Showing posts with label Barock. Show all posts
Showing posts with label Barock. Show all posts

Friday, April 11, 2008

OPER: PHILIPP HARNONCOURT MIT BOROCKER "ALCIONE" IM ODEON

Alcione (Svetlana Smolentseva) und Ceix (Johannes Weiß) befinden sich am festen Meeressteg noch auf sicherem Terrain ihrer Liebe ...

... wenn nur nicht der attraktive und eifersüchtige Pelée (Steffen Rössler), angetrieben durch den bösen Phorbas = Gott Pan (Yasushi Hirano), Alcione für sich haben wollte ...

... sodass der manipuliert aufgehetzte Ceix auf stürmische Irrfahrt gehen muss, wo ihn alle möglichen Unterwelt-Gestalten begleiten ... Fotos © Odeon/Stefan SMIDT


ODEON WIEN PHILIPP HARNONCOURT ERWEITERT DAS PROGRAMM DES RENOMMIERTEN BUTOH-HAUSES UM BAROCKE TÖNE: MIT DER ALLEGORISCHEN ALCIONE VON MARIN MARAIS LÄSST SICH DIE LINIE SINNVOLL AUSBAUEN

Regisseur Philipp Harnoncourt schöpft genetisch und biografisch aus zwei Urtrieben: als Sohn des genialen Dirigenten und Barockorchester-Leiters Nikolaus Harnoncourt hat er genau dasselbe Gespür für Cembalo, Laute, Tamburin, etc. wie der Vater; darüber hinaus baut er bei seiner Inszenierung von Marin Marais´ Alcione wie jener auf dasselbe Prinzip: auf durch und durch hervorragende Spitzensänger bis in die kleinste Rolle, die jeden Ton mitdenken und aus ihrem Innersten heraus erleben. Und als ursprünglicher Wiener ImPulsTanz-Mitverantwortlicher hegt Philipp Harnoncourt eine tiefgreifende Affinität für zeitgenössischen Tanz und Raumgestaltung. - Diese zwei Parameter lassen sich im Odeon bestens vereinen, in jenem schönsten, die humane Ewigkeit vermittelnden Theaterraum Wiens, der zuletzt viel im Gerede war, wegen der Subventionsverzögerungen für das dort residierende Serapions-Tanzensemble von Erwin Piplitz und Ulrike Kaufmann, das zwar hervorragend, über die Jahrzehnte aber für manchen zu eindimensional und damit zu wenig ausgelastet war.

Wenn sich zwei Götter streiten, leidet der Mensch

Nun ist die achtmal gespielte Barockoper aus dem Jahr 1706 wohl die Antwort darauf. Diese Antwort hat sowohl Niveau, sie macht aber auch abwechslungsreichen Sinn. Kaufmann und Piplitz steuern ihre Butoh-Tänzer bei und verantworten die Ausstattung - klar erkennbar am lagenlookigen Kleiderstil in A-Form aus feinsten Materialien, die "diese Götter" als erlesene Clochards ihren Gefühlen zwischen Liebe und Eifersucht, Gefühlserwiderung und Neid, Eroberung und Verzicht ausliefern. Jener Zerrissenheit zwischen Gut und Böse, Glück und Unglück, Erfolg und Untergang, die der Menschheit seit ihrer Existenz zu schaffen macht und die für ihr Leid in Reinkultur steht. Denn wenn sich zwei entgegengesetzte Götter streiten, leidet der Mensch. So haben es sich zumindest die Griechen erdacht. - Konkret geht es um den neidischen, zum Kampf provozierenden Pan, den der friedvolle Apollon besiegt und mit einer lehrreichen Parabel besänftigt: darin will der verschmähte Pélée, angetrieben durch den bösen Phorbas und die Zauberin Ismène, die Liebe zwischen König Ceix und Alcione zerstören. Ceix denkt, jene nur mit dunklen Kräften der Unterwelt besiegen zu können und erleidet eine qualvolle Meeresreise des Irrsinns, um letztendlich harmonischen Frieden des weisen Orakels (die Weissagung tugendhaften Tuns) zu erfahren. Auf die ihn zurückhaltenden Worte Alciones will Ceix nicht hören, die dann wiederum - allein zurückbleibend - mit sorgenvollen Träumen um ihn und Abwehrkämpfen gegenüber der Versuchung nach Pélée mit sich selbst zu ringen hat. In einer Art Romeo und Julia treffen sich die Liebenden dann im Tod in der Weisheit letzter Schluß: sich treu zu sein, gleich zweier Eisvögel, in die sie der, die Meeresbewohner beschützende, Meeresgott Neptun verwandelt hat. - Dieses Symbol als menschlich zu erstrebenswertes Ziel braucht es offensichtlich, da Gefühle wie kleinste Teilchen im Wasser rasend schnell in Unordnung geraten können. Und der Untertitel zum Stück, "Von der Unmöglichkeit, die große Liebe zu überleben", sagt auch, in welche Richtung sich der Regisseur diese Moral zu interpretieren gedacht hat: dass nur die Mäßigung der Gefühle lebensfähig ist.

Von der schwierigen Mäßigung der Gefühle

Wie groß die Verführung, sich den absoluten Gefühlstrieben hin zu geben, aber ist, unterstreicht Harnoncourt durch die widersprüchlich positive Besetzung des zurückgewiesenen Pélée durch den ausgesprochen anziehenden und mit seinem Bariton wohlklingenden Steffen Rössler. Er wirkt als Mann um vieles anziehender als der Tenor und positive Held "Ceix", auch wenn Johannes Weiß wahrscheinlich zu Barockzeiten den größeren Anziehungsfaktor bedeutet hätte, da die hohen Männerstimmen zu jener Zeit gleich Göttern verehrt wurden. Johannes Weiß singt dementsprechend - auch heute noch - ungewöhnlich schön. In Sachen Sexappeal wirkt Rössler aber stärker. Das macht das Ganze spannend. Denn es geht ja (auch) um die Abwehr der Verführung zugunsten des Erhalts des Treuegefühls von Alcione, der Russin Svetlana Smolentseva mit heller und junger Stimme, der unglaublich filigran und zartfühlend singendsten Sopranistin dieser Inszenierung. Heißt es, "die Liebe wird beleidigt, wenn man ihrem Leid folgt", hinterfragt von "ob die Ehe die Liebe vernichtet", beantwortet im durch schwankend kämpfende Gestalten dargestellten, gestörten Meer, "die Liebe glättet alle Wellen", wonach Ceix aber doch "flieht, vor ihren Tränen", wird das für den Zuschauer umso bewegender. Und wenn Pélée auch noch Gewissensqualen durchsteht und sich für einen Verräter hält, erst recht, weil es den Kampf mit der eigenen Schwäche in jedem Menschen ausdrückt. Stimmig ist dabei das Ineinandergreifen von Tänzern und Sängern, indem die Sänger, wie Bass Yasushi Hirano als Pan und Phorbas, manchmal auch tanzen, die Tänzer auch singen (da können die Iribar-Tänzerinnen durchaus ein bißchen peinlich klingen, insgesamt kommt es sympathisch). Bewegt wie das "gefühlvolle" Meer ist das (sehr interessant) originalinstrumentierte Orchester unter Dirigent Lorenz Duftschmid, das letztlich für den schwankenden Gefühlsverlauf des Stücks steht. Denn es spielt einmal von links, dann von rechts, dann wieder in reduzierter Besetzung und am Schluß, von jedem bösen Fluch (= innerem Schweinehund) befreit offen aufgereiht am Bühnenhintergrund.

Wo bleibt der Wahnsinn?

Neben den Sängern - mit Glanznummer eines siebenköpfigen Frauenchors unter Weihrauch mit Übergang in Flötentöne - am ergreifendsten sind die inszenierten Metaphern, die Zerrissenheitsgefühlsbilder wie ein Besteck-Tanz an der versuchten Hochzeits-Festtafel, ein wankender, verführerisch und todesbedrohlich eingarnender Schnurtanz, "manipuliert-vereinnahmte" Marionetten-Tänzer, ein irischer Volkstanz als stürmische See, und das Segelschiff mit Riesenbett als mehrdeutiges Symbol von potentiellem Liebesrausch, gefährlicher Erkenntnisreise bis sorgenvollem Alptraum. Das alles ist bei insgesamt edel-purem Anblick perfekt-gesittet arrangiert und ineinander verschlungen ausgedacht. Nur eines fehlt diesem Kunstakt aber doch: der Wahnsinn, der Ausbruch aus der sofort eintretenden Erwartungshaltung - da könnte sich Philipp Harnoncourt noch ein Beispiel an seinem Vater nehmen, so unangenehm derartige Vergleiche auch sein mögen und so angebracht das inhaltlich motivierte Ziel der Mäßigung hier auch formal erscheinen mag ... e.o./r.r.


DAS URTEIL EINE FEINE, SCHÖNE, PERFEKTE KOMBINATION, FÜR MANCHEN VIELLEICHT ZU PERFEKT ...

OPER Alcione * Von: Marin Marais * Regie: Philipp Harnoncourt * Musikalische Leitung: Lorenz Duftschmid, Armonico Tributo Austria * Ausstattung: Ulrike Kaufmann, Erwin Piplits * Mit: Svetlana Smolentseva, Johannes Weiß, Steffen Rössler, Yasushi Hirano, Martina Prins, Andreas Jankowitsch, Bernd Lambauer; Johanna von der Deken, Agnes Scheibelreiter * Mit: J.J.Fux-Madrigalisten: Agnes Scheibelreiter, Elisabeth Breuer, Nozomi Yoshizawa, Victoria Rona, Rudolf Brunnhuber, Kurt Kempf, Guy Putz, Jörg Espenkott, Dominik Rieger, Jens Waldig * Mit: Serapions Ensemble: Carlos Delgado Betancourt, Marcelo Cardoso Gama, Sandra Rato da Trindade, Kyung In Choi, José Antonio Rey Garcia, Mercedes Vargas Iribar, Miriam Vargas Iribar

Nächste Oper im Odeon
OPER Kaspar Hauser oder Unter Menschen * Ein chorisches Musiktheater von Friedrich Karl Waechter * Regie: Christian Schidlowski * Musikalische Leitung & Musik: Martin Zels * Bühnenbild: Andreas Wagner * Mit: Jürgen Decke, Petra Javorsky, Martin Zels, Ein Chor, Menschen: „Auftakt“ * Mit: Kammerensemble: Hela Risto, Birgit Trost, Jacub Horacek, Daniela Grams, Daniel Sauermann * Ort: Odeon Wien * Zeit: 12.4.2008: 20h

Monday, December 10, 2007

MUSIK: ERNST KOVAVIC ALS PIAZZOLLA-GENIE IN "DIE ACHT JAHRESZEITEN"

Das hätte Astor Piazzolla sicher gefreut, wie treffend radikal und aggressiv-freudig ihn Violonist Ernst Kovacic zu spielen weiß (Foto © Manfred Klimek)


THEATER AN DER WIEN AUS VIVALDIS UND PIAZZOLLAS VIER JAHRESZEITEN WURDEN DIE ACHT JAHRESZEITEN

Nach dem Piazzolla-Schwerpunkt kürzlich im Wiener Musikverein mit dem Tonkünstler Orchester Niederösterreich unter dem Dirigat von Rossen Gergov, kommt man beim leider nur einmal gespielten Vivaldi-Piazzolla-Konzert im Theater an der Wien zu einer interessanten Vergleichsmöglichkeit. Mit der Gewißheit: Was wir in unserer Kritik über Gergov sagten, können wir noch einmal unterstreichen. - Piazzolla ist und bleibt gespielt von einem Kammerensemble einfach das Originalbeste! Besonders wenn es von einem temperamentvollen Geiger wie Ernst Kovacic angetrieben wird. Genau genommen, ist er es allein, von dem wir sagen müssen: als Piazzolla-Interpret macht er seine Sache noch besser als Gidon Kremer, da er unglaublich roh, radikal und hart an sie heran geht. Sodass man gar nicht bewußt merkt, dass zu dieser Unmittelbarkeit auch die begleitenden Barockinstrumente samt Cembalo beitragen, die eigentlich die adäquaten Instrumente zu Vivaldis barocken Vier Jahreszeiten aus dem Jahr 1725 sind. Zu diesen hat Piazzolla als Antwort seine Vier von 1964-70 hinzu komponiert, lauter Stücke, die - mit Bandoneon oder Klavier gespielt - an sich bekannt sind, selbst wenn man vorher nicht wußte, dass sie eigentlich als Las Cuatro Estaciones Porteñas zusammen gehören.

Eine Eins fürs Temperament

Obwohl die Akustik im Musikverein für ein kleines Orchester bestimmt besser ist, und die Schauspielerin Petra Morzé einen biederen Mantel durch ihre nach jedem Stück zu früh eingesetzten, unpassend maniriert gelesenen Gedankenzitate Piazzollas und Vivaldis (auf Italienisch mit unerträglichem, französischem R!) um die aggressiv-tollen Klänge legte, war das doch ein gigantisch schönes Erlebnis. Und zwar wirklich wegen den Piazzolla-Teilen: mit kratzigem Jazz, wildem Bass, den gezogenen Tönen, den geklopften Saiten, mit der verspielten Freude der Musiker, all die Widersprüche tatsächlich von ihrer Substanz her spüren zu wollen.

Vivaldi dagegen nahm mit dem Frühling einen etwas zu zaghaften Anfang und einen ebensolchen Mittelweg des Herbsts, selbst wenn Frühling und Herbst an sich die ruhigeren Kompositionen in Vivaldis Jahreszeiten-Empfinden sind, wo der Komponist Vögelrufe in Violinen-Gezwitscher verwandelt und das Schlafen der Bauern nach der Ernte neben dem Streit der Nachbarn illustriert. Energischer und wieder unglaublich rasant von Kovacic erlebt, erklangen dafür Sommer und Winter, genauso freudig und lebensbejahend, wie sie gehören, selbst wenn die Violoncelli manchmal ein wenig zu spät einsetzten, das Cembalo ein-, zweimal kleinlaut tschepperte, und insgesamt vielleicht ein wenig Klangfülle in den Beschleunigungspartien fehlte. Das Temperament aber stimmte, und dafür bekommt das Ensemble von uns eine unterstrichene Eins, schon weil man live erst merkt, wie schwer diese allseits bekannte Genialklassik eigentlich zu spielen ist! e.o./r.r.


DAS URTEIL GENAU SO GEHÖRT PIAZZOLLA GESPIELT - WIE VON ERNST KOVACIC!

Unsere nächsten Konzerttipps
Bach-Suiten * Musikalische Leitung: Ton Koopman * Mit: Amsterdam Baroque Orchestra * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 12.1.2008: 19h30
Orfeo di Bregovic * Mit: Goran Bregovic & Wedding And Funeral Band * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 25.1.2008: 19h30

Wednesday, November 28, 2007

OPER: UMWERFENDER "ORLANDO PALADINO" VON KEITH WARNER & HARNONCOURT

Der karikierte Antiheld Orlando (Kurt Streit) ist von der Liebe und damit vom geisterhaften Wahnsinn der bösen Unterwelt (die Tänzer) besessen ...

... obwohl das Objekt seiner Begierde Angelica (Eva Mei) in den zart beseiteten Medoro (Bernard Richter) verschossen ist, allerdings nicht so, dass ihre Liebe von vornherein glatt liefe (wie die Tür zwischen ihnen oder die Leiter zeigen)

Der egozentrisch-irrwitzige Pasquale (Markus Schäfer) ist als Mischung zwischen Leporello, Joker und Orlandos doppelagentischem Diener zwar noch weiter von der Liebe entfernt, doch durch einen Zaubertrick findet selbst er noch seinen Deckel. (Fotos: © Armin Bardel)


THEATER AN DER WIEN DIE BAROCKOPER VON JOSEPH HAYDN, ORLANDO PALADINO, WIRD DANK DER TAUSEND SCHICHTEN UND DETAILS VON KEITH WARNER UND NIKOLAUS HARNONCOURT ZUM ERLEBNISKICK

Wenn Hysterie ein Gesicht hat, dann sieht es so aus wie die Inszenierung Orlando Paladino des britischen Starregisseurs Keith Warner im Theater an der Wien. Seit intimacy: art das Geschehen an diesem Haus begleitet, ist diese im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnige Oper" neben Michael Sturmingers Uraufführung I hate Mozart die bisher einschlagend gelungenste Neuproduktion: Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in den theatralen und bühnenoptischen Überraschungen ohne Ende während des gesamten Verlaufs, in den mehrschichtigen Bedeutungsebenen durch die Umsetzung, in der unglaublich guten Besetzung durch die schauspielerisch, charismatisch und sängerisch besten und attraktivsten Darsteller, die es überhaupt zu geben scheint, und natürlich liegt der Erfolg auch im sehr, sehr, sehr feinklanglichen und beschwingten Concentus Musicus Wien mit seinen originalen Barockinstrumenten des sehr, sehr, sehr genial-"hysterischen" Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.

Von der Wortwitzverdoppelung ...

Die Synopsis, in der ein liebendes Paar durch einen eifersüchtigen, kampfesheroischen Querbrater gestört wird, sodass eine Zauberin bis zum Gang in die von Charon (Markus Butter) bewachte Unterwelt für Ordnung der Gefühle sorgen muss, klingt eigentlich ziemlich naiv und bis auf die Zauberin auch nach "tausend mal gehört". Was dieses fantastische Team durch verdoppelnde Deutungen aber daraus macht, endet nach mehreren Schichtungen aus Satire, Humor, Brachialwitz im Untergrund in einer grossen Weisheit, und - eben nicht nur konkret am Ende des Stücks - sondern sie schwebt als Big Brother des watchenden Regisseurs Keith Warner über jeder Handlungssekunde. Indem dieser geistreiche Interpret des bereits geistreichen Librettisten Nunziato Porta nach Carlo Francesco Badini und des noch geistreicheren musikalischen Umsetzers Joseph Haydn (1782) (getoppt durch den sicher geistreichsten Harnoncourt) einerseits winzige Details bemerkt und sie heutig ironisch an- und "um"merkt: Sagt zum Beispiel Ritter Orlando, er wolle sich an dieser Quelle erfrischen, so tut er das an einer Schnapsflasche.

... zur Typenumdeutung

Andererseits verfremdet Warner sämtliche klar von einander getrennten "Typen" noch einmal umso klarer: Lobt sich der Kriegsheld Rodomonte (toller Bass Jonathan Lemalu) mit seinen Worten selbst, so zeichnet ihn seine gekonnt witzig-übertriebene Agitation gezielt ins Antiheldentum. Die alles dirigierende Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) ist Visitenkarten-verteilend in ihrem nüchtern-intellektuellen Kostüm ein unterschwelliges Symbol für die, selbst Gefühle-steuernde Wirtschaftswelt von heute. Der Diener des eifersüchtigen Orlando, Pasquale vermischt sich - der Figur des "Leporello" entnommen - in einem "doppelagentischen" Jokerclown mit weißer Halbmaske. Als solcher hat Markus Schäfer als italienischste und hysterischste Figur (die ganze Oper wird italienisch gesungen) zwei Glanzszenen: Bei Hungergefühlen zeigt er in leicht grindig-sexueller Anspielung seiner späteren Angebeteten beim ersten Kennenlernen die Wurst, bevor er in maßloser Selbstverehrung von seinen Heldentaten prahlt und als Clou unter der Essensglocke einen Heroenhelm findet. Und will er sich bei seiner Geliebten (Juliane Banse) später beweisen, macht er das mittels Dialog mit dem Orchester, indem er sagt, "kein Kastrat singt so schön wie ich", während er sich mit einzelnen Instrumenten matcht, die ihm daraufhin aus dem Orchester - wie etwa die schwarz sonnenbebrillten Bassisten - "antworten".

Und alles umgibt die unheimliche Liebespsyche

Dieser horrende Spaß aus immer wieder neu entwickelter Permanentkarikatur, der vor allem im ersten Teil wirklich durchgehende Spannung hält, wird nun umhüllt von der unheimlichen, übernatürlichen Ebene, die am meisten von Karl Alfred Schreiners subtil und "straight" choreografierten Diener-Tänzern in schwarzen Skeletttricots hervor gerufen wird. Sie steht letztendlich auch für die "Liebe". Denn glatt läuft in diesen Lieben nichts. Nicht einmal die beiden offiziellen Turteltauben, Angelica und Medoro, erleben ihre rosa Wolke. Obwohl Medoro ein - wenn auch sehr hübsches - emotionales "Weichei" (der sehr leidenschaftlich und schön singende Bernard Richter) ist, balanciert ihre jeweils innere Gefühlsharmonie zuerst noch auf Leuchtturm-mit-Leiter-entfernter Probe, sodass sie sich Liebesbriefe per Flugzettel zuschießen müssen.

Wiederkehrende Karrussel- und Hochschaubahn-Verfremdungen im durchgehend originellen, neuartigen - wie die Regie mit viel Britenwitz versehenen - lichtakzentuierten Bühnenbild von Ashley Martin-Davis vermitteln diese Unsicherheit innerhalb der Sehnsucht nach Glanz zusätzlich noch. Und dass Orlando (ebenfalls ein Alpha-Sänger: Kurt Streit) als liebesbesessener Negativtyp irritiert, der eigentlich als absolut männlicher Feschak das typische Objekt der Begierde wäre, liegt auf der Hand. Sämtliche Liebeskandidaten müssen sich ihre Liebe durch mentale Qualen also erst verdienen: durch zweiseitige Türen, in denen sie sich wie im Spiegelkabinett mit sich selbst konfrontieren oder sie sich durch un/passende Türen zwängen.
Das Einzige, was tatsächlich für die pure, erstrebenswerte Liebe steht, steckt durchgehend im Gesang von Angelica, der sicher wundervollsten Sängerin des Abends, mit lyrisch-klarer Stimme: Eva Mei - sie rührt mehrmals bis ins nüchternste Herz. Und ihr Gesang steht am Ende auch für die Weisheit: Treue und Glück bekommen nur die, die wieder lieben, wer sie liebt. e.o.


DAS URTEIL FÜR SOLCHE GLANZMOMENTE LEBT EIN KRITIKER: ETWAS GEISTREICHERES UND KÜNSTERLISCHERES GIBT ES NICHT, ALS DIESE HYSTERISCH-GENIALE, HEUTIGE BAROCK-INTERPRETATION IN HÖCHSTER GESANGS- UND MUSIKQUALITÄT MIT NIE ENDENDEN ÜBERRASCHUNGSDETAILS. EIN ECHTES GESAMTKUNSTWERK!

OPER Orlando Paladino * Von: Joseph Haydn * Regie: Keith Warner * Dirigat: Nikolaus Harnoncourt * Mit: Concentus Musicus * Bühne: Ashley Martin-Davis * Choreografie: Karl Alfred Schreiner * Mit: Kurt Streit, Eva Mei, Bernard Richter, Jonathan Lemalu, Juliane Banse, Markus Schäfer, Elisabeth von Magnus, Bernhard Berchtold, Markus Butter + Tanzensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 29.11.2007: 19h

Monday, February 05, 2007

OPER: PETER PAWLIKS "AGRIPPINA" ALS BAROCKE DALLAS-SITCOM

Gelungene Katharsis-Szene mit weißen Bademänteln und ironischem Touch: Claudius (mit der schönsten Stimme des Abends: Bariton Philip Zawisza in der Mitte) verzichtet auf seinen Thron, ganz nach Wunsch seiner intriganten Gattin Agrippina, die ihren Sohn Nero als neuen Kaiser sehen wollte, Foto: © Christian Husar

"Nero(ne)" als Punker: die Sopranistin Marelize Gerber, die zu großen Charakterrollen fähig wäre. Dahinter: die ehrgeizig-intrigante Mutter Agrippina (deutsch-frauig-überzeichnet: Wiebke Huhs), © Christian Husar

Links: Ein Regie-Holperer: Der eitle Ottone wirkt zwar schwul (Armin Gramer), liebt aber Poppea. © Christian Husar
Rechts: Auch Claudio steht eigentlich auf Poppea: Romana Beutel (sexy-elegant und mädchenhaft - zweiteres ist sie auch stimmlich: Romana Beutel), © Christian Husar


KAMMEROPER WIEN WENN LAUTER SCHWUL WIRKENDE MÄNNER MIT EUNUCHEN-STIMMEN FRAUEN LIEBEN, VON DENEN SIE MANIPULIERT WERDEN, IST DAS ENTWEDER UNGLAUBWÜRDIG ODER EINE SITCOM-GROTESKE. ZWEITERES HAT SICH PETER PAWLIK IN SEINER AGRIPPINA-INTERPRETATION ERHOFFT ...

Peter Pawlik ist einer der wenigen Regisseure, der an der Wiener Kammeroper öfter als ein-zweimal inszenieren darf. Anderen sichtlich erfolgreichen Begabungen wäre das ebenfalls zu wünschen... Dass Pawlik jemand ist, an dem man "dran bleiben" soll, war nach seiner Version von John Gays Barockoper Beggar´s Opera klar. Pawlik denkt sehr stark in Details, das macht seine Arbeit interessant. Und seine ständige Bühnenbildnerin Cordelia Matthes steht ihm dabei in Nichts nach: Man staunt und ist berührt, was für einen Aufwand sie für manche Minimalszene leistet, indem sie etwa einen Riesen-Einbaukasten für ein paar Minuten Spielzeit designt, worin sich der geliebte Held kurz versteckt. - Konkret handelt es sich hierbei um Ottones Szene in Agrippina, die neue Barockoper der Kammeroper. - Das Duo Pawlik/Matthes hat sich also wieder bewährt, auch wenn´s diesmal insgesamt nicht so eingeschlagen hat. - Schon da die Regielinie ab der Mitte bricht.

Parodie - gut gemeint, aber...

Dass Pawlik das Ganze parodistisch angeht, ist zunächst stimmig und paßt zu Komponist Georg Friedrich Händel: Die Charaktere der antiken Geschichte strotzen vor satirischen und grotesken Überzeichnungen, was in der Barockzeit, als die Komposition geschrieben wurde, zwar wegen der manieristischen Tradition noch nicht so spöttisch wahrgenommen wurde, heute aber umso dominanter sein mag. In einem Umfeld von lauter Eunuchen (Countertenor)-, Tenor- und Sopranstimmen, wohinter sich große Herrscher und Helden verbergen, besticht aus heutiger Sicht nun mal die Atmosphäre der "Tuntigkeit".

Glaubwürdig realistisch erscheinen nur die Frauencharaktere, die im Mittelalter eher grotesk gewirkt haben mögen. Wenn Agrippina aus Köln - was einst zum römischen Reich gehörte - als Urenkelin des ersten römischen Alleinherrschers Augustus und eigentliche Thronfolgerin, Macht ausüben will und es nur nicht darf, weil sie eine Frau ist, muß sie halt dreimal heiraten, darunter auch ihren Onkel Kaiser Claudius, damit wenigstens ihr Sohn Nero aus erster Ehe den Thron besteigen kann. - Das versteht die Menschheit heute, allein aus Gründen des Mutterstolzes.

"Schwulige" Männer lieben Frauen mehr als Macht

Als es scheint, als wäre Claudio auf der Schiffsreise umgekommen, sieht Agrippina den Zeitpunkt gekommen, den als Punker in Sängerknabenanzug interpretierten Nerone (Sopranistin Marelize Gerber, die in der späteren Mutterloslösungsszene erahnen läßt, dass sie mit ihrem ergreifenden Gesangsausdruck für ganz große Charakterrollen geeignet wäre) als neuen Kaiser auszurufen. Dafür manipuliert Agrippina - der große Widerspruch - die beiden homosexuell wirkenden "Verehrer" Pallante und Narciso - wobei sie (die deutsche Sopranistin Wiebke Huhs) zu offensiv intrigant und unsympathisch spielt, sodass das erst recht eigenartig erscheint. Regisseur Pawlik kompensiert das, wie erwähnt, mit der Parodie, wobei der dann doch zurückkommende Claudio ein ziemlich doofer Jammerlappen ist (obwohl er, dargestellt von Philip Zawisza wieder eine sehr schöne, charakteristische Baritonstimme hat!).

Hinzu kommt, dass all diese (Un-)Männer auf die schöne Poppea stehen - auf Romana Beutel, ein angenehmer Anblick mit mädchen-typisch klarer Sopranstimme. Vor allem der extrem hoch singende, mit Gesichtsmasken hantierende, absolut schwulig-eitle Ottone (Armin Gramer) ist ihr erlegen, dessen Liebe Poppea erwidert (???). Die sich wiederholenden Text- und Musikzeilen der barocken da-capo-Arie nützt Pawlik für ironische Steigerungen, die Handlung läuft zuwider dem Gesangstext und interpretiert ihn spöttisch um. Das ist immer wieder lustig, wird manchmal aber kindisch. Was wohl auf Pawliks Subcharakterisierung bei der Rollengestaltung zurück zu führen ist: Agrippina soll "JR", Ottone "Bobby" und Claudio die "Miss Ellie" aus der amerikanischen 80-Serie Dallas entlehnt sein. - Aber vielleicht ist unsere Fernsehgeneration ja tatsächlich so beklagenswert geschmacklos und verblödelt, dass es schon wieder zynisch treffend ist.

Die ganze Geschichte zieht sich hin, so spaßig und unterhaltsam sie erzählt ist. Irgendwie spürt man, dass selbst Pawlik die Lust an diesem Zugang verliert, denn nach der Pause wirds ganz ernst. Das ist ein Stilbruch mit Langweil-Potential, sodass man sich freut, wenn - nach der typischen Katharsis-Endlosszene - das untypische Ende endlich offenbart ist: Nero bekommt den Thron, auf den Claudio verzichtet. Und Ottone, der ebenfalls auf den Thron spähte, entscheidet sich ausschließlich für die Liebe mit Poppea. Dr. Wild / e.o.


DAS URTEIL REGISSEUR PETER PAWLIK HAT ZUNÄCHST SPASS AN IRONIE, ZYNISMUS, GROTESKE UND DETAILS. LEIDER ZIEHT ER DAS NICHT DURCH. VIELLEICHT WÄRE EINE ERNSTHAFT BAROCK-STILISIERTE INTERPRETATION DOCH BESSER GEWESEN. SEHENSWERT IST DIESE AGRIPPINA ALS MUTIGER ANSATZ ABER SICHER.

Oper Agrippina * Von: Georg Friedrich Händel * Musikalische Leitung: Bernhard Klebel * Inszenierung: Peter Pawlik * Mit: Philip Zawisza, Wiebke Huhs, Marelize Gerber, Romana Beutel, Armin Gramer, Valmar Saar, Gerhard Hafner, Sebastian Huppmann * Mit: Barockorchester der Wiener Kammeroper auf historischen Instrumenten * Ort: Kammeroper Wien *Zeit: 06., 08., 10., 13., 15., 17., 20., 22., 24., 27.2.2007: 19h30