Sunday, July 15, 2007

OPER: JOHANNES ERATH FÜR EXZESSIVES WAHNSINNS-"TRIPTYCHON" SCHEDLS

Der Tod lauert im 1. Weltkrieg von außen auf dem Liebespaar Pierre (Alexander Kaimbacher) et Luce (Isabel Marxgut), die zur Schlachtbank kommen wie "Osterlämmer".

Der 2. Weltkrieg hat dem Kontrabass-isten (Gerhard Karzel) seine Frau genommen, sodass er wegen dieser "unheilbaren Wunde" wahnsinnig wird.

Aber auch ohne Kriege werden die Leute aus perverser Lust (an Hitler) wahnsinnig - wie in S.C.H.A.S.. Oder depressiv, wie Komponist Gerhard Schedl. (Fotos © Armin Bardel)


MUSEUMSQUARTIER - NEUE OPER WIEN HABEN DEPRESSION UND SINN FÜR WAHNSINN ETWAS MITEINANDER ZU TUN? - DAS LÄSST DIE BIOGRAFIE DES KOMPONISTEN GERHARD SCHEDL OFFEN, DESSEN TRIPTYCHON JOHANNES ERATH GROTESK INSZENIERT

Es ist interessant, dass Komponist Gerhard Schedl die hoffnungsvollste und dabei aber heimtückischste Oper seines Triptychons, Teil 1 Pierre et Luce, als letztes komponierte: nämlich 1990, während er Teil 3 S.C.H.A.S. 1989, und Teil 2 Kontrabaß schon 1982 geschaffen hat. Und das alles aber zehn Jahre, bevor er sich 2000 nach immer stärker werdender Depression das Leben nahm. Das zeigt doch, dass es in einem zur Melancholie geneigten Leben, immer wieder selbstmotivierte Hau-Rucks zum romantischen Lebenswillen gibt. Und das sollten sich ähnlich Veranlagte ganz groß vor Augen halten: nämlich dass es immer wieder aufwärts gehen kann.

Dass wir das überhaupt erwähnen, soll Künstlern, die sich im irrealen Zustand der Schaffensphase im Detail verlieren - und die damit auch den realistischen Halt, die Sicherheit verlieren -, das Gefühl geben, dass sie für ihren durchlaufenen Psycho-Trip geliebt werden; und was für sie noch viel wichtiger sein wird: dass sie darin auch verstanden werden. Nicht von allen Menschen - denn Leute, die "Ja" sagen, obwohl sie nichts verstehen oder empfinden, sind meist in der Überzahl. Diese Tatsache der realen Anerkennung als Wert, müßte dann auch der Anker sein, an dem sich der Künstler als sinnvolle Existenz innerhalb der Menschheit festmachen kann. Der Trip hat seinen Sinn, doch muß man daraus auch wieder erwachen können.

Kunst und Musik als Hoffnung und Kraftakt im Leben Gerhard Schedls

Die Schaffensreise und der hohe Anspruch an sich selbst sind bei einem Fantasie-Menschen wie Gerhard Schedl (geb: 05.08.1957 - Sternbild Löwe, gest. 30.11.2000) während der Komposition, nachvollziehbar komplex. Denn beides ist an seiner detailreichen, je nach Thema gezielt theatralen Musik zu hören. Wobei Schedl lange visionär zuversichtlich und bestimmt meint: "Dass das Experiment von Anfang an nicht meine Sache war, gebe ich zu, dass dagegen Kunst als utopisches Potential menschlicher Träume und Hoffnungen formuliert wird, dazu stehe ich." Die vorkommenden Gefühle in Triptychon, das als bitterböse Farce endet und als zartes Liebstraumspiel beginnt, erlebt Schedl in sich - wie gesagt - während des Komponierens umgekehrt.

Zugunsten des theatralen Themas pflegte Schedl musikalische Traditionen und brach sie wieder: mit "Lust am expressiven Klang, gesteigerter Dramatik, durchdachter Konstruktion, dem bewußten Experiment mit Zahlen, Intervallen, Symbolen, Techniken und dem plakativen Reiz emotionaler Darstellungsformen". Das zarte Lauschen in der Stille, das ungebändigte Aufschreien, der resignative Abgesang, die großen wilden pathetischen Gesten, die Schönheit des durchdachten Details . . . all das gibt es bei Schedl: "Es treibt mich an und zwingt mich, am weiten Material zeitgenössischer Ausdrucksmittel mich immer wieder neu zu versuchen", sagt er. - Musik, Kunst als Sucht und selbsthinterfragende Qual zugleich: um immer neue Geheimnisse darin zu entdecken, gibt sich dem der Künstler hin und wird sich dennoch immer nur auf eine Entscheidung beschränken können. Darauf, was er für sein aktuelles Werk verwenden kann. Mit der Entscheidung, fällt aber auch das Gefühl für das Große, die Energie auf einen Schlag in sich zusammen. Die Suche scheint viel wichtiger als das Ziel. - Diese Erkenntnis kann zu jener Depression führen, vor der sich alle Künstler fürchten.

Doch je intensiver der Betrachter und Hörer im Werk letztendlich noch die Energie des Antriebs ausmachen kann, desto größer ist wohl die Leistung des Künstlers, und war auch sein Kraftakt im Schaffungsprozeß, zu messen am persönlichen Einsatz, bei all den bewußt wahrgenommenen Möglichkeiten, "präzise" zu sein. - Diese Anstrengung, die bestimmt auch Gehirn und Seele des Menschen strapaziert, ist in Schedls Musik definitiv zu hören und zu spüren.

Triptychon - vom Romantikwillen zur Ohnmacht

Der erst 31-jährige deutsche Regisseur Johannes Erath hat die Trilogie für die Neue Oper Wien als Steigerung in die Ohnmacht angelegt, und das Publikum ist als passiv-sitzender Statist auf der Bühne live dabei. Es ist quasi Besucher eines Cafés an Tischen, wo es sogar Getränke serviert bekommt. Da, wo normalerweise im Museumsquartier, Halle G, die Zuschauerreihen sind, befindet sich die Zweitbühne, sodass der Zuschauer ab und zu auch wieder "Zuschauer" ist, wenn die Darsteller rüberwechseln. Zuerst, im romantischsten Stück Pierre et Luce: Die Osterlämmer, das in einer Art weißer Wolkenlandschaft spielt, mit weißen Kostümen und Tüchern, wo ein - mit verbundenen Augen - einander vertrauendes Liebespaar in Paris im ersten Weltkrieg zu Ostern in einer Kathedrale heiraten will. Nur dass der heranrückende Krieg seine Bombe platziert, womit das Glück von außen zerstört wird. Dementsprechend neigt die Musik zu romantisch-tonalem Klang intim-sphärischer Entrückung und wird darin ständig unterbrochen. So wie der Satz im Dialog des Paares suggeriert: "Vor der Auferstehung kommt das Sterben."

Der Untergang liegt also bereits im Glückszustand in der Luft, er ist nur, bis auf den Knall am Schluß, kaum zu erkennen, weil Isabel Marxgut und Alexander Kaimbacher, umgeben von weißen Vogelfedern, durchgehend hingegeben schwelgen. Das ist dramaturgisch und musikalisch - bei drei Streichern, Oboe, Klarinette, Horn(!) und Harfe(!) sogar ein wenig eintönig. So wie es puristisch-schön aufgemotzter Kitsch nun mal ist. Makabrer Weise.

Kontrabass mit übergroßer Wunde

Im Kontrabass kommt die Spannung in gesteigerter Abnormalität dagegen auf ihre Kosten. Das fängt damit an, dass Schedl typisch detailbesessen für seine jazzig-atonale Rhythmik eine völlig andere Instrumentation benutzt: 6 Vionloncelli, einen Kontrabass und Schlagwerk mit Pauken und Trommeln (Xylophon?). Begann das erste Stück in der Metro (unter den Zuschauern), so steht derselbe Ort nun für ein Bahnhofscafe - zu erkennen an Lautsprecher-Durchsagen -, wo sich das Pärchen Isabel Marxgut und Gernot Heinrich zum Frühstück trifft. Das ist nun schauspielerisch weniger lyrisch wie zuvor, als realistisch - und von beiden wirklich gut gespielt. Besonders Heinrich ist ein echter Sänger-"Schauspieler".

Getoppt wird sein Spiel nur vom diesbezüglich einschlägigen Profi Gerhard Karzel, der sich als Kontrabassist "Silbermann" in fein-säuberlichem Anzug zum jungen Paar setzt, und zwischen Irrsinn und Aufdringlichkeit unheimliche Atmosphäre verströmt. Er bestellt Kaffee für seine "Frau", die er während des zweiten Weltkriegs im Bombenhagel von Dresden verloren hat. Die Jungen halten ihn - bei gezogen-betrunkenen Tönen - für betrunken, begreifen in ihrer Naivität seine "Wunde" nicht, die aber so überdimensional im Raum steht, weil sich plötzlich vier weitere "Silbermanns" - alle mit anderem psychischen und körperlichen Leiden - zu den Zuschauern an die Tische setzen. Selbst die Kontrabassistin des amadeus-ensemble-wien, Caroline Menke, trägt das Kostüm Silbermanns. - Es herrscht in jedem beklommene Stimmung, sodass das Mädchen nur noch verstört weinen, der Junge vor Angst schreien muss.

S.C.H.A.S. als irrwitziges Mißtrauen auf die Menschheit

Im Stil des absurden Theater, wo Nonsense-Texte in rhythmischer Steigerung echte Gefühle ausdrücken, ist S.C.H.A.S. nach dem Gleichnis von H.C. Artmann Erlauben, Schas, sehr heiß bitte! angelegt. Und das ist nun so exzessiv schräg umgesetzt, und von Gernot Heinrich als Kellner so herausragend gelungen wahnsinnig gespielt, dass es schon wieder lustig ist. Selbst wenn anfangs Eugeniy Chevkenov als zigeunerisch-jüdischer Stehgeiger gleich klar macht, dass es hier auch um rassistische Degradierung geht. Wobei dieser Musiker vom Gast "Herr Lackl" (expressiv: Andreas Jankowitsch) im nun Wiener Lokal, als "jüdelach" wie ein Konsumobjekt, gleich dem Getränk "Schas mit Schlag", bestellt wird - Zitat: "Spiel, Jud, a Loch!"

Als nun noch ein Pärchen mit Namensmetaphern für Engel und Teufel herein kommt, eskaliert das Ganze, weil dem unwirschen Gast das Warten auf den Jud zu lang wird und er mit "Dolpherl", seinem Freund, droht, während daneben eine unwirsche Sexszene unter dem Pärchen, Gästen und vielen, wahnsinnigen Kellnern abrennt. - Kellner Josef treibt es etwa mit einer Kloschüssel. - Hitler steht als Ersatz für sexuelle Befriedigung und haltlosen Exzess - als Prinzip für die Schwäche des Menschen. Denn all diese triebgesteuerten Menschen beruhigen sich erst, als sie tatsächlich unisono im Hitlergruß dem Licht in einem Tunnel entgegen steuern: und da kommt dann der erlösende Hitler in Miniaturformat heraus getragen: als infantiles, lächelndes Kind.

Und das erschreckende Fazit nach alledem ist nun aber: je mißmutiger, pessimistischer und wahnsinniger die Musik und das Stück eines Gerhard Schedl wird, desto spannender und unterhaltsamer ist es für das Publikum. Wenn der Preis für diese Originalität aber echte Depression und Selbstmord bedeutet, kann es auch gerne anders laufen ... h.o./e.o


DAS URTEIL KOMPONIST SCHEDL AUF PSYCHOTRIP, ORIGINELL UND ERLEBNISREICH VON JOHANNES ERATH INSZENIERT UND VON STEFAN HEINRICHS AUSGESTATTET, STIMMIG VON WALTER KOBÉRA DIRIGIERT. - EIN UNTERHALTSAMER DEPRESSIONSEXZESS.

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