... sowie auch am Freund Kaufmann (Volker Vogel), der Goethe repräsentiert, dessen gesellschaftlich angepaßte Dichtkunst Staat und Volk überzeugt, während jene Lenz - so makaber übergroß (siehe Kostüm) - gar nicht "paßt".
Lenz will über seine "gefühlte Wahrheit" schreiben. Doch selbst seine "Liebe Friederike", die mitsamt den Kreuzen des Pfarrers aus Lenzs Wahrnehmung "geht", "versteht ihn nicht".
Den Rest gibt Lenz seine Unfähigkeit, ein krankes Mädchen zu retten - eine letzte Metapher für den Glauben an sich selbst als fähiger Dichter. (Fotos © Dorothea Wimmer)
MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN FRANK CASTORF HAT SICH ZÄHMEN LASSEN: WOLGANG RIHMS KAMMEROPER JAKOB LENZ NACH BÜCHNERS LENZ HAT OFFENSICHTLICH SEIN GEMÜT BEWEGT ...
Das hat er heuer wirklich toll hin gekriegt. Ohne Schmäh, die (zeitgenössische) Oper steht dem Castorf gut. Das, obwohl er eigentlich die Berliner Volksbühne leitet, "das" Schauspiel-Theater des urbanen Publikums schlechthin. Fakt ist aber auch: Castorfs Inszenierungen (wie letztes Jahr Norden) polarisieren Wiens Gäste. Ganze Zuschauerreihen verabschieden sich für gewöhnlich bei laufender Aufführung im Dreivierteltakt (sodass es jedes Jahr erstaunlich ist, dass zu Stückbeginn trotz offensichtlichen "Zuschauerprotests" alle Plätze ausverkauft sind). Der Takt heuer nun - bei der Kammeroper Jakob Lenz - ließ die Bildungsbürger bis zum Stückende ausharren. Das lag an der Musik Wolfgang Rihms, die zu Castorfs ex-/impressionistischem Stilbruch der Zeitnorm mit textlicher bzw. Handlungs-Wiederholung zwecks Verständnisnachdruck bestens harmoniert, aber auch an Castorfs - den Umständen entsprechend - diesmal doch sehr chronologisch, behutsam und schlüssig erzähltem Zugang.
Es scheint fast, als hätte Castorf beschlossen, - wenn schon Büchner in seinem Urstoff (dieser Fassung von Michael Fröhling) eine Welt ohne Zusammenhang und damit als totales Chaos im "notwendigen Fragment" beschreibt - dieses Chaos nicht auch noch stilistisch betonen zu wollen, selbst wenn das an-sich sein formales Credo ist. Das inhaltliche Chaos bezieht sich konkret auf den steigenden Wahn des Titelhelden "Jakob Lenz", ideologischer Dichter-Jugendfreund des jungen und Kontrahent des späten Goethe (1749-1832), der sich auf Wanderschaft in die Alpen begibt, um beim Pfarrer Oberlin seine Ruhe zu finden. Und so wie die Natur rundum des Gehenden in wirren Apocalypse-Visionen zerfällt, so verliert auch die Zeit ihr Kontinuum zugunsten beängstigender Momentimpressionen. (Büchner selbst starb 1837 als steckbrieflich gesuchter Politflüchtling mit 24 Jahren an Nervenfieber.)
Castorf in Demut und doch klar erkennbar
Das Ziel ist - so oder so - die Darstellung des Gemütszustands der Verzweiflung als artistische Herausforderung und als einzig authentische Sprache zur sozialpolitischen Anklage von Machtstrukturen - denn daran hat sich bis heute nichts geändert. Es scheint Castorf damit so ernst zu sein, dass er diesmal - auf jegliches grenzsprengende Spektakel verzichtend - in Demut verfällt. Und doch hat es noch genug "Saft", dass darin ein Castorf zu erkennen ist. Sich den Satz des Komponisten Rihm zu Herzen nehmend, "Vor allem gilt: der Faden, an dem Jakob Lenz hängt, ist der Strom ins Herz der Hörer", fädelt der deutsche Regisseur mithilfe von Bühnenbildner Hartmut Meyer auch dramaturgisch einen (zweimal sogar glühenden) "Schienenfaden" auf die sehr tiefe, nackte, schwarze Langbühne der Halle E im Museumsquartier. Der Weg auf ihm, wenn die Schauspieler und Sänger phasenweise in drollig-makaber überzeichneten Gnomen-Stereotyp-Riesenuniformen darauf schlafen und balancieren, ist also tatsächlich beängstigend schmal und lang. - Die Metapher von des Wanderers Lenz Gedankenzustand und stellvertretend für die unsicher schwankende Existenz aller Menschen auf Erden, sobald sie über ihr Dasein nachdenken und zwangsläufig zu zweifeln beginnen.
Wenn Freunde und Staat wegschauen ...
Der zweite Autenthaltsort stellt ein Müllwaggon dar, gefüllt mit kaltem (Castorf-typischem) Wasser, worin der arme Lenz (fragile Erscheinung: Georg Nigl) in weißer Unterwäsche und Kniestrümpfen immer wieder "schwimmt" - und "untergeht" in depressiver Ohnmacht vor dem Wust seiner wachsenden Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung über diese Erdenzustände mit immer mehr herein geschobenen Waggons, einer davon mit Kreuzen (Religion) gefüllt. Die zwillingshaften Figuren, Pfarrer Oberlin mit cooler Zigarette (Bass Wolfgang Bankl) und "Freund" ("Freund" Goethe ist das angesagte Dichter-Ideal, während die Welt "ihn=Lenz", der doch nur die Wahrheit schreiben wollte, nicht will) namens "Kaufmann" (in prächtig-rüttelndem Stahlwaggon auf der Schiene einfahrend und gesang-schauspielerisch als zynisch-kalter "Freund" eindringlich überzeugend: Tenor Volker Vogel) sind trotz ihrer gereichten Decke oberflächlich und kosmetisch, gerade wenn sie rufen: "Komm da heraus, Du holst Dir den Tod!", "Komm, ein Tag mit Arbeit gibt Zufriedenheit!" Die als höhere Wahrheit pointiert "gleich" Scheinenden aus dem "gegensätzlich" "schizophrenen" Blickwinkel Lenzs sind im Grunde sogar desinteressiert am Leid des lethargischen Freundes, weshalb sie in seinen Seelenzustand auch nicht einzudringen vermögen, als einziger Anker einer Überlebenschance. Spöttisch bitter wirkt dazu auch noch die potentiell im Leben alternative Hilfe von außen - eine umher getragene Mini-Fahne - die sagt, wie egal auch den Regierungsverantwortlichen der Schmerz außenseiterischer Zweifler ist: im hinteren Teil des Raums winzig klein wehend, kann die Sicht auf den Staat nur noch zynisch sein.
... wenn Glaubens- und Liebesfähigkeit zugrunde gegangen sind ...
So sind Staats-, Glaubensfähigkeit und gelebtes Berufsideal für Lenz obsolet, es bleibt nur die Hoffnung auf die Liebe. Doch auch da schwant ein Bild der Enttäuschung vor seinen Augen, begleitet von den unerwiderten Gefühlen von "Friederike". Ihr Bild der heiligen Unerreichbaren in Lenzs Kopf erhält für den Zuseher bald die wahre Deutung, wenn der Dichter - jetzt von einem Schauspieler (Georg Friedrich) gemimt - als schnurrender und an Friederike (Schauspielerin Winnie Böwe) zerrender Löwe von jener, ihn wegstoßend, nur mit schnoddrigen Worten bedacht wird wie, "Bist Du bescheuert? - Ich versteh Dich nicht!", um sogleich in eine Erzählerfigur zu mutieren und zu erklären: "Er verstand nicht, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." Das Verständnis liegt wohl darin: Die Natur des Menschen erfährt die Steigerung der Natur des Tieres, so wie Lenz in seiner Seelenwanderung die Natur der Landschaft sieht; jene ist zunächst so positiv und allmächtig, wie sie mit der Enttäuschung bedrohlich und unerträglich wird. Weshalb Lenz sich die Alpennatur als schweren Pappkarton-Ballast auf die Schultern nimmt und durch einen Kasperlguckkasten über seinen Alpen-Abgang in dritter Person wiederholt: "Er war nicht müde, es war ihm nur unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." - Und damit schließt sich der Kreis des Gefühls der Unverstandenheit von der Liebenden bis zur Gesellschaft, die "von Natur aus" keinen Sinn für das Unmögliche (Alternativen) haben. Und die Natur des Menschen begrenzt selbst jenen, der diesen Sinn hätte, also Lenz, - weshalb er letztenendes kapituliert. Das, obwohl der keilförmig in den Raum gesprühte Himmelspegel, echt wie ziehende Wolken in den Alpen, noch einmal von einer atemberaubenden Lebensbejahung ist, als zöge gerade der allmächtige Gott über die Bühne.
... braucht es nicht mehr viel, um aus dem Leben zu gehen
Gott steckt als Energiequelle auch immer wieder in der stellengenau dissonant und tonal gesetzten Musik Rihms mit Cembalo innerhalb des Orchesters, weshalb Castorf das einfühlsam und schön von Stefan Asbury dirigierte Klangforum Wien permanent präsent auf der Bühne - je nach momentanem Schutz - unter einem auf und ab fahrenden Dach verweilen läßt. Das Dach verliert seine suggestive Kraft aber völlig, als ein Kameramann ab Mitte des Stücks live den verwirrt-verlorenen Gesichtsausdruck von Lenz mitfilmt, der überlebensgroß auf die Dachplane projiziert wird. Dasselbe passiert mit dem wunderschön klingenden Chor (Barbara Achammer, Sabine Brunke, Selcuk Cara, Tijl Faveyts, Magdalena Anna Hofmann, Maria Weiß), der je nach Bedarf die Zwergen-Gnomgesellschaft, verdoppelte Friederike-Frauen oder Lenz-Alter-Egos verkörpert: durch genau diese Charakterisierung verliert sein Klang die Vertrauenswürdigkeit - und das ist einmal mehr: genial doppelbödig.
Das Aus des Permanentzweiflers Lenz tritt schließlich ein, als er versucht, ein Mädchen zu retten. Seine von Jesus entlehnten Worte, "Steh auf und wandle", gehen nicht auf, sodass das tote Mädchen sich in seiner Wahrnehmung verdoppelt, verdreifacht, jene toten Mädchen mit toten Friederikes zum potenzierten Tod verschmelzen, was in Lenzs Logik die einzig erlösende Erleichterung bringt, indem die "tote" Friederike in seiner Einbildung zu ihm sagt: "Jetzt erst bin ich dein." Gleichzeitig ist Lenzs innerlich immer noch gespürtes Selbstbild, von der allmächtigen Natur "wie der unverstandene Jesus" auserwählt zu sein, zerstört, womit seine "Göttlichkeit als Dichter und Mann" endgültig (im Selbstmord) ermordet wird. Castorf lenkt die Schuld aber auf die Gesellschaft. Mittels vertikal aufgestellten Bettes: es steht für Lenzs Todesruhe nach langem Sterben, verschuldet durch die unverrückbare Schranke des allgemeinen Blicks der passiven Zuschauer ... (e.o.)
Das hat er heuer wirklich toll hin gekriegt. Ohne Schmäh, die (zeitgenössische) Oper steht dem Castorf gut. Das, obwohl er eigentlich die Berliner Volksbühne leitet, "das" Schauspiel-Theater des urbanen Publikums schlechthin. Fakt ist aber auch: Castorfs Inszenierungen (wie letztes Jahr Norden) polarisieren Wiens Gäste. Ganze Zuschauerreihen verabschieden sich für gewöhnlich bei laufender Aufführung im Dreivierteltakt (sodass es jedes Jahr erstaunlich ist, dass zu Stückbeginn trotz offensichtlichen "Zuschauerprotests" alle Plätze ausverkauft sind). Der Takt heuer nun - bei der Kammeroper Jakob Lenz - ließ die Bildungsbürger bis zum Stückende ausharren. Das lag an der Musik Wolfgang Rihms, die zu Castorfs ex-/impressionistischem Stilbruch der Zeitnorm mit textlicher bzw. Handlungs-Wiederholung zwecks Verständnisnachdruck bestens harmoniert, aber auch an Castorfs - den Umständen entsprechend - diesmal doch sehr chronologisch, behutsam und schlüssig erzähltem Zugang.
Es scheint fast, als hätte Castorf beschlossen, - wenn schon Büchner in seinem Urstoff (dieser Fassung von Michael Fröhling) eine Welt ohne Zusammenhang und damit als totales Chaos im "notwendigen Fragment" beschreibt - dieses Chaos nicht auch noch stilistisch betonen zu wollen, selbst wenn das an-sich sein formales Credo ist. Das inhaltliche Chaos bezieht sich konkret auf den steigenden Wahn des Titelhelden "Jakob Lenz", ideologischer Dichter-Jugendfreund des jungen und Kontrahent des späten Goethe (1749-1832), der sich auf Wanderschaft in die Alpen begibt, um beim Pfarrer Oberlin seine Ruhe zu finden. Und so wie die Natur rundum des Gehenden in wirren Apocalypse-Visionen zerfällt, so verliert auch die Zeit ihr Kontinuum zugunsten beängstigender Momentimpressionen. (Büchner selbst starb 1837 als steckbrieflich gesuchter Politflüchtling mit 24 Jahren an Nervenfieber.)
Castorf in Demut und doch klar erkennbar
Das Ziel ist - so oder so - die Darstellung des Gemütszustands der Verzweiflung als artistische Herausforderung und als einzig authentische Sprache zur sozialpolitischen Anklage von Machtstrukturen - denn daran hat sich bis heute nichts geändert. Es scheint Castorf damit so ernst zu sein, dass er diesmal - auf jegliches grenzsprengende Spektakel verzichtend - in Demut verfällt. Und doch hat es noch genug "Saft", dass darin ein Castorf zu erkennen ist. Sich den Satz des Komponisten Rihm zu Herzen nehmend, "Vor allem gilt: der Faden, an dem Jakob Lenz hängt, ist der Strom ins Herz der Hörer", fädelt der deutsche Regisseur mithilfe von Bühnenbildner Hartmut Meyer auch dramaturgisch einen (zweimal sogar glühenden) "Schienenfaden" auf die sehr tiefe, nackte, schwarze Langbühne der Halle E im Museumsquartier. Der Weg auf ihm, wenn die Schauspieler und Sänger phasenweise in drollig-makaber überzeichneten Gnomen-Stereotyp-Riesenuniformen darauf schlafen und balancieren, ist also tatsächlich beängstigend schmal und lang. - Die Metapher von des Wanderers Lenz Gedankenzustand und stellvertretend für die unsicher schwankende Existenz aller Menschen auf Erden, sobald sie über ihr Dasein nachdenken und zwangsläufig zu zweifeln beginnen.
Wenn Freunde und Staat wegschauen ...
Der zweite Autenthaltsort stellt ein Müllwaggon dar, gefüllt mit kaltem (Castorf-typischem) Wasser, worin der arme Lenz (fragile Erscheinung: Georg Nigl) in weißer Unterwäsche und Kniestrümpfen immer wieder "schwimmt" - und "untergeht" in depressiver Ohnmacht vor dem Wust seiner wachsenden Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung über diese Erdenzustände mit immer mehr herein geschobenen Waggons, einer davon mit Kreuzen (Religion) gefüllt. Die zwillingshaften Figuren, Pfarrer Oberlin mit cooler Zigarette (Bass Wolfgang Bankl) und "Freund" ("Freund" Goethe ist das angesagte Dichter-Ideal, während die Welt "ihn=Lenz", der doch nur die Wahrheit schreiben wollte, nicht will) namens "Kaufmann" (in prächtig-rüttelndem Stahlwaggon auf der Schiene einfahrend und gesang-schauspielerisch als zynisch-kalter "Freund" eindringlich überzeugend: Tenor Volker Vogel) sind trotz ihrer gereichten Decke oberflächlich und kosmetisch, gerade wenn sie rufen: "Komm da heraus, Du holst Dir den Tod!", "Komm, ein Tag mit Arbeit gibt Zufriedenheit!" Die als höhere Wahrheit pointiert "gleich" Scheinenden aus dem "gegensätzlich" "schizophrenen" Blickwinkel Lenzs sind im Grunde sogar desinteressiert am Leid des lethargischen Freundes, weshalb sie in seinen Seelenzustand auch nicht einzudringen vermögen, als einziger Anker einer Überlebenschance. Spöttisch bitter wirkt dazu auch noch die potentiell im Leben alternative Hilfe von außen - eine umher getragene Mini-Fahne - die sagt, wie egal auch den Regierungsverantwortlichen der Schmerz außenseiterischer Zweifler ist: im hinteren Teil des Raums winzig klein wehend, kann die Sicht auf den Staat nur noch zynisch sein.
... wenn Glaubens- und Liebesfähigkeit zugrunde gegangen sind ...
So sind Staats-, Glaubensfähigkeit und gelebtes Berufsideal für Lenz obsolet, es bleibt nur die Hoffnung auf die Liebe. Doch auch da schwant ein Bild der Enttäuschung vor seinen Augen, begleitet von den unerwiderten Gefühlen von "Friederike". Ihr Bild der heiligen Unerreichbaren in Lenzs Kopf erhält für den Zuseher bald die wahre Deutung, wenn der Dichter - jetzt von einem Schauspieler (Georg Friedrich) gemimt - als schnurrender und an Friederike (Schauspielerin Winnie Böwe) zerrender Löwe von jener, ihn wegstoßend, nur mit schnoddrigen Worten bedacht wird wie, "Bist Du bescheuert? - Ich versteh Dich nicht!", um sogleich in eine Erzählerfigur zu mutieren und zu erklären: "Er verstand nicht, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." Das Verständnis liegt wohl darin: Die Natur des Menschen erfährt die Steigerung der Natur des Tieres, so wie Lenz in seiner Seelenwanderung die Natur der Landschaft sieht; jene ist zunächst so positiv und allmächtig, wie sie mit der Enttäuschung bedrohlich und unerträglich wird. Weshalb Lenz sich die Alpennatur als schweren Pappkarton-Ballast auf die Schultern nimmt und durch einen Kasperlguckkasten über seinen Alpen-Abgang in dritter Person wiederholt: "Er war nicht müde, es war ihm nur unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." - Und damit schließt sich der Kreis des Gefühls der Unverstandenheit von der Liebenden bis zur Gesellschaft, die "von Natur aus" keinen Sinn für das Unmögliche (Alternativen) haben. Und die Natur des Menschen begrenzt selbst jenen, der diesen Sinn hätte, also Lenz, - weshalb er letztenendes kapituliert. Das, obwohl der keilförmig in den Raum gesprühte Himmelspegel, echt wie ziehende Wolken in den Alpen, noch einmal von einer atemberaubenden Lebensbejahung ist, als zöge gerade der allmächtige Gott über die Bühne.
... braucht es nicht mehr viel, um aus dem Leben zu gehen
Gott steckt als Energiequelle auch immer wieder in der stellengenau dissonant und tonal gesetzten Musik Rihms mit Cembalo innerhalb des Orchesters, weshalb Castorf das einfühlsam und schön von Stefan Asbury dirigierte Klangforum Wien permanent präsent auf der Bühne - je nach momentanem Schutz - unter einem auf und ab fahrenden Dach verweilen läßt. Das Dach verliert seine suggestive Kraft aber völlig, als ein Kameramann ab Mitte des Stücks live den verwirrt-verlorenen Gesichtsausdruck von Lenz mitfilmt, der überlebensgroß auf die Dachplane projiziert wird. Dasselbe passiert mit dem wunderschön klingenden Chor (Barbara Achammer, Sabine Brunke, Selcuk Cara, Tijl Faveyts, Magdalena Anna Hofmann, Maria Weiß), der je nach Bedarf die Zwergen-Gnomgesellschaft, verdoppelte Friederike-Frauen oder Lenz-Alter-Egos verkörpert: durch genau diese Charakterisierung verliert sein Klang die Vertrauenswürdigkeit - und das ist einmal mehr: genial doppelbödig.
Das Aus des Permanentzweiflers Lenz tritt schließlich ein, als er versucht, ein Mädchen zu retten. Seine von Jesus entlehnten Worte, "Steh auf und wandle", gehen nicht auf, sodass das tote Mädchen sich in seiner Wahrnehmung verdoppelt, verdreifacht, jene toten Mädchen mit toten Friederikes zum potenzierten Tod verschmelzen, was in Lenzs Logik die einzig erlösende Erleichterung bringt, indem die "tote" Friederike in seiner Einbildung zu ihm sagt: "Jetzt erst bin ich dein." Gleichzeitig ist Lenzs innerlich immer noch gespürtes Selbstbild, von der allmächtigen Natur "wie der unverstandene Jesus" auserwählt zu sein, zerstört, womit seine "Göttlichkeit als Dichter und Mann" endgültig (im Selbstmord) ermordet wird. Castorf lenkt die Schuld aber auf die Gesellschaft. Mittels vertikal aufgestellten Bettes: es steht für Lenzs Todesruhe nach langem Sterben, verschuldet durch die unverrückbare Schranke des allgemeinen Blicks der passiven Zuschauer ... (e.o.)
DAS URTEIL EINE VIRTUOSE, GEISTREICHE UND SENSIBLE REGIE VON FRANK CASTORF - ER SOLLTE ÖFTER OPERN INSZENIEREN, DA SICH SEIN EXPRESSIONISMUS SO ZÄHMEN LÄSST!
OPER Jakob Lenz * Von: Wolfgang Rihm (Komposition) und Michael Fröhling nach Georg Büchners Lenz * Dirigat: Stefan Asbury * Neuinszenierung * Mit: Klangforum Wien * Mit: Georg Nigl, Wolfgang Bankl, Volker Vogel, Winnie Böwe, Georg Friedrich, u.a. * Produktion: Wiener Festwochen * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 17.-22.5.2008
OPER Jakob Lenz * Von: Wolfgang Rihm (Komposition) und Michael Fröhling nach Georg Büchners Lenz * Dirigat: Stefan Asbury * Neuinszenierung * Mit: Klangforum Wien * Mit: Georg Nigl, Wolfgang Bankl, Volker Vogel, Winnie Böwe, Georg Friedrich, u.a. * Produktion: Wiener Festwochen * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 17.-22.5.2008
1 comment:
achso
Post a Comment