Friday, July 25, 2008

PERFORMANCE: MATHILDE MONNIER & LA RIBOT - ZICKENCHARME IN "GUSTAVIA"

Hinter der Bühne sind alle Frauen gleich - so auch Mathilde Monnier und La Ribot in "gustavia" ...

... sind aber etwa auch auf der Bühne alle Frauen gleich? (Vorne: La Ribot) - Mit diesem Wissen könnte man das mit den Rivalitäten und dem Revierabstecken ja endlich mal lassen!

Noch ironisch runder wäre diese Frauen-Selbstsatire, wenn ImPulsTanz auch vallée, das Gemeinschaftswerk von Monnier (links) und dem weiblichen Künstler Katerine (rechts), eingeladen hätte! (Fotos: © Marc Coudrais)


AKADEMIETHEATER - IMPULSTANZ FRAUENSUCHE MIT MATHILDE MONNIER UND LA RIBOT IN "GUSTAVIA", SODASS EINEM DAS LACHEN NICHT VERGEHT

"Was ist das nur für eine sexy Frau. Als Mann müßte man sie verführen ..." - Was ich bereits in La Place du singe über Mathilde Monnier sagte (zur Kritik click bei Labels unten auf Monnier!), kann ich nur wiederholen. Allerdings nur im Moment einer spontanen Reaktion. Denn nach längerem Nachdenken wird es doppelt sinnlich, das Wesen der Homoerotik zu erfassen, von der in der Literatur ständig zu reden ist. Gehen Sozial-, Sexual- und sogar Literaturwissenschaftler in Fällen wie Thomas Mann, William Shakespeare oder Edgar Allan Poe davon aus, dass ein homoerotisch verschlüsselt schreibender Autor in versteckter Wahrheit über die eigene Homosexualität schriebe, so muss ich sagen, nein, das würde in meinem Fall überhaupt nicht stimmen. Denn erstens könnte ich - als Frau - nie mit einer Frau ins Bett gehen (ich bin durch-und-durch Männerkörper-orientiert), und so auch nicht mit einer Mathilde Monnier. Und wäre ich ein Mann, würde ich mit Sicherheit auf einen anderen Typ Frau stehen. Tatsächlich gefällt mir also Mathilde Monnier als Frau, wegen ihres reifen, abgeschlossenen Charakters, wegen ihrer herben, charakteristischen Gesichtszüge, wegen ihrer souveränen, charakterstarken Selbstironie, sodass ich mich von ihr frauen-menschlich und -künstlerisch angezogen fühle. - Ungefähr so sehr, wie mich meine ebenfalls sehr charakterstarke, sehr eigenwillige Mutter anzuziehen vermag, denke ich im instinktiven Gefühlsvergleich in grosser, räumlicher Distanz an sie.

Dank Ellbogen bühne-frei für die beste Künstlerin

Dass es auch durchwegs selbstbestimmten Künstlerinnen so gehen muss, lässt sich von Monniers zweiter Zusammenarbeit mit einer Frau ableiten. Nach Autorin Christine Angot hat sie sich für "gustavia" die spanische Live-Artistin La Ribot zur Partnerin genommen, die von 1997-2004 in London arbeitete und heute in Genf lebt. Nun hat man bei beiden nicht das Gefühl, sie müßten sich noch mit Ellbogen und Eifersucht ihr Terrain abstecken, um sich über ihre Position in der Gesellschaft klar zu werden - sei es als Frau, sei es als Künstlerin; Und dennoch machen sie genau das zu ihrem Thema. Der Titel der weiblichen Künstlerfigur, die sich von einem Männernamen ableitet, sagt bereits viel aus. Und so leid einem selbst schon die Frauendiskriminierung als Thema im Zuge des fortschreitenden Lebens sein mag, so sicher muß man sich darüber sein, dass die Frauendiskriminierung noch immer besteht. Sie wird fürs eigene Leben tatsächlich brisanter, je älter man wird. Also genau dann, wenn die Aufreißphase durch die "Weiblichkeit" schon zuende ist. Weil sich dann erst erweist, ob man als Mensch, und nicht nur als Frau, so viel wert ist, dass man mit den besten "Männern" mithalten kann. Und in der Kunstwelt spielt sich das genau gleich ab, da natürlich auch dort bis zur Lebensmitte die Gesetze der Geschlechterrollen herrschen, wenn auch in abgewandelter oder erweiterter Form. - Nur ist dann noch immer nicht garantiert, dass man als echt gute Künstlerin wirklich Erfolg bekommt!

Selbstironie als Geheimnis zum Sympathiegewinn

Diese zwei vollendeten Künstlerpersönlichkeiten punkten mit dieser Geschichte zunächst mit großem Charme - nämlich durch ein langgezogenes, rhythmisch gesummtes, hoches Heulduett-Intro vor Regentönen, im pantomimischen, der Stummfilmzeit nachempfundenen, schwarz ausgekleideten Raum des Akademietheaters, aus dem nur das blonde Haar Monniers heraus leuchtet, weil die beiden Damen auch sonst ganz schwarz gekleidet sind. Das mutet an, als riefen sie lautlos vorab aus: "Wenn man als reife Frau ankommen will, dann geht es sowieso nur noch mit Humor!" - Ganz so bitter, wie es sich hier lesen mag, ist es nicht.
Voraus geschickt wird außerdem gleich mal eine proklamierte Stutenbissigkeit, sobald zwei gleich bekannte Künstlerinnen als Duo zusammengeschweißt werden: Und Monnier und La Ribot wenden sie für sich sogleich ab, indem sie jene direkt auf der Bühne austragen: denn nach dem Heulen kommt je ein Solo, wo Monnier mitsamt der Frau-in-ihr sterben will, und La Ribot will nur wieder auferstehen, wenn Monnier tot ist. - Das mit dem Revier abstecken ist ja ein lebenslanges Problem, nicht nur unter Künstlerinnen, die sich um einen Bühnenstuhl und ein Mikrofon rangeln, als ginge es um ihr Überleben ...

Die Frau hinter und in der Künstlerin

Und dann, beim Duett, sind wir aber auch schon beim eigentlichen Thema, dem Wesen der Frau, als Frau, die beide unter der Künstlerin ja sind. Da können sie noch so sehr französisch sprechen, das wird von jeder Frau der Welt verstanden. Nachdem Monnier am Kopf immer wieder brutal vom schwarzen Brett La Ribots getroffen wird, das jene scheinbar ohne Absicht wie ein Bauarbeiter vorm Gesicht auf den Schultern durch den Raum trägt, während sie sich unschuldig dreht; und nachdem beide in versetzten, spiegelverkehrten Aktionen - wie die Hose übers Knie zu ziehen, männliche Boden-Fick-Szenen mit Schreien - miteinander ums Bessersein bis zur Erschöpfung wettgeeifert haben, glauben sich die Frau beide Künstlerinnen schließlich auch selbst. Denn den jeweiligen Sonderstatus - wie die gezeigte Nase nach oben - haben sie sich ja heraus gewetzt und geschlagen.
Jetzt kommt es nur noch auf die vor dem Vorhang geschriene Aufzählung der Klischees von Frauenbehauptungen an, wie "Eine sehr hübsche Frau; Eine sehr schöne Frau öffnet das Fenster; Eine Frau hat ein Pferd in ihrem Schoß, Eine Frau säubert ihr Haus mit einem Mob, Eine Frau - ihre Milch geht weg ...", die sich dann aber wieder an die Frau als Künstlerin richten wie "Eine Frau spielt Gitarre, Eine Frau das Schlagzeug auch, Eine Frau lädt Politiker ins Theater, ... Eine Frau hat Angst, Eine Frau weint". - So viele Klischees über Frauen, die sich ständig in anderen und doch gleichen (stylisch-sexy) schwarzen Gewändern präsentieren, stehen ironischerweise doch wieder für die vielschichtigen Chancen für Frauen von heute. Möglicherweise sind sie ja schon so vielschichtig, dass sie sich nur noch fürchten können ...

Schade nur, dass ImPulsTanz dieses Stück nicht gemeinsam mit vallée gezeigt hat, das Monnier mit dem schwul-konnotierten Sänger und Musiker Katerine (PHilippe Katerine) im Februar dieses Jahres auf die Bühne gebracht hat. Es wäre eine kontrastgenaue Gegenüberstellung gewesen, wo Monnier ihre "männlichen" (Gesichts)züge zu Katerines weiblichen Stimmzügen einspielt, indem sie Texte und Musik von Katerines jüngstem Album “Robots apres tout” von ihrer Company umsetzen lässt. e.o.


DAS URTEIL MATHILDE MONNIER IST SO EINE STARKE PERSÖNLICHKEIT, DASS SELBST KLEINERE STÜCKE SOUVERÄN WIRKEN. DENN DURCH IHRE LITERARISCHE INTELLIGENZ SCHWINGT EXPRESSIVE, HUMORREICH-VERARBEITETE, DIREKTE LEBENSERFAHRUNG.

PERFORMANCE gustavia * Von und mit: Mathilde Monnier & La Ribot * Ort: Akademietheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 15., 18.7.2008: 21h

Sunday, July 20, 2008

TANZ: "BAHOK" - AKRAM KHAN BRINGT BOLLYWOOD IN DEN JAZZTANZ

Schöne Tutti-Jazztanz-Bollywood-Nummern in bahok, um ein wirklich (aggressiv) gewolltes Miteinander aller Kulturen zu symbolisieren. (Foto © Liu Yang)

MUSEUMSQUARTIER - IMPULSTANZ DIE BRIT-INDER AKRAM KHAN UND INDIE-POPMUSIKER NITIN SAWHNEY GEBEN EIN BEISPIEL FÜR DAS FUNKTIONIEREN DER CREATIVE INDUSTRIES UNTER DEM SIGEL DER MIGRATION - IN BAHOK

Das letzte Mal, als der britische Inder Akram Khan in Wien über sein bikulturelles Identitätsproblem gesprochen hat, geschah in zero degrees (UA 2005) im Duett mit dem flämischen Morakkaner-Einwanderer Sidi Larbi Cherkaoui. Wie jetzt wieder, setzte er dabei auf die Musik des ebenfalls Brit-Inders Nitin Sawhney, der dort zur unglaublichen Schönheit der Produktion beigetragen hat. Damals arbeitete dieser mit einem rasant beschwingten Live-Orchester mit klassischen und indischen Instrumenten. Heuer waren die Klänge mit unter den Herzpuls gehendem, dumpf-dröhnendem Discoschlagwerk - trotz mehrstimmiger Sitar-Gitarre, (Hirten-)Flöten und Celli - technoartiger Natur, und damit weit Jugendkultur orientierter. Womit aber dennoch zu konstatieren ist: Die toll gesteigerte Musik war diesmal, in bahok, (wieder) das Beste sowie die sehr aggressiv getanzten, synchronen Modern-Jazztanz-Bollywood-Teile, die griffige Dynamik versprühen - ganz so, wie man es sich im Zeitalter der creative industries vorstellt, worin diese phasenweise effektreiche Produktion als Kind Großbritanniens ja mitsamt marktwirtschaftlich "funkionierendem" Multikultithema wurzelt.

Banal erzählte Geschichte

Ansonsten ist die Geschichte jedoch, so wie sie erzählt ist, fast banal: sowohl inhaltlich, textlich, als auch im Ablauf zwischen Wort - Schauspiel - Tanz. Als Passagenerzählung wechseln sich die einzelnen künstlerischen Ausdrucksformen blockweise ab, ohne ineinander zu greifen, sodass es zu keiner dramatischen Steigerung kommen kann. Es wirkt insgesamt bis zuletzt nur "arrangiert". Außerdem ist das hysterische Geheule und Geplappere der sichtlich besseren Tänzerin als Schauspielerin, Eulalia Ayguade Farro, kaum erträglich, die mit spanisch-akzentuiertem Englisch in der Bühnen-Abflughalle jeden reisenden Passanten über ihre depressive Lage informiert, der sich zufällig neben sie setzt. Ihre Worte zur "Chinesin" über den Regen, der sich ihr quälend ins Bewußtsein dränge, und ihre Verwirrtheit gegenüber der vielen "Götter Indiens", wo es ja auch regnen könne, wie überall, wirken aufgesetzt. "Aber dass Leute immigrieren, das ist mein Problem!", endet sie, bevor sie ihrem Ärger in einem vehementen Bodentanzsolo freien Lauf lässt. Sie ist eine der fünf TänzerInnen aus Akram Khans Company, die in dieser Produktion je einen Menschen aus einer anderen Kultur repräsentieren. Drei Tänzer - Meng Ning Ning, Wang Yitong und Zhang Zhenxin - kommen vom National Ballet of China, wodurch dieses Werk die multikulturelle Schwierigkeit noch durch eine interdisziplinäre Bewegungssprachen-Vermischung unterstreicht - oder eben umso interessanter macht. Denn einer der Chinesen ist sogar zu einer Denise Biellmann-Pirouette fähig - was man bisher nur im Eiskunstlauf bei Frauen zu sehen bekam.

In dieser wartenden, von Unschlüssigkeitsgefühlen getragenen Abflugsszenerie von der Neu- zur Alt-Heimat, während die (gelungene) digitale Leuchttafel mit "Please Wait", "Delayed", "Rescheduled" aufblinkt, was dann in die elementaren Symbolworte des Überlebens "Air", "Water", "Fire", "Earth", und am Schluß "Hope", "Home", übergeht, erwünschen sich die Betroffenen die Vision von einer möglichen "gemeinsamen Zwischenheimat". Bei dem langen Warten, wo sich etwa eine bindungshungrige Frau wie Ballast an Akram Khan hängt, generell aber jeder sein Fremdheitsgefühl im globalen Durchlauf beklagt, selbst wenn gerade das es ihm ermöglicht, den anderen ein individuelles Solo vortanzen zu können, wäre ihnen eine Realisation gegönnt. Auch wenn die Atmosphäre der Show insgesamt bei wiederkehrendem Handygerede (wohl mit den Verwandten der Heimat) im kommerziellen Leben stehend privilegiert genährt und fröhlich erscheint, sodass der Jammer nicht wirklich geglaubt werden kann. e.o./a.c.

DAS URTEIL BEI DER BANALEN DRAMATURGIE IN BAHOK WARTET MAN NUR AUF DIE EFFEKTVOLLEN BOLLYWOOD-JAZZTANZ-NUMMERN ZU NITIN SAWHNEYs TOLLER MUSIK.

Vergleiche mit Khan-Immigranten-Story auf intimacy: art über diesen Link: EINWANDERER UND AUSLANDSKUNST - ZWISCHEN POLIT-UTENSIL, SEX UND STILVOLLENDUNG - CHERKAOUI & KHAN, MACRAS BIS KOREA

TANZ bahok * Von und mit: Akram Khan Company & National Ballet of China (UK/CN) * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 17., 19.7.2008: 21h

Friday, July 18, 2008

TANZ: IMPULSTANZ FEIERT DIE ZEITGENOSSEN MIT "BALLETTGALA" UND AHA-ERLEBNIS

Was gibt es für ein Risiko für die Frau, dem Liebesdrängen eines Mannes nachzugeben? (Foto © Sébastien Mathé)

Ein Großes - und dennoch gibt sich Laetitia Pujol dem kokett drängenden Manuel Legris in Le Parc von Angelin Preljocaj hin, sodass es beide nur so dreht. (Foto © Christian Leiber)

Andererseits ist die Sehnsucht eines Mannes aber auch ziemlich herzzerreißend, wenn seine Begierde nicht gestillt wird, wie in Prélude à l´après-midi d´un faune von Rosas. (Foto © Herman Sorgelos)





















Da ist es doch leichter, wie William Forsythe über formale Bühenpraktika in Steptext zu reden: wie das Kirov-Ballett (expressiv stark: Ekaterina Kondaurova) (Foto © Rieder
Promotions)

Oder über Forsythes neoklassische Bewegungsdekonstruktionen in Approximate Sonata, die (nicht im Bild) Forsythes Muse Antony Rizzi mit Leslie Heylmann lustig bei ImPulsTanz persiflierte.




















Bei diesem schlüssig-dichten, aber anstrengenden Gala-Programm war Chouinards Le Sacre du printemps-Ritualklassikerpop dann fast schon zu viel des Guten (Foto © Marie Chouinard).



BURGTHEATER - IMPULSTANZ BEI DER BALLETTGALA ZEIGTE SICH, WAS NACH 25 JAHREN ZEITGENÖSSISCHEN TANZES WIRKLICH ZÄHLT: IM BALLETT UND BEI DEN ZEITGENOSSEN

Wer hätte das gedacht. Da strengt sich der zeitgenössische Tanz im Unisono bis zum Erbrechen an, klug zu erscheinen - denn die klassischen Balletttänzer einschließlich hierarchischer Institution und damit die Tanzgeschichte seien ja "so (undemokratisch) dumm"! Kommt der außenstehende Betrachter aber zu einer Vergleichsmöglichkeit mehrerer gezeigter bahnbrechender Produktionen, bleibt doch das am stärksten transportierte, kopflose Gefühl eines bestimmten Werks hängen, nämlich beim dritten Teil aus Le Parc - Pas de deux, von Franco-Albanier Angelin Preljocaj, wo die Rebellion der Bewegung lediglich unterbewußt zu spüren ist. Der Gefühlsausdruck drängt sich in der Erinnerung des Betrachters bildstark und sehnsuchterweckend vor alles andere. Preljocaj leuchtet im Rahmen der Ballettgala zum 25-Jahre-Jubiläum des Wiener Tanzfestivals ImPulsTanz aus all den gefeierten De(kon)struktionsgrößen des klassischen Tanzes hervor, zwischen Forsythe, De Keersmaeker, Chouinard. Sie alle verblassen, weil sie inzwischen dasselbe vordergründige Bewußtsein eint, die technische Formzeichnung für das Publikum an die Front zu hieven.

Das also, was früher einmal revolutionär, neu und einzigartig war, ist schon allzu allgemein, bekannt, etabliert. Ein Preljocaj dagegen, der mit der Empfindung als führende Zugkraft in seinem Schaffen arbeitet, ist zur Ausnahmeerscheinung geworden. Sein Thema der Liebe in der Handlung ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern die Bewegung der Tänzer aus Liebe, als ihr subjektiv empfundenes, romantisches Bild aus tiefster Seele. Dass das viel mehr Kraftinvestition und Verinnerlichung seitens der Tänzer bedeutet, liegt auf der Hand. Und verblüffend ist im Nachhinein aber festzustellen, dass diese Bewegung genauso zeitgenössisches Dekonstruktionsmaterial enthält wie die Arbeiten der einschlägig bekannten Dekonstruktions-Ikonen. Am Ende gilt für den zeitgenössischen Tanz dasselbe Gesetz wie für den Klassiktanz: nicht die Technik darf das Hauptaugenmerk der Aufführung sein, sondern der gelebte Ausdruck, selbst wenn die Technik neu ist.

Wenn Tanzdenker mit ihren Tränen kämpfen herrscht Demokratie

Allerdings: im konkreten - 1994 für das Ballet de l´Opera National de Paris choreografierten - Le Parc - Pas de deux wirkt die dominante Emotion, gerade wegen der neuen Bewegung, nicht platt und eindimensional, sondern zunächst ironisch, subtil und im gesteigerten Fortlauf als intime Spitze, gleich einer inneren Befreiung der Tänzer, verhalten tief und aufrichtig innig. Man kann sich kaum der Tränen verwehren, wenn die Ètoile-Tänzerin des Pariser Opernballetts, Laetitia Pujol, in absolut parallel laufender Bewegung zur sensibel gefühlten Musik Mozarts nach langer spielerischer Sprödigkeit in barocken Herrenkleidern dem kokett werbenden Mann nachgibt, so wie er, mit nichts mehr an als eines weißen, großen Herrenhemdes. Die Musik ist dabei mindestens genauso präsent wie der Tanz. In diesem Sinne findet hier auf der Bühne die harmonischste Gleichberechtigung der Künste statt, die man sich vorstellen kann. - So viel zum Kampfeswillen des zeitgenössischen Tanzes, sich gegen Raum, Theaterregeln und Musik aufbäumen glauben zu müssen, um als vollwertig zu gelten. Und deshalb aber auch die dringende Reklamation eines, sich ebenso wie ein Bildender Künstler (!) für Tanz interessierten Musikers an die ImPulsTanz-Programmheft-Beschreiber: Welches Orchester und welcher Pianist haben da gespielt? Das nicht zu erwähnen, wäre in diesem Fall doch recht undemokratisch!!!

Hebt die dunkelblond-langhaarige Elfe Pujol zum leise anwachsenden hohen Ton der Flöten und Geigen im Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur, KV 488 - Adagio küssend, kerzengerade und waagrecht zur Bühne im Zeitlupentempo ihre Beine, fest den Hals von Étoile Manuel Legris umklammernd, sodass er kurz taumelnd ins immer schneller werdende Kreisen mit weit ausgebreiteten Armen gerät, erscheint jene Welt, die sich in ihrem Inneren breitmacht: eine Welt in immer schneller drehendem Liebesrausch, die nur geschützt ist durch die Stärke der aufeinander gepreßten Münder und der Arme des Mannes, die die Frau halten, als beide zu kippen drohen. Doch bei all dem Vertrauen flüstert das Piano eine Ahnung von wehmütigem Schmerz einer Vergänglichkeit ein, die Frau bohrt ihren Kopf zweifelnd in des Mannes Brust, als ob sie bäte: "Verlaß mich nicht!" - Das ist umso ergreifender, als der Titel dieses letzten Teils Abandon übersetzt "Hingabe" lautet, doch im Verb "abandonner = im Stich lassen, verzichten auf...". Die dunklen Wolken im Bühnenhintergrund verheißen ebenfalls Ungewißheit ... Als Optimist will man jedoch allein an die beidseitige Preisgabe an den anderen glauben, selbst wenn die Trauer um das mögliche Ende mitschwingt ... Immerhin suggeriert das tiefe Cembalo so etwas wie standfesten Halt, als gäbe dieser attraktive Mann der bittenden Frau tatsächlich sein endgültiges Versprechen ...

Das gelungen gesteigerte Vorspiel ...

Dieses Stück lief an fünfter Stelle innerhalb der von der künstlerischen ImPulsTanz-Leitung, sehr geschmackvoll zusammengestellten Ballettgala (großes Kompliment, denn das ist bei Ballettgalas eine Seltenheit!). Davor paßte Prélude à l´après-midi d´un faune von Anne Teresa De Keersmaeker und Rosas fast noch besser in diesen Ablauf als in De Keersmaekers eigenes Stück aus dem Jahr 2006 D´un soir un jour. Denn es stellte den idealen Übergang zwischen impressionistischer Liebes-Illusion in Atmosphäre und Thema dar, sowie es auf die abstrakte Bewegungssprache-Analytik Bezug nimmt und die Unterbrechungsmethoden in Licht- und Bühnenkontinuitätskonventionen, die im Vorfeld von Forsythes Stücken ausgegangen sind, wieder aufnimmt. Doch Keersmaekers Interpretation des Debussy-Klassikers ist schon für sich allein eines ihrer besten Kreationen, bei der ihr Choreograph David Hernandez im Tanzvokabular maßgeblich "geholfen" hat. Dieser Mann ist ein wahrer Geschichtsprofi, was skulpturhafte Posen aus der griechischen und ägyptischen Antike anbelangt, die perfekt ins zeitgenössische Heute transferiert und integriert wurden. - Das freut übrigens wieder unseren mitkritisierenden Musiker, der das Debussy-Thema aus dem antiken Faun-Mythos exakt übersetzt empfand. Abgesehen davon, dass die Musik dieses Komponisten mit seiner großen Romantik einmal mehr, extra illusionsförderlich ist, sodass das Herz ins Schwingen gerät! Selbst wenn der dazu zurückhaltend sperrig und konträr kühl vor sich hinträumende Faun (Mark Lorimer - er gehörte einmal zu The Featherstonehaughs, neben The Cholmondeleys die zweite Top-Company von Britin Lea Anderson, die mindestens so berühmt wie De Keersmaeker / Rosas ist, aber in Österreich noch nie zu sehen war!!!) im aufwirbelnden Sand nur von schönen, bunt gekleideten Frauen träumen darf. Denn diese - Kosi Hidama, Kaya Kolodziejczyk, Zsuzsa Rozsavölgyi, Sue-Yeon Youn - huschen nur (eine auch rasend schnell nackt) am Bühnenhintergrund umher oder posieren weit entfernt neben ihm, um seine Begierde zu steigern und nie zu befriedigen.

... mit der Suche nach neuen Bühnen- und Vokabular-Praktika am Anfang

Vor der ersten Pause konnte man sich indessen anhand von drei Stücken auf die neuen Ballettsprachen und Versuche, solche in den letzten 20 Jahren zu finden, einstimmen. Das gelingt mit William Forsythes Stück Steptext aus dem Jahr 1985 ganz gut, der als "Antichrist des Balletts" 2006 das russische Mariinsky-Kirov-Ballett nach langer Traditionspflege regelrecht zu neuen Ufern vergewaltigt hat. Dass die vier darin tanzenden Solisten perfekte klassische Techniker sind - die Männer: Anton Pimonow, Michail Lobuchin, Islom Baimuradow -, erkennt man sofort; expressiven Ausdruck vermag der spöttischen Bach-, Licht- und Tanzformen unterbrechenden Theaterpraxis-Dekonstruktion aber nur Solotänzerin Ekaterina Kondaurova einzuhauchen. So erscheinen die Duos sogar emotional aufgeladen, womit danach das Liebesthema im ersten Teil von Preljocajs Le Parc, wo sich das Tänzerpaar des Pariser Opernballetts erstmals "im Park" zu Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur, KV 449 - Andantino begegnet, schlüssig aufbauend wirkt. Gleichzeitig wird dort auch die heute noch funktionierende (!) klassische Bühnenpraxis als Gegenüberstellung zu Forsythe betont.

In Forsythes Approximate Sonata (UA 1996) tanzt der sehr unterhaltsame Antony Rizzi danach mit der brasilianischen Solotänzerin Leslie Heylmann zum popig-griffigen Gesang "Pumpkin" von Tricky innerhalb des Musiksounds von Thom Willems ein selbstpersiflierendes Duo hinsichtlich Forsythes Neoklassik-Ballett-Dekonstruktion. Wie Rizzi grimassenziehend entlang einer roten Fadenlinie balanciert und ins muchsmäuschenstille Publikum fragt, ob er seine Brille aufsetzen dürfe, was ihm die Stimme Forsythes als traditionell befehlender Vorgesetzter gewährt, der Rizzis Einwand "I feel stupid" aber dann nicht so ernst zu nehmen scheint, ist zum Schießen lustig, und damit der einzige Grund zur Erheiterung im ganzen Abend. Die Requisite mit einem "Ja" auf hinterleuchteter Schultafel" steht da wohl für den guten Willen zum Tanz, allerdings mit neuen Ansätzen.

Am Schluß zu viel des Guten

Kanadierin Marie Chouinards legendärer, zum dritten Mal bei ImPulsTanz gezeigter Strawinski-Le Sacre du printemps-Interpretation mit ritueller Tanzsprache, die auf jegliche Narration des Ur-Stoffs verzichtet und einfach nur die animalische Bewegung feiert, gebührt ob der Sportlichkeit ihrer elf Tänzer am Ende des schönen, aber anstrengenden Abends ein dickes Lob - schon weil sie damit viele heutig-orientierte Tanzeinsteiger anzuziehen vermag. Für den Besucher dieser Veranstaltung war es aber doch etwas zu viel des Guten! Denn irgendwann ist die Auffassungsgabe erschöpft. Andererseits könnte diese Empfindung auch daher rühren, dass dieses Stück als Einziges nicht in die Atmosphäre der Stückfolge passen wollte, selbst wenn man das "Zusammenpassen" inhaltlich und bewegungsformal mit logischem Wollen herstellen könnte ... e.o./p.p.s.


DAS URTEIL INNERHALB DER INTELLEKTUELLEN DEKONSTRUKTIONSINVASION LEGENDÄRER CHOREOGRAFEN-IKONEN BESTICHT JENER NEU-INTERPRETIERER, DER DAS GEFÜHL IN DEN VORDERGRUND ARBEITET: ANGLELIN PRELJOCAJ - WANN SEHEN WIR DAS VOLLSTÄNDIGE LE PARC IN WIEN - MIT KOMPLETTER PARISER OPERNBALLETT-COMPAGNIE?

Click auf diesen Link, um Le Parc-Videoausschnitt anzusehen - Click dort auf: Vidéo - Le Parc
Présentation de la Saison 2008-2009 par Brigitte Lefèvre - mars 2008


TANZ Ballett-Gala ImPulsTanz´08 * Sücke von und mit: I. Steptext, von William Forsythe & Mariinsky-Kirov-Ballett zur Musik von Bach/Nathan Milstein, II. Le Parc - pas de deux, 1. Akt Rencontre + 3. Akt Abandon von Angelin Preljocaj & Le Ballet De L´Opera National De Paris, Musik: Mozart/Klavierkonzerte, III. Approximate Sonata von William Forsythe mit Antony Rizzi, Leslie Heylmann, IV. Prélude à l´après midi d´un faune / Claude Debussy von Rosas, V. Le Sacre du printemps / Igor Strawinsky von Compagnie Marie Chouinard * Ort: Burgtheater Wien * Zeit: 14.+16.7.2008

BALLETT Le Parc * Von: Angelin Preljocaj (Opéra national de Paris, 1994), Création sonore Goran Vejvoda * Musik: Wolfgang Amadé Mozart, u.a. mit Klavierkonzerten * Orchester: Orchestre Colonne * Dirigent: Koen Kessels * Mit: den Étoiles, 1. Tänzern und Corps de Ballet des Ballet de l'Opera National de Paris * Ort: Palais Garnier, Paris * Zeit: 6.. 7., 9., 10., 12., 13., 16., 18., 19.3.2009: 19h30 + 15.3.2009: 14h30; Dauer 1h40