IST DIESES STÜCK POLNISCHEN IRRWITZES SEHENSWERT: NACH DER PAUSE WIRD´S ALLERDINGS FAD.

THEATER Yvonne, die Burgunderprinzessin * Autor: Witold Gombrowicz * Regie: Cornelia Crombholz * Musik: Sandy Lopicic mit Band * Mit: Silvia Fenz, Rainer Frieb, Beatrice Frey, Andreas Seifert, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 27.11, 1., 2.,10.,11.,14.,19.,20.,30.12.: 19h30 + 17.12.: 15h

MUSIK: KRONOS QUARTET VON NULL ZUM EXZESS

Das Kronos Quartet steigerte sich beim New Crowned Hope Festival innerhalb von vier Tagen in den wortwörtlichen "Höhepunkt" (Foto © Elfi Oberhuber)

NEW CROWNED HOPE - DER KONZERTMARATHON DES AMERIKANISCHEN SUPER-STREICHQUARTETS KRONOS ENDETE IM ANSTÖSSIGEN FÜNFER-O(H)RGASMUS

In weiser Voraussicht, dass der erste Abend des amerikanischen Streichquartets Kronos Quartet im Jugendstiltheater, wo es Osvaldo Golijovs Werke spielen sollte, wahrscheinlich nie und nimmer an seine CD-Qualität (Nuevo) heran kommen würde, verschonten wir dieses Konzert mit unserer Anwesenheit. Denn wenn man die dürftigen akustischen Möglichkeiten jener Stätte mit den elektronisch aufwendigen Anforderungen dieses umwerfenden lateinamerikanischen (argentinisch-jüdischen) Komponisten gedanklich kombiniert, kann das nur enttäuschend sein. - Dementsprechend waren auch die Reaktionen der Tageszeitungskritik.

Besser schnitt tags darauf das zweite, eher auf reine Streichermusik bezogene Konzert mit der aserbaidschanischen Komponistin und Pianistin Franghiz Ali-Zadeh ab. Und vom dritten Abend an, mit dem bezaubernd fantasievollen Werk von Terry Riley (2004) sowie einer düster-traurigen Komposition des Polen Henryk M. Górecki, hörten auch wir mit anwesenden Ohren zu.

Akustik-Schwierigkeiten im Jugendstiltheater

Pipa-Starvirtuosin Wu Man: über ihre "chinesischer Laute" balanciert die musikalische Grenzgängerin gleich einer Ballerina (Foto: © Kronos Quartet archive)

Das aus sechs Sätzen bestehende The Cusp of Magic Rileys ist passend zu den kinderbezogenen Titeln The Cusp of Magic, Buddha´s Bedroom, The Nursery, Royal Wedding, Emily and Alice und Prayer Circle ein buntes Klangerlebnis aus vom Band zugespielten Froschgeräuschen sowie von Violonist David Harrington live "gespielten" Indianer-Rasseln und Spielzeugtönen inklusive Lachsack. Harrington hatte diese "Instrumente" aus aller Welt seinem Enkel mitgebracht, was den befreundeten Riley zu dieser Komposition inspirierte. Star des Spiels ist Pipa-Virtuosin Wu Man - und dass Kronos ihr diesen Status überläßt, zeugt für die Souveränität dieses Ensembles: Ihre Finger tanzen gleich einer behenden Ballerina über die Saiten, zupfen so schnell und rhythmisch leicht dahin, dass man ihr jedes Klangmärchen glauben will. Rileys Minimalismus ist in diesem Werk übrigens nur im 4. Satz zu erkennen.

Mehr davon war im kontrastreichen Gegensatz zum ersten Teil zu finden: in Góreckis puristischem, mit Wiederholungen und Einzelnoten langgezogenem Werk Piesni Spiewaja (songs are sung). Dessen simple Struktur ertönt traurig, karg, nackt. Sein Klang scheint nach all dem Unrecht auf der Welt zu fragen.
Und doch: Weder beim ersten, noch beim zweiten Teil, sprang der emotionale Funke, obwohl die Stücke großteils sauber gespielt waren, richtig rüber. Ob Kronos wehmütiger hätte sein sollen, oder vielleicht das Stück selbst der Grund, oder - am wahrscheinlichsten - die Akustik des Raumes Schuld war, alles kann eine Rolle gespielt haben.

Explosion im Radiokulturhaus

Doch zur Explosion kam es am vierten Tag: Im Radiokulturhaus waren sowohl die klanglichen, als auch optischen Bedingungen für Kronos perfekt. Über die verstärkten Geigen steigerten die vier Virtuosen ihr Spiel. Mit Gefühl und Konzentration war jeder Einzelne voll bei der Sache. Inspiriert wurden die vier Musiker vom Gedankengebäude David Barsamians im Gespräch mit Historiker und Dramatiker Howard Zinn. Denn hier fand die legendäre amerikanische Show Alternative Radio - Musik in einer Zeit von Krieg und Hoffnung in zwei Teilen, von 15-18h nachmittags und von 23-1h30 nachts, statt. Im Wechsel von politischem Gespräch und multikultureller Kronos-Musik spornten sich beide Komponenten gegenseitig zu reflexiven Höhen und Tiefen an.

Radikaler Bush-Provokateur Howard Zinn

David Barsamian und Howard Zinn (links) in der Radioshow Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope: Zinn ist radikal gegen die Politik George Bushs (Foto: © Richard Termine)

Neben der wandelnden Einstellung der amerikanischen Bevölkerung hinsichtlich Bushs Irakkriegs - mehr als 60% sind jetzt dagegen -, erzählte der 84-jährige, sich zum radikalen Historismus bekennende Universitätsprofessor ("Es gibt keinen neutralen Standpunkt in der Geschichte, weshalb ich meine Studenten dazu ermutige, nicht per se mit der Präsidentenmacht zu kollaborieren, sondern nach der eigenen, gewissenhaften Meinung zu handeln") von der generellen Unmenschlichkeit heutiger Medien-Kriege, die sich nicht mehr gegen Soldaten, sondern zu 70% gegen Zivilisten bzw. Kinder richten würden. Zinn: "Unsere US-Kriegsherren jagen verdächtige Terroristen, wobei jeder politische "Widersacher" (etwa Saddam Hussein) öffentlich mit Hitler gleichgesetzt wird. Sie stieren auf die Waffen Irans, obwohl sie selbst Nuklearwaffen besitzen, die die USA als einziges Land jemals eingesetzt haben. Von der kommunistischen Verschwörung - Zinns Stück Marx in Soho handelt von der Rückkehr Karl Marxs nach Soho in New York, um seinen Namen klar zu stellen) - lenkt es die Hysterie nun auf das Nuklear-Phantom. Man sollte daher eher vom legalen Regierungterrorismus der USA sprechen."

Der Historiker hinterfragt die US-Demokratie, wo die freie Meinungsäußerung tatsächlich nur mit Macht und Geld einher gehe. Die Medien, ebenfalls abhängig von der Industrie, unterschieden nicht zwischen Fikton und Nicht-Fiktion. Nur die Künstler würden echte Probleme eher erfassen, bevor sie andere übernähmen. Als potentielle Macht behindere die Politik jene allerdings. Und hier hakte der künstlerische Leiter des Festivals, Peter Sellars, ein: "Und doch haben es Künstler immer geschafft, an Orten zu sprechen, wo es möglich ist. Können die Kurden nicht im Iran singen, so tun sie es anderswo." Zinn ruft zur Widerstands-Bürgerbewegung mit Bewußtsein für eigene historische Identität auf, insbesondere der Minderheiten: Gerade weil im Fortschreiten der Globalisierung die Nationalisten keine Neuankömmlinge wünschten. Die Amerikaner seien gegen mexikanische Immigranten, obwohl sie selbst alle einmal von irgendwoher gekommen seien: "Insofern ist die Freiheitsstatue eine Lüge", sagt Zinn.
Die weltgrößte Gefahr liege allerdings - von Bush als Junk-Wissenschaft herunter gespielt - in der globalen Erwärmung, da die Langzeit-Konsequenzen zwar erwiesen, tatsächlich aber unsichtbar seien.

"Egal, wer in welchem dieser Bereiche "was" tut, um Widerstand zu leisten", schließt Zinn, "jeder kleine Akt hilft, selbst wenn er im Moment nichts zu nützen scheint. Doch ein Akt führt zum nächsten, bis letztenendes der Prozeß des Widerstands zum Sieg führt."

Orgiastische Stöhnmusik zum Schluß

Tanya Tagaq brachte Hardcore ins Geschehen: barfuß und rhythmisch orgiastisch unter den beschuhten Kronos-Mannen am Ende des Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope (Foto: © Richard Termine)

Kronos hüllte die politischen Parolen rhythmisch, orientalisch, leidenschaftlich, elektrisch, fröhlich, temperamentvoll, asiatisch, roma-lebendig in Musik aus Afghanistan, Argentinien, Kanada, China, Äthiopien, Deutschland, Island, Indien, Iran, Irak, Jugoslawien, Libanon, Mexiko, Nubia, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Türkei, USA und Usbekistan. Es toppte einen Höhepunkt durch den nächsten. Und ab der zweiten Hälfte, nachdem es Jim Hendrixs Amerikanische Nationalhymne, gefolgt von Harringtons leidenschaftlichem Violinen-Solo, und dem virtuosen Violoncello-Solo von Jeffrey Zeigler gespielt hatte, fühlte sich der Zuhörer trotz der fortgeschrittenen Mitternachtsstunde hellwach wie im musischen Paradies. Und dass es dort auch Sex geben muß, ist seit diesem Ereignis klar: Die Inuit-Künstlerin Tanya Tagaq (31) schmeißt sich barfuß vom einen Musiker zum anderen. Mit jedem steigert sie sich zwischen Echo und Loop, in sich überschlagenden Stimmlagen, vom langsamen zum schnelleren bis ganz schnellen Hecheln, Röcheln, Stöhnen, vom Inuit-Kehlgesang zur lieblich hohen Wonne. Ihre Stimme imitiert phasenweise einzelne Gesangsmotive der Streichinstrumente und umgekehrt, sie kämpfen im Wettstreit um die größere Lust, Tagaq greift Harrington auf seine Saiten. Wie ein Vieh stampft sie wild auf den Boden: das ist keine Musik mehr, sondern Hardcore. Nur gut, dass frau zu multiplen Orgasmen fähig ist: Und mit jedem der Spieler hat sie einen. Völlig fertig gibt sie schließlich als Letzte auf, sie siegt über die vier Männer. Sie, die Siegerin der Lust. a.c./e.o.

DAS URTEIL DASS DAS KRONOS QUARTET UNTER OPTIMALEN AKUSTISCHEN BEDINGUNGEN ATEMBERAUBEND SEIN KANN, HABEN WIR IN WIEN DES ÖFTEREN ERLEBT. DIE TANYA-TAGAQ-PERFORMANCE TRIEB UNS ABER NUN DIE SCHAMESRÖTE INS GESICHT ... EXTREM SPANNEND!

Wednesday, November 15, 2006

OPER/TANZ: PETER SELLARS INSZENIERT JOHN ADAMS´ "A FLOWERING TREE"

Photo (©George Tsypin): Auf diese wandelbare Bühneninstallation von einem blühenden Baum läßt Peter Sellars Tänzer, Sänger, Orchester und Chor los.


NEW CROWNED HOPE - PETER SELLARS OPERN-URAUFFÜHRUNG ZUR FESTIVAL- ERÖFFNUNG IM MUSEUMSQUARTIER IST EIN NAIVER ETHNISCHER ZAUBER À LA MICHAEL JACKSON

Am 14.11.2006 wurde mit der Uraufführung A Flowering Tree das Mozart-Festival New Crowned Hope eingeläutet. Mit Spannung erwartete man, wie sich das Festivalkonzept eines Miteinanders von alternativer Ethno-Bescheidenheit und feinster Musikklassik wohl auf das Genre Oper auswirken würde. In der Politik ist es ja bis jetzt nicht unbedingt so, dass die Grünen musisch mit höchster Klasse harmonieren würden. Was also im Alltag kaum zustande kommt, sollte in Peter Sellars Regie aufgehen.

Nun, das Endprodukt aus zeitgenössisch-kommerzieller Musik von Komponist und Dirigent John Adams, klassisch-höfischem Java-Tanz, amerikanischem Operngesang und folkloristischem Gospelchor (Schola Cantorum de Venezuela) ist auf jeden Fall interessant. Die ethnische Bescheidenheit zeigt sich im moralischen Kern der erzählten Geschichte und in den leuchtenden, asiatischen Kostümen (Jeans unter goldenen, pinken, türkisen China-Look- Kleidchen), sowie in der zurückhaltenden Regie. Irgendwie erinnert das Ganze atmosphärisch an Michael Jacksons Worldsong (We Are The World).

Zurückhaltender Regiestil

Die Zurückhaltung seitens Peter Sellars ist nicht unbedingt negativ gemeint. Denn ein Mehr an Inszenierung hätte wahrscheinlich die Poesie der Worte erschlagen, sowie auch die großteils freudige, lautmalerische Musik von John Adams überfrachtet. Die Musik ist überhaupt das Hightlight des Abends, wobei das bunt gekleidete Orchester - die mit westlichen und asiatischen Flöten- bzw. Zupfinstrumenten spielende Joven Camerata de Venezuela - durchgehend neben den Darstellern auf der Bühne zu sehen ist. Dass Sellars die zwei Komponenten - Musik und Wort - am wichtigsten waren, liegt wohl daran, dass er als Regisseur und Komponist Adams gemeinsam das Libretto verfaßt haben. Darin wird ein armes Mädchen, zunächst um seiner Mutter zu helfen, zum lukrativen "Baum", gewinnt darüber aber das Herz eines Prinzen. Das Schöne an diesem Bild vom "Baum" ist seine Doppelbedeutung zwischen zwei konträren Polen: positiv steht er für Fruchtbarkeit, Verführung, Entdeckung erster Lust; negativ für Eitelkeit, das Hervorrufen von Neid und Gier - all das, was auch eine Liebe zerstört. Das - und dabei echte und wertvolle Gefühle - über bittere Selbsterniedrigung in einem selbst zu erkennen, darum geht es in dieser Geschichte, die wie ein Märchen über Erzählungen von Sänger Eric Owens transportiert wird.

Sänger und Tänzer als Prinz und Mädchen

Der Prinz und das Mädchen sind doppelt besetzt, durch einen schwarzen US-Tenor (expressiv und stark (da dick): Russell Thomas) und den indonesischen Choreografie-Star (Eko Supriyanto - tatsächlich ein unglaublicher Tänzer von großer Körperbeherrschung und männlicher Ausdruckskraft), sowie durch eine hell singende, weiße US-Sopranistin (Jessica Rivera) und die indonesische Tanzstudentin Astri Kusuma Wardani. Die Mutter und Schwester tanzt die 57-jährige indonesische Tänzerin Rusini Sidi. - Schöne visuelle Bildmomente ergeben sich, wenn der Schizophrenie-Zustand von Gut und Schlecht, Blühen und Verkümmerung (mit Baummaske) über deren Körperverdoppelungen gezeigt werden.
Und ein Kunstwerk ist die Bühne von George Tsypin: eine Rieseninstallation von einem wandelbaren, blühenden Baum, über dessen Äste die Darsteller wandern. (e.o.)

DAS URTEIL EIN FRÖHLICH-TRAURIGES SPEKTAKEL, WO MAN IMMER WIEDER ETWAS UNBEKANNTES FINDET UND STAUNT. DER ZWEITE TEIL ZIEHT SICH ALLERDINGS HIN, TROTZ DER DURCHGEHEND ELOQUENTEN MUSIK VON JOHN ADAMS.

OPER/TANZ A Flowering Tree (UA) * Musik, Dirigat, Co-Libretto: John Adams * Regie + Co-Libretto: Peter Sellars * Mit: Russell Thomas, Eko Supriyanto * Orchester: Joven Camerata de Venezuela * Chor: Schola Cantorum de Venezuela * Ort: Halle E, Museumsquartier Wien * Zeit: 16., 18., 19.11., 20h