Saturday, November 24, 2007

THEATER: MICHAEL SCHOTTENBERGS BRAUNES "EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN"

Trotz Beförderung schließt Weinberl (Andreas Vitásek) den ihm anvertrauten Laden zu, und macht er sich heimlich mit dem Lehrbub Christoph (Katharina Straßer) auf, um in der Stadt etwas zu erleben...

... er erlebt dabei einen teuer-erkauften Jux, wie eine dicke Frau; und das Publikum erlebt Vitáseks stimmig-bewegten Couplets á la Vaudeville-Herr-Karl.

Im braunen, immerhin rhythmischen Klischeewitz sind Vitásek, Straßer und Erwin Ebenbauer als Melchior echt führende Originale, sodass ein Hitler eigentlich überflüssig wäre ... (Fotos © Lalo Jodlbauer)


VOLKSTHEATER MICHAEL SCHOTTENBERG BETTET NESTROYS EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN ZWISCHEN HERRN-KARL-VAUDEVILLE UND BRAUNER BRETTERGESELLSCHAFT

Weiss man, dass Johann Nepomuk Nestroy zu seiner Zeit (1801-1862) der politisch-gesellschaftliche Satiriker schlechthin war, der mit desillusionierend-aggressiver Lokalposse die biedermeierliche Idylle und den Metternichschen Zensurstaat veräppelte, so weiss man auch, dass das in die heutige Zeit nicht leicht zu übertragen ist. Selbst wenn die Wiener (Österreicher?) an-sich noch immer ein altertümliches Völkchen sind, das sich gerne an Traditionen erinnert und in der Breite auch danach lebt. Was allerdings völlig veraltet ist, sind amouröse Heimlichkeiten und heimliches Schwänzen in der Arbeit. - Denn das wird heute ja seit dem enttabuisierten Seitensprung durch die Presse und des - dank Gewerkschaft - ritualisierten Krankenstands gelebt. Somit wäre wohl Nestroys Stück Einen Jux will er sich machen hinfällig, das sich nur um diese beiden Kernthemen dreht. Regisseur Michael Schottenberg hat sich im Volkstheater dennoch des Juxes mit eigener Textfassung angenommen, allerdings weniger mit Jux als mit dem Trumpf dreier toller Schauspieler in ansonsten mäßig spaßigem Umfeld.

Hitler in spaßigem Mittelmaß

Das Mäßige fängt schon mit einem banalen Klischee an, nämlich die Zeitkritik von heute - richtig erraten, denn das ist ja Schottenbergs Steckenpferd - in die Naziwelt zu betten. Der Querverweis wäre an sich nicht so schlimm, ein bißchen arg ist aber, "wie das geschieht". Da wäre einmal die durchgehende Farbe "Braun", vom Bühnenbild bis zum kleinsten Kostüm von Erika Navas - was kann denn diese arme Farbe für diese Ideologie? Da wäre als Nächstes die von Hans Kudlich gezimmerte Bretterwelt, die hinter und unter sich weitere Bretter hütet - was kann denn das gute alte Holz für all die Sitten-Verbarrikadierungen? Da wären alsdann Sprechblasen wie "als Touristen sind Ausländer willkommen, aber sonst gibt´s Schubhaft", und Geliebte, die sich in muslimische Schleier hüllen, um einerseits dem Stil der Verwechslungskomödie zu entsprechen, andererseits als "so eine junge Araberin oder was das war" schikaniert zu werden - das ist noch einigermaßen originell. Am schlimmsten aber ist die mit Hitlerbärtchen in Jägertracht und ausgestopftem Bauch verkleidete Figur des Kaufmanns Zangler, übertrieben und damit dilettantisch gespielt von Thomas Kamper, dessen Hitlerkonnotation erst gecheckt wird, als ihn der nachäffende Andreas Vitásek mit einer beiläufigen, aber treffenden Geste kopiert.

Die drei echten Führer

Mit Vitásek wären wir auch bei der Hauptattraktion der Inszenierung angelangt, der als Verkäufer Weinberl Charisma und das Publikum im Griff hat. Trotz Beförderung zum Associé des Kaufmanns will er einmal noch das "Verfluchtekerlbewußtsein" erleben; er sperrt den ihm anvertrauten Laden hinterm Rücken des Chefs zu und nimmt den pfiffigen Lehrbub Christoph mit - worin Katharina Straßer ihre bisher stärkste Rolle spielt (abgesehen davon, dass es eine geniale Idee der Regie ist, den Bub mit einem Mädchen zu besetzen): Wie schlagfertig sie reagiert, wie burschikos sie sich bewegt, wie einfühlsam sie sich an Vitasek anpasst - das alles ist so sehr "Nestroy" wie heutig echt, und doch noch verfremdet genug, um Kunst zu sein. Die Straßer ist insofern bester Wiener Bub, wie Wiener Maderl - und vielleicht entspricht das wiederum einem zeitkritischen "Lob" (?!), wie es ein Nestroy schriebe, würde er heute leben... Der dritte glaubwürdige Lachgarant steckt schließlich in Erwin Ebenbauer als Zangler-Bedientem Melchior, der mit seinem Running-Gag, "das ist klassisch!" für klasisch doppelbödige Schein-Sein-Moral zwischen gebietender und dienender Klasse sorgt. Mit seiner ängstlich-fahrigen Art (Zitat: "Die san auf´s Geld aus - das sind Menschen!") stimmt er somit auch als Charakter.

Echter Rhythmus in echten Vitásek-Couplets

Dem Schottenberg an Können anzuerkennen, ist neben situationskomischer Tricks wie der spanischen Wand der Rhythmus im Stückverlauf. Er schwindelt selbst über all die erwähnten Peinlichkeiten gekonnt hinweg. Der Rhythmus harmoniert auch bestens mit den Gesangseinlagen des Sing- und weiblich-leicht-anmutenden Bewegungskünstlers Vitasek, der seine Couplets selbst geschrieben hat. Gesangssprachlich erinnert er dabei wiederum an Helmut Qualtingers Herrn Karl. Da paßt denn auch der neuartig-eigene Sprachwitz, etwa zum Thema "Liebe zu Zwein", "nur der Regenwurm tut sich selber vergnügen", oder der Satz, "nur die toten Künstler werden kultisch verehrt, die Lebenden sind nix wert", während "der Andi" bei Benefizkonzerten und Rote Nasen auftreten müsse, die eigene Familie aber nicht mehr zu Gesicht bekomme. Und wirken dagegen so viele Sager von Nestroy heute schon naiv und überholt, so stimmt mancher denn doch, wie: "Das Ziel vor Augen scheitert der Mann an der Kleinheit seiner Mitte." e.o.


DAS URTEIL DREI FÜHRENDE SCHAUSPIELER IN UNGLAUBWÜRDIG-ÜBERTRIEBENEM KAMERADENSCHWANK. DREI WIEN-URBANE CHARISMATIKER IM LÖWINGERBÜHNEN-VERSCHNITT AUS´M JAHRE PROVINZ.

THEATER Einen Jux will er sich machen * Von: Johannes Nestroy, Fassung von Michael Schottenberg * Regie: Michael Schottenberg * Mit: Andreas Vitásek, Katharina Straßer, Erwin Ebenbauer, u.a. * Musik: Gerald Preinfalk / Romed Hopfgartner, Marko Zivadinovic/ Milos Todorovski * Bühne: Hans Kudlich * Musikalische Einrichtung, Komposition: Mischa Krausz * Ort: Volkstheater, Wien * Zeit: 25., 26., 27.1., 30.1., 2., 3., 5., 6., 7., 18., 24., 25., 27., 28., 29.2.2008: 19h30

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