Saturday, September 29, 2007

THEATER: "WITTGENSTEINS NEFFE" MIT ALOIS FRANK IN ROSA REGIE AICHINGERS

Das Genie in Minze Thomas Bernhard (Alois Frank) macht seinen toten Freund Paul Wittgenstein mit Klopapier "sauber": inhaltlich fragwürdig, trotz geschickten rosa Fadens. Foto © Frank / Aichinger


THEATER SPIELRAUM ALOIS FRANK SPIELT IN WITTGENSTEINS NEFFE THOMAS BERNHARD: LEIDER IN DEN FARBEN VON REGISSEURIN RENATE AICHINGER

Das ist gutes altes Theater, gespielt in guter alter Schauspielmanier, ohne große rhythmische, noch handlungsbezogene Abstraktion. Mehr braucht es eigentlich nicht, wenn man einen guten Schauspieler für einen außergewöhnlichen Monolog hat. Wittgensteins Neffe stammt als Prosa-Erzählung von Thomas Bernhard und wurde 1991 erstmals in Paris zur Einmann-Theaterfassung umgeschrieben. Bis Ende September war das Stück im Theater Spielraum Wien zu Gast, übrigens ein sehr nettes intimes Etablissement. Das Stück erzählt auf normverachtende und doch versteckt liebenswerte Weise von der psychischen Welt zweier Eigenbrötler, die sich im gemeinsamen Auftreten gegenseitig ihr verkanntes Genie zusichern: Der Erzählende, Literat "Thomas Bernhard", und der bereits Verstorbene, Mathematiker und Lebenskünstler Paul Wittgenstein, Neffe des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Sie feiern ihre Genialität, zwischen Größenwahn und Selbstmitleid, in leiser Abschottung am Wilhelminenberg, Baumgartnerhöhe, auf einer Bank, wo sie sich in der Mitte des Weges treffen - der manisch-depressive Paul vom Pavillon "Ludwig" kommend, der psychiatrischen Heilanstalt Steinhof, der lungenkranke Thomas vom benachbarten pulmulogischen Krankenhaus, Pavillon Hermann. Vieles der Schilderung ist autobiografisch, weshalb der Text echt und rührend kommt. Mit all dem Weltschmerz, der großen Lust am Masochismus, wozu nur Österreicher fähig sein können, indem sie wiederholt das tun, was sie hassen.

Unsentimental-rührender "Schauspiel-Clown"

Vor einem Computer auf rosa Tischchen sitzend, das das rosa Gesicht seines verstorbenen Freundes zeigt, sinniert nun Alois Frank mit krank-weiß bemaltem Gesicht und roten Lippen als lungenkrankes Überbleibsel über seine Freundschaft zum toten Paul nach. Er blickt, scheinbar gefaßt, unsentimental und in festem Stimmsitz, zurück auf ihr erstes Kennenlernen bei Irena, wo sie über eine Konzert-Diskussion, worin er Karajan liebte, Paul jenen haßte, ihre charakterliche Nähe entdeckten. Er denkt an ihre - wegen Paul - verrückt-exzentrischen Begegnungen, ihre Übereinstimmungen von Seltenheitswert (Zitat: "Wir haben uns beide gegen alles gestellt" Und: "Die meisten Leute sind Erdäpfelköpfe"). Er denkt an ihre gemeinsam erlebten, wahnwitzigen Abenteuer, wie die erfolglose Jagd nach der Zürcher Zeitung (Zitat: "Österreichische Zeitungen sind täglich erscheinende Klosettpapiere"). Und er kommt darauf, was Paul letztendlich von ihm unterschied: "Er ist an seiner krankhaften Welt- und Selbstüberschätzung zugrunde gegangen... Er ist an seinem Denkvermögen explodiert, weil er mit dem Herauswerfen des Denkvermögens nicht nachgekommen ist." Paul, der Exzentriker, der mit endgültigem Ausbruch seiner Manie das Geld des Familienvermögens verschenkte, weiße Fracks schneidern ließ, die er nicht kaufte, der 400 Kilometer fuhr, um den Freund für ein paar Minuten zu besuchen und sogleich wieder nach hause zu fahren: Denn auf der Autofahrt sei man am glücklichsten, anzukommen sei schrecklich. - Eine Empfindung, die beide wieder eint.

Schrill-biedere statt "groteske" Regie

"Thomas Bernhard" dagegen - hier auf der Bühne, vor unseren Augen - wird als überlebender Stadtfreund für Fremde wohl weiterhin so tun, also sei er ein leidenschaftlicher Spaziergänger, obwohl er in der Natur "nur schnell erschöpft ist", er die Natur haßt. Er wird weiterhin verhaßte Wiener Literaturcafés oder den ebenso verhaßten Bräunerhof besuchen, obwohl er sie noch mehr als "das Sacher" haßt. Denn im Grunde befindet er sich hier in seinem Element, während er als einsames Genie seine Sinnierung durch kurze Dirigatsequenzen mit Kopfhörer unterbricht, selbst wenn er sich jetzt schämt, dass er den Freund zuletzt - wie all die anderen Leute, die Paul stets umschwärmten, solange er noch der Unterhalter war - nicht mehr aushalten hatte können. Weil er sah, dass er fast tot war. Und das, obwohl sie beide die Zählkrankheit teilten, was Alois Frank unter der Regie von Renate Aichinger mittels rosa Klopapierstücken die ganze Erzählung hindurch tut. Bis er in mathemathisch genauer Logik das am Ende damit ausgelegte Schachmuster abspringt. - Jene Handlung, die das Gesagte zu einem Abschluß bringt. Technisch ein schöner Effekt, inhaltlich schießt dessen Interpretation "vom Klopapier" als Quintessenz von allem Geäußerten jedoch weit über das öfter wiederholte "grotesk, grotesk" hinaus. Fast scheint dieser schrille Clown mit weißer Fratze sich selbst ins provinziell Lächerliche zu ziehen. Was schon mit dem mintfarbenen Anzug und den rosa Requisiten anklingt, die Alois Frank und die Bühne (er)tragen müssen. - Sähe das alles anders aus, wäre dieses Kammerstück eine rundum feine, geschmackvolle, klassisch-intensive Theatererfahrung geworden. e.o./m.


DAS URTEIL ALOIS FRANK VERSTRÖMT IN EINEM TOLLEN STÜCK UNSENTIMENTAL STARK GESPIELTE SENSIBILITÄT. SCHRECKLICHE FARBEN IN EINER ETWAS BIEDEREN REGIE DÄMPFEN ALLERDINGS SEINE KRAFT.

Demnächst:
THEATER Lerne lachen ohne zu weinen * Texte von Kurt Tucholsky * Mit: Alois Frank * Ort: Theater Spielraum, Wien 7 * Zeit: 9.10.2007: 20h
THEATER Der Herr Karl * Mit: Alois Frank * Ort: Kleinkunst Brennessel, 1080 Wien * Zeit: 5., 6., 27.10.2007: 19h30

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