Friday, April 11, 2008

OPER: PHILIPP HARNONCOURT MIT BOROCKER "ALCIONE" IM ODEON

Alcione (Svetlana Smolentseva) und Ceix (Johannes Weiß) befinden sich am festen Meeressteg noch auf sicherem Terrain ihrer Liebe ...

... wenn nur nicht der attraktive und eifersüchtige Pelée (Steffen Rössler), angetrieben durch den bösen Phorbas = Gott Pan (Yasushi Hirano), Alcione für sich haben wollte ...

... sodass der manipuliert aufgehetzte Ceix auf stürmische Irrfahrt gehen muss, wo ihn alle möglichen Unterwelt-Gestalten begleiten ... Fotos © Odeon/Stefan SMIDT


ODEON WIEN PHILIPP HARNONCOURT ERWEITERT DAS PROGRAMM DES RENOMMIERTEN BUTOH-HAUSES UM BAROCKE TÖNE: MIT DER ALLEGORISCHEN ALCIONE VON MARIN MARAIS LÄSST SICH DIE LINIE SINNVOLL AUSBAUEN

Regisseur Philipp Harnoncourt schöpft genetisch und biografisch aus zwei Urtrieben: als Sohn des genialen Dirigenten und Barockorchester-Leiters Nikolaus Harnoncourt hat er genau dasselbe Gespür für Cembalo, Laute, Tamburin, etc. wie der Vater; darüber hinaus baut er bei seiner Inszenierung von Marin Marais´ Alcione wie jener auf dasselbe Prinzip: auf durch und durch hervorragende Spitzensänger bis in die kleinste Rolle, die jeden Ton mitdenken und aus ihrem Innersten heraus erleben. Und als ursprünglicher Wiener ImPulsTanz-Mitverantwortlicher hegt Philipp Harnoncourt eine tiefgreifende Affinität für zeitgenössischen Tanz und Raumgestaltung. - Diese zwei Parameter lassen sich im Odeon bestens vereinen, in jenem schönsten, die humane Ewigkeit vermittelnden Theaterraum Wiens, der zuletzt viel im Gerede war, wegen der Subventionsverzögerungen für das dort residierende Serapions-Tanzensemble von Erwin Piplitz und Ulrike Kaufmann, das zwar hervorragend, über die Jahrzehnte aber für manchen zu eindimensional und damit zu wenig ausgelastet war.

Wenn sich zwei Götter streiten, leidet der Mensch

Nun ist die achtmal gespielte Barockoper aus dem Jahr 1706 wohl die Antwort darauf. Diese Antwort hat sowohl Niveau, sie macht aber auch abwechslungsreichen Sinn. Kaufmann und Piplitz steuern ihre Butoh-Tänzer bei und verantworten die Ausstattung - klar erkennbar am lagenlookigen Kleiderstil in A-Form aus feinsten Materialien, die "diese Götter" als erlesene Clochards ihren Gefühlen zwischen Liebe und Eifersucht, Gefühlserwiderung und Neid, Eroberung und Verzicht ausliefern. Jener Zerrissenheit zwischen Gut und Böse, Glück und Unglück, Erfolg und Untergang, die der Menschheit seit ihrer Existenz zu schaffen macht und die für ihr Leid in Reinkultur steht. Denn wenn sich zwei entgegengesetzte Götter streiten, leidet der Mensch. So haben es sich zumindest die Griechen erdacht. - Konkret geht es um den neidischen, zum Kampf provozierenden Pan, den der friedvolle Apollon besiegt und mit einer lehrreichen Parabel besänftigt: darin will der verschmähte Pélée, angetrieben durch den bösen Phorbas und die Zauberin Ismène, die Liebe zwischen König Ceix und Alcione zerstören. Ceix denkt, jene nur mit dunklen Kräften der Unterwelt besiegen zu können und erleidet eine qualvolle Meeresreise des Irrsinns, um letztendlich harmonischen Frieden des weisen Orakels (die Weissagung tugendhaften Tuns) zu erfahren. Auf die ihn zurückhaltenden Worte Alciones will Ceix nicht hören, die dann wiederum - allein zurückbleibend - mit sorgenvollen Träumen um ihn und Abwehrkämpfen gegenüber der Versuchung nach Pélée mit sich selbst zu ringen hat. In einer Art Romeo und Julia treffen sich die Liebenden dann im Tod in der Weisheit letzter Schluß: sich treu zu sein, gleich zweier Eisvögel, in die sie der, die Meeresbewohner beschützende, Meeresgott Neptun verwandelt hat. - Dieses Symbol als menschlich zu erstrebenswertes Ziel braucht es offensichtlich, da Gefühle wie kleinste Teilchen im Wasser rasend schnell in Unordnung geraten können. Und der Untertitel zum Stück, "Von der Unmöglichkeit, die große Liebe zu überleben", sagt auch, in welche Richtung sich der Regisseur diese Moral zu interpretieren gedacht hat: dass nur die Mäßigung der Gefühle lebensfähig ist.

Von der schwierigen Mäßigung der Gefühle

Wie groß die Verführung, sich den absoluten Gefühlstrieben hin zu geben, aber ist, unterstreicht Harnoncourt durch die widersprüchlich positive Besetzung des zurückgewiesenen Pélée durch den ausgesprochen anziehenden und mit seinem Bariton wohlklingenden Steffen Rössler. Er wirkt als Mann um vieles anziehender als der Tenor und positive Held "Ceix", auch wenn Johannes Weiß wahrscheinlich zu Barockzeiten den größeren Anziehungsfaktor bedeutet hätte, da die hohen Männerstimmen zu jener Zeit gleich Göttern verehrt wurden. Johannes Weiß singt dementsprechend - auch heute noch - ungewöhnlich schön. In Sachen Sexappeal wirkt Rössler aber stärker. Das macht das Ganze spannend. Denn es geht ja (auch) um die Abwehr der Verführung zugunsten des Erhalts des Treuegefühls von Alcione, der Russin Svetlana Smolentseva mit heller und junger Stimme, der unglaublich filigran und zartfühlend singendsten Sopranistin dieser Inszenierung. Heißt es, "die Liebe wird beleidigt, wenn man ihrem Leid folgt", hinterfragt von "ob die Ehe die Liebe vernichtet", beantwortet im durch schwankend kämpfende Gestalten dargestellten, gestörten Meer, "die Liebe glättet alle Wellen", wonach Ceix aber doch "flieht, vor ihren Tränen", wird das für den Zuschauer umso bewegender. Und wenn Pélée auch noch Gewissensqualen durchsteht und sich für einen Verräter hält, erst recht, weil es den Kampf mit der eigenen Schwäche in jedem Menschen ausdrückt. Stimmig ist dabei das Ineinandergreifen von Tänzern und Sängern, indem die Sänger, wie Bass Yasushi Hirano als Pan und Phorbas, manchmal auch tanzen, die Tänzer auch singen (da können die Iribar-Tänzerinnen durchaus ein bißchen peinlich klingen, insgesamt kommt es sympathisch). Bewegt wie das "gefühlvolle" Meer ist das (sehr interessant) originalinstrumentierte Orchester unter Dirigent Lorenz Duftschmid, das letztlich für den schwankenden Gefühlsverlauf des Stücks steht. Denn es spielt einmal von links, dann von rechts, dann wieder in reduzierter Besetzung und am Schluß, von jedem bösen Fluch (= innerem Schweinehund) befreit offen aufgereiht am Bühnenhintergrund.

Wo bleibt der Wahnsinn?

Neben den Sängern - mit Glanznummer eines siebenköpfigen Frauenchors unter Weihrauch mit Übergang in Flötentöne - am ergreifendsten sind die inszenierten Metaphern, die Zerrissenheitsgefühlsbilder wie ein Besteck-Tanz an der versuchten Hochzeits-Festtafel, ein wankender, verführerisch und todesbedrohlich eingarnender Schnurtanz, "manipuliert-vereinnahmte" Marionetten-Tänzer, ein irischer Volkstanz als stürmische See, und das Segelschiff mit Riesenbett als mehrdeutiges Symbol von potentiellem Liebesrausch, gefährlicher Erkenntnisreise bis sorgenvollem Alptraum. Das alles ist bei insgesamt edel-purem Anblick perfekt-gesittet arrangiert und ineinander verschlungen ausgedacht. Nur eines fehlt diesem Kunstakt aber doch: der Wahnsinn, der Ausbruch aus der sofort eintretenden Erwartungshaltung - da könnte sich Philipp Harnoncourt noch ein Beispiel an seinem Vater nehmen, so unangenehm derartige Vergleiche auch sein mögen und so angebracht das inhaltlich motivierte Ziel der Mäßigung hier auch formal erscheinen mag ... e.o./r.r.


DAS URTEIL EINE FEINE, SCHÖNE, PERFEKTE KOMBINATION, FÜR MANCHEN VIELLEICHT ZU PERFEKT ...

OPER Alcione * Von: Marin Marais * Regie: Philipp Harnoncourt * Musikalische Leitung: Lorenz Duftschmid, Armonico Tributo Austria * Ausstattung: Ulrike Kaufmann, Erwin Piplits * Mit: Svetlana Smolentseva, Johannes Weiß, Steffen Rössler, Yasushi Hirano, Martina Prins, Andreas Jankowitsch, Bernd Lambauer; Johanna von der Deken, Agnes Scheibelreiter * Mit: J.J.Fux-Madrigalisten: Agnes Scheibelreiter, Elisabeth Breuer, Nozomi Yoshizawa, Victoria Rona, Rudolf Brunnhuber, Kurt Kempf, Guy Putz, Jörg Espenkott, Dominik Rieger, Jens Waldig * Mit: Serapions Ensemble: Carlos Delgado Betancourt, Marcelo Cardoso Gama, Sandra Rato da Trindade, Kyung In Choi, José Antonio Rey Garcia, Mercedes Vargas Iribar, Miriam Vargas Iribar

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