Wednesday, August 08, 2007

MUSIK: SCHOSTAKOWITSCH LEBT IN LOTHAR KOENIGS MEHR ALS BRITTEN

Lothar Koenigs versteht Schostakowitsch sichtlich als ...

...dramatischen Komponisten: dementsprechend erlebt er ihn als Dirigent. (Fotos © Mark Wohlrab)


FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE DIRIGENT LOTHAR KOENIGS GERÄT BEI SCHOSTAKOWITSCH INS FILMISCHE ERLEBEN - EIN HOCHGENUSS MIT DEN WIENER SYMPHONIKERN, WÄHREND BRITTEN ETWAS ZU KURZ KAM

Perfekt arrangiert war das 2. Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker im Festspielhaus während der Bregenzer Festspiele. Nicht nur dass sich die drei gespielten Komponisten Aaron Copland, Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch zu Lebzeiten schätzend bis amikal gegenüber standen, sie haben auch alle drei zur ziemlich selben Zeit Werke geschrieben, deren Elemente sich zu überschneiden scheinen. Und das, obwohl sie aus verschiedenen Kontinenten stammen. Wie es die Zeit des Zweiten Weltkriegs aber an sich hatte, vermochte sie (der Krieg) es, Künstler auf der ganzen Welt zur kompositorischen "Kommunikation" zu bewegen. - Logischerweise in "patriotischer" Weise, zum Teil direkt geradlinig, zum Teil verhalten, zum Teil doppelbödig genial. Eigenschaften, die der Reihenfolge nach Amerika (Copland), Großbritannien/Europa (Britten) und der Sowjetunion (Schostakowitsch) zuzuordnen wären.

Das Fanfaren-Vorspiel von Copland und Britten

D.h., mit drei Minuten schwindend kurz, mit scharf abwechselnden Pauken und Bläsern super präsent, gibt Coplands Fanfare For A Common Man, die er 1943 auf Auftrag des Cincinnati Symphony Orchestra geschrieben hat, den Auftakt und gleichsam das Leading-Thema des Abends vor. Aus amerikanischen Historienfilmen, wenn die Armee loszieht, nur allzu bekannt und damit heute als klischeehaft empfunden, scheint Britten dieser Art von "mit Mut, auf in den Krieg!" schon 1940 ein subtiles Begleitwerk beisteuern zu wollen - und das, obwohl er die Sinfonia Da Requiem op. 20 ebenso wie die Operette Paul Bunyan während seines vierjährigen Aufenthalts in Amerika erarbeitete: auf seine Fanfaren folgen schmerzliche Geigen. Ihre Phrase in Wiederholungen mit den Bläsern gleicht einem unaufhörlich traurigen Frage-Antwort-Spiel, das im erlösenden Pauken-Schlagwerk seinen Höhepunkt findet. Nach dem so genannten Lacrymosa leitet eine stakkatohafte Querflöte zusammen mit den Geigen den ungestümen Totentanz Dies irae als Zentrum der Komposition ein. Leise, aber sehr schnell und rhythmisch steigert sich der Takt, rasend schnell zu immer lauter werdendem Trompeten-Exzess, als hätte sich Strawinskys Feuervogel in der Partie verflogen. Doch das Finale klingt langsam beruhigend, mit lyrischer Querflöte als Requiem aeternam aus, es wächst noch einmal langsam zu Romantik und Fülle an, bevor es in ewigem Tod verstummt.

Der dramatische Höhepunkt bei Schostakowitsch

Mit Dmitri Schostakowitschs passagenweise pur instrumentierter Symphonie Nr.7 op.60 (Leningrader, 1942) erwacht Dirigent Lothar Koenigs nun vollauf, sodass auch er als Person zu spüren und nicht nur die Musikarchitektur nachvollziehbar ist. Und tatsächlich, der Aachener (geb. 1965) ist schon 2003 Kritikern mit Schostakowitsch-Interpretationen positiv aufgefallen. Diese Musik liegt ihm im Blut. Gefühl und Leben erfüllt die Noten. Tiefe rhythmische Streicher und hohe Geigen im Wiederholungsrhythmus, die Querflöte spielt ein verträumtes Solo, die Piccoloflöte fordert klagend ihr Moll, bevor mit leisestem Trommel-Schlagwerk ein subtiler Marsch anfängt. Der Kontrast der hohen Flöte, lieblich zweistimmig verschmiert mit einer zweiten, ergibt eine spannende Mischung zu den tiefen Streichern, die für den heimtückisch drängenden "Krieg" stehen, Titel des ersten Teils Allegretto. Als handle es sich um eine morbide Form des Bolero, wiederholt sich dieselbe Passage. Sie schwillt immer mehr an, immer dramatischer werdend erinnert sie an Prokofjews Filmmusik. Dieser so starke und herrschaftsorientierte Klang zeigt den widerstrebenden Blick des Komponisten auf die feindlichen Faschisten. Dagegen wehrt sich die zerbrechliche Querflöte zart und leise, bis die ganze Musik zum Stillstand kommt, während die Geigen in der Funktion von Schlagwerk den Rhythmus angeben. Zu dem Geigenmarsch fabuliert noch die Oboe in verträumtem Solo, als wolle sie sich vor der Gefahr verschließen.

Im zweiten Satz Moderato, poco allegretto unter dem Titel "Erinnerungen" schleicht sich in den subtil, auf zwei Tönen gestreichten Geigenrhythmus Zupfen ein, während Klarinette und Harve dazu spielen. Im Adagio "Die großen Lebensräume meines Vaterlandes" "stören" Trompeten fanfarenhaft als dramatischer Einbruch. Der Krieg treibt sein Unwesen. Dagegen ist etwas zu tun. Alles schreit nach "Sieg" in Allegro ma non troppo, im fließenden Kontrast von tiefen gegen hohe Geigen, die in windhaftem Auf und Ab zu ungestümem Wirbel anschwellen, bis die Trommeln laut, fordernd und doch behäbig im Paukenschlag ein für allemal ein Ende setzen. - So viele Farben in einem Werk, und dabei aber anspruchsvoll geistreich und zugleich rührend unterhaltsam zu sein - das schaffen auch nur die Russen. e.o./g.o.


DAS URTEIL EIN BEISPIEL, DASS EIN GELEBTES ORCHESTERKONZERT ZU DEN SCHÖNSTEN KUNSTEREIGNISSEN ÜBERHAUPT ZÄHLT: LOTHAR KOENIGS HAT EIN GROSSES GESPÜR FÜR SCHOSTAKOWITSCH, WÄHREND ER BRITTEN EHER MIT LOGIK BEGEGNET.

NÄCHSTE ORCHESTERKONZERTE:
Orchestermatinee: Schostakowitsch-Dünser-Britten-Schostakowitsch * Mit: Symphonieorchester Vorarlberg * Dirigent: Gérard Korsten * Mit: Benjamin Schmid, Violine * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 12.8.2007: 11h

Orchestermatinee: Britten-Britten-Schostakowitsch * Mit: Symphonieorchester des Bayrerischen Rundfunks * Dirigent: Mariss Jansons * Mit: Frank Peter Zimmermann, Violine * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 19.8.2007: 11h

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