... transformiert seine Suche in die Jagd nach dem Wal, die ihn bei grausamer Umwelt zum grausam-fanatischen Mann (Denis Lavant) zeichnet.
Eine schöne Parallele von Regisseur Philippe Ramos, der seine eigene Sexfantasie und Romantik von Mann, Frau und Mensch in seinem Captain Ahab spürbar einarbeitet.
VIENNALE - DAS WIENER FILMFESTIVAL GEHT SO SCHNELL VORBEI, DASS MAN DIE BESTEN FILME BEINAHE ÜBERSIEHT: DER HEKTIK ZUM TROTZ DENKEN WIR NOCH AN DAS FILMHIGHLIGHT VON PHILIPPE RAMOS: CAPITAINE ACHAB - KEIN MÄNNER-, SONDERN EIN MENSCHENFILM!
Capitaine Achab des 1964 in Vaucluse, Frankreich, geborenen Regisseurs Philippe Ramos, war bestimmt einer der gelungensten Filme, auf alle Fälle aber "der" überraschungsreichste Film der Viennale. Weil er vor und während des Anschauens jeder Erwartung entgegen läuft und dabei eine absolut eigenständige und neuartig glaubwürdige Filmpoesie an den Tag legt. Die Poesie geht Hand in Hand mit einer inhaltlich unterschwelligen Revolutionsaussage, die so subtil verfeinert überbracht wird, dass sie kaum über die Suggestion hinaus ins Bewußtsein des Betrachters gelangt. Bei all den kunsthistorischen, eher an der antiken Malerei und griechisch-biblischen Literatur orientierten Bezügen, drängt sich zunächst nur archaisches Staunen in das prinzipiell durchgehend romantisierte Gefühl des Zusehers, dem selbst die allzeit-gültige realistische Härte verkommener Gestalten nichts anhaben kann.
Von Gott zur Umwelt
Offensichtlich schöpft dieser gelungene Film aus einer charakterlichen Übereinstimmung des Regisseurs Ramos mit dem amerkanischen Autor Herman Melville des Urromans Moby Dick (1851): in der Erzählensart, im ästhetischen Empfinden, in der Sicht auf die Welt in literarisch-musischer Überhöhung. Nur dass Ramos viel psychologischer, mit größerer "Sorge" an die Hauptfigur, Kapitän Ahab, herangeht, als wäre sie eine "noch" beeinflußbare Person. Das ist auch das, was das Mythos vom typischen "Heldenbild" des bis zum Tod zwischen Kampf und Sieg getriebenen "Mannes" (Menschen) bricht. Stand Melvilles Roman somit für eine Glaubensdebatte zwischen Gut und Böse, Religion und (böswilliger) Natur im menschlichen Leben, so erweitert sie Ramos in seinem Film um konkrete Umstände, die den Menschen zu dem machen, was man im Allgemeinen als "kriminell" oder "abnorm" verurteilt.
Kunstgeschichtliche Symbole in literarischer Filmsprache
Diese Erkenntnis verläuft aber, wie gesagt, ganz unterschwellig: im Vordergrund steht eine literarisch unterteilte, in antiker Szenenmalerei eingerichtete, mit Filmmedallions abgeblendete Filmerzählung. Einzelne Kapitel stehen für die fantasievoll ausgedachten Lebensabschnitte, die Ahab als Kind, jungen Erwachsenen und am Ende geprägt haben könnten - es wird alles detailliert bis auf den lediglich kurzen, tödlichen Walfang Ahabs geschildert - der in Melvilles Buch doch so dominierte, sodass es schlichtweg für das Abenteuer, die unerschrockene Männlichkeit stand. Die Geschichte erzählt auch kein Matrose wie bei Melville, sondern Leute, die Ahab in den Lebensphasen am intensivsten begleiteten, eröffnen ihren subjektiven Blick auf die Figur, was jeweils andere Musik - von Klassik bis zu modernem, amerikanischem Folksong - unterstreicht. (Die Musik ist übrigens mit so viel Geschmack ausgesucht, dass die Akustik für sich selbst ein Genuß ist.) Kostüme und Filmatmosphäre sind historisch, sodass die Poesie auch optisch greifen kann.
Der Autor hinter grausamen Männern, weiblichen Sexobjekten
Maßgebend exklusiv und neu machen den Film aber Philippe Ramos´ - ihn als Autoren-Persönlichkeit auszeichnende - "Bemerkungen", seine eingeschobenen, philosophisch deutbaren Symbole, die an Radikalität grenzen: Anfangs irritiert eine pornografische Kamerafahrt mit Nahaufnahme auf Haut, Scham, Busen und Körperwölbungen einer nackt-liegenden Frau, was die spätere Jagd nach dem Wal erklärt, der für den Autor genau dieselbe (gefühlte) Form hat. Sie steht für die Mutter, die Ahab schon als Kind verlor, die ihm eine Bibel hinterließ. In der Folge begegnen dem Jungen nur grausame Männer: sein Vater, der seine Geliebte schlägt, weil jene hinterrücks vor idyllischem Esel in freier Natur - wohl einem Schäfer-Sexbild entnommen - einen Musiker verführt, der sie nach kurzer Liaison verlässt, nachdem er Ahabs eifersüchtigen Vater umgebracht hat. Henry, der Geliebte seiner Tante, schlägt Ahab, um ihn zu züchtigen, sodass der Bub - einen Hund tötend - seinen eigenen Mord vortäuscht und abhaut. Zwei betrügerische Gauner schlagen ihn auf der Flucht halbtot; und ein Pfarrer zwingt ihn danach, in der Kirche aus der Bibel zu lesen, worauf der Junge abermals weiter zieht - er geht zur See.
Die Frau im Wal, im Wald - eine Männerfantasie
Der "willensstarke, harte Mann" wird Ahab demnach die Jugend über vorgelebt, während ihm die "Mütter" abhanden kommen: so sagt Ahab schon als Kind ganz eisern: "Wenn du etwas willst, kannst du es möglich machen!" Erst als er mit furchig verlebtem Gesicht und mit abgetrenntem Bein (das er bei der, nicht gezeigten Jagd nach dem Wal verlor) so geschwächt ist, dass er nicht mehr weiter kann, begegnet er der ihn pflegenden "Anna". Im poetischen Dialog von ihm, "als Mann der See", und ihr, "als Frau der Wälder", scheint sich seine Suche nun in beidseitiger Symbiose aufzuheben, doch zieht es Ahab abermals fort... Seine Wunde am Bein öffnet sich gleich dem Ruf des Wals. Zur Urmutter, so wie das französische Wort für das Tier weiblich "La Baleine" lautet.
Mit Dokueinschüben historischen Walfangs und dem amerikanischen "What shall we do with a drunken sailor" schließt der Film in poetisch-archaischer Note: Ist Moby Dick in der Nähe, riecht Ahab "Wald" und damit den Bauch der Mutter, in dem er letztich seinen Frieden findet. - Sollte also das Schicksal über den Willen des Menschen siegen, muss es erst vor der ewigen Männer- und Frauensehnsucht von der Umwelt geprägt worden sein, selbst wenn sich der Wille noch so dagegen wehrte. e.o./a.c.
Philippe Ramos ist im Gespräch mit der Regisseurin von Lady Chatterley, Pascale Ferran (für Kritik scroll down, bzw. click October 2007-Archiv), demnächst auf intimacy: art in artists/talks zu lesen und zu hören.
Capitaine Achab des 1964 in Vaucluse, Frankreich, geborenen Regisseurs Philippe Ramos, war bestimmt einer der gelungensten Filme, auf alle Fälle aber "der" überraschungsreichste Film der Viennale. Weil er vor und während des Anschauens jeder Erwartung entgegen läuft und dabei eine absolut eigenständige und neuartig glaubwürdige Filmpoesie an den Tag legt. Die Poesie geht Hand in Hand mit einer inhaltlich unterschwelligen Revolutionsaussage, die so subtil verfeinert überbracht wird, dass sie kaum über die Suggestion hinaus ins Bewußtsein des Betrachters gelangt. Bei all den kunsthistorischen, eher an der antiken Malerei und griechisch-biblischen Literatur orientierten Bezügen, drängt sich zunächst nur archaisches Staunen in das prinzipiell durchgehend romantisierte Gefühl des Zusehers, dem selbst die allzeit-gültige realistische Härte verkommener Gestalten nichts anhaben kann.
Von Gott zur Umwelt
Offensichtlich schöpft dieser gelungene Film aus einer charakterlichen Übereinstimmung des Regisseurs Ramos mit dem amerkanischen Autor Herman Melville des Urromans Moby Dick (1851): in der Erzählensart, im ästhetischen Empfinden, in der Sicht auf die Welt in literarisch-musischer Überhöhung. Nur dass Ramos viel psychologischer, mit größerer "Sorge" an die Hauptfigur, Kapitän Ahab, herangeht, als wäre sie eine "noch" beeinflußbare Person. Das ist auch das, was das Mythos vom typischen "Heldenbild" des bis zum Tod zwischen Kampf und Sieg getriebenen "Mannes" (Menschen) bricht. Stand Melvilles Roman somit für eine Glaubensdebatte zwischen Gut und Böse, Religion und (böswilliger) Natur im menschlichen Leben, so erweitert sie Ramos in seinem Film um konkrete Umstände, die den Menschen zu dem machen, was man im Allgemeinen als "kriminell" oder "abnorm" verurteilt.
Kunstgeschichtliche Symbole in literarischer Filmsprache
Diese Erkenntnis verläuft aber, wie gesagt, ganz unterschwellig: im Vordergrund steht eine literarisch unterteilte, in antiker Szenenmalerei eingerichtete, mit Filmmedallions abgeblendete Filmerzählung. Einzelne Kapitel stehen für die fantasievoll ausgedachten Lebensabschnitte, die Ahab als Kind, jungen Erwachsenen und am Ende geprägt haben könnten - es wird alles detailliert bis auf den lediglich kurzen, tödlichen Walfang Ahabs geschildert - der in Melvilles Buch doch so dominierte, sodass es schlichtweg für das Abenteuer, die unerschrockene Männlichkeit stand. Die Geschichte erzählt auch kein Matrose wie bei Melville, sondern Leute, die Ahab in den Lebensphasen am intensivsten begleiteten, eröffnen ihren subjektiven Blick auf die Figur, was jeweils andere Musik - von Klassik bis zu modernem, amerikanischem Folksong - unterstreicht. (Die Musik ist übrigens mit so viel Geschmack ausgesucht, dass die Akustik für sich selbst ein Genuß ist.) Kostüme und Filmatmosphäre sind historisch, sodass die Poesie auch optisch greifen kann.
Der Autor hinter grausamen Männern, weiblichen Sexobjekten
Maßgebend exklusiv und neu machen den Film aber Philippe Ramos´ - ihn als Autoren-Persönlichkeit auszeichnende - "Bemerkungen", seine eingeschobenen, philosophisch deutbaren Symbole, die an Radikalität grenzen: Anfangs irritiert eine pornografische Kamerafahrt mit Nahaufnahme auf Haut, Scham, Busen und Körperwölbungen einer nackt-liegenden Frau, was die spätere Jagd nach dem Wal erklärt, der für den Autor genau dieselbe (gefühlte) Form hat. Sie steht für die Mutter, die Ahab schon als Kind verlor, die ihm eine Bibel hinterließ. In der Folge begegnen dem Jungen nur grausame Männer: sein Vater, der seine Geliebte schlägt, weil jene hinterrücks vor idyllischem Esel in freier Natur - wohl einem Schäfer-Sexbild entnommen - einen Musiker verführt, der sie nach kurzer Liaison verlässt, nachdem er Ahabs eifersüchtigen Vater umgebracht hat. Henry, der Geliebte seiner Tante, schlägt Ahab, um ihn zu züchtigen, sodass der Bub - einen Hund tötend - seinen eigenen Mord vortäuscht und abhaut. Zwei betrügerische Gauner schlagen ihn auf der Flucht halbtot; und ein Pfarrer zwingt ihn danach, in der Kirche aus der Bibel zu lesen, worauf der Junge abermals weiter zieht - er geht zur See.
Die Frau im Wal, im Wald - eine Männerfantasie
Der "willensstarke, harte Mann" wird Ahab demnach die Jugend über vorgelebt, während ihm die "Mütter" abhanden kommen: so sagt Ahab schon als Kind ganz eisern: "Wenn du etwas willst, kannst du es möglich machen!" Erst als er mit furchig verlebtem Gesicht und mit abgetrenntem Bein (das er bei der, nicht gezeigten Jagd nach dem Wal verlor) so geschwächt ist, dass er nicht mehr weiter kann, begegnet er der ihn pflegenden "Anna". Im poetischen Dialog von ihm, "als Mann der See", und ihr, "als Frau der Wälder", scheint sich seine Suche nun in beidseitiger Symbiose aufzuheben, doch zieht es Ahab abermals fort... Seine Wunde am Bein öffnet sich gleich dem Ruf des Wals. Zur Urmutter, so wie das französische Wort für das Tier weiblich "La Baleine" lautet.
Mit Dokueinschüben historischen Walfangs und dem amerikanischen "What shall we do with a drunken sailor" schließt der Film in poetisch-archaischer Note: Ist Moby Dick in der Nähe, riecht Ahab "Wald" und damit den Bauch der Mutter, in dem er letztich seinen Frieden findet. - Sollte also das Schicksal über den Willen des Menschen siegen, muss es erst vor der ewigen Männer- und Frauensehnsucht von der Umwelt geprägt worden sein, selbst wenn sich der Wille noch so dagegen wehrte. e.o./a.c.
Philippe Ramos ist im Gespräch mit der Regisseurin von Lady Chatterley, Pascale Ferran (für Kritik scroll down, bzw. click October 2007-Archiv), demnächst auf intimacy: art in artists/talks zu lesen und zu hören.
DAS URTEIL PHILIPPE RAMOS IST NICHT NUR EINE AUSNAHMEERSCHEINUNG ALS REGISSEUR. ER STEHT AUCH FÜR DIE GENERATION DER NEUEN SEHNSUCHT NACH POESIE IM ZEITGENÖSSISCHEN FILM. UND DAS KANN TATSÄCHLICH OHNE JEDEN KITSCH GESCHEHEN - EIN MEISTERFILM!
FILM Capitaine Achab * Frankreich 2007 * Regie, Schnitt, Co-Ausstattung: Philippe Ramos * Buch: Philippe Ramos nach Motiven von Herman Melville * Mit: Denis Lavant, Dominique Blanc, Virgil Leclaire, u.a. * Auszeichnungen: Beste Regie beim Locarno International Film Festival 2007 + FIPRESCI Prize (Kritiker-Hauptpreis) beim Locarno International Film Festival 2007 * Weltvertrieb: www.widemanagement.com
FILM Capitaine Achab * Frankreich 2007 * Regie, Schnitt, Co-Ausstattung: Philippe Ramos * Buch: Philippe Ramos nach Motiven von Herman Melville * Mit: Denis Lavant, Dominique Blanc, Virgil Leclaire, u.a. * Auszeichnungen: Beste Regie beim Locarno International Film Festival 2007 + FIPRESCI Prize (Kritiker-Hauptpreis) beim Locarno International Film Festival 2007 * Weltvertrieb: www.widemanagement.com
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