Friday, June 01, 2007

THEATER: COMPLICITE VERWIRRT IN "A DISAPPEARING NUMBER" RAUM UND ZEIT

Was ist Mathematik? - Etwas Reales oder doch etwas Irreales? - Man kann sie ja eigentlich nicht greifen ...

...sie ist unsichtbar und wird erst sichtbar, wenn sie einmal gelernt ist.

Das indische Genie Ramanujan schöpfte als Autodidakt für seine Erkenntnisse aus seiner Liebe und seinem vegetarischen Körper ...












... doch als er nach England zu den Akademikern gebeten wird, ist er nur krank. Und stirbt mit 33. Zuvor hat er aber noch einen Geistesblitz. (Fotos: © Robbie Jack)




MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN A DISAPPEARING NUMBER DES BRITEN SIMON McBURNEY UND SEINER COMPANY COMPLICITE BEFASST SICH MIT DER MATHEMATIK DES INDERS RAMANUJAN UND IST DABEI ALLES ANDERE ALS TROCKEN

Es beginnt mit einer halben Stunde Verspätung.Herein kommt eine Frau, die meint, es gäbe technische Probleme. Sie vertreibe die Zeit des Publikums derweilen mit Mathematik-Unterricht, und notiert die Formel: 1+2+3+Unendlich = -1:12. Darauf kommt ein Mann, der sich Alex nennt und der Regisseur Simon McBurney ist. Dieser Alex wird sich später in die Mathematiklehrerin verlieben und sie heiraten. Sie werden ein Kind erwarten, und sie wird es verlieren. Aber nicht chronologisch und auch nicht so schnell.

Denn "glatt" - eins nach dem anderen - verläuft hier gar nichts. 1, 2, 3, 4, 5, ... die analoge Abfolge wird formal einem Bruch unterzogen. Erzählt wird in Sequenzen, die Vergangenheit und Zukunft und damit Raum und Zeit über den Haufen werfen. Dennoch ist der Verstand in der Lage, sich eine kontinuierliche Geschichte, bzw. mehrere parallel laufende Geschichten zwischen Gegenwart und Vergangenheit zusammen zu reimen. Aufgrund seiner Erfahrung, gelernte Muster als logisch zu begreifen. Mit dem Aufbrechen der herkömmlichen Erzählmethode versetzt Regisseur McBurney den Zuseher nun in das Gefühl, das das grundsätzliche Wesen der Mathematik offenbart: sie scheint nur echt, solange der Mensch noch in der Lage ist zu zählen und zu kombinieren, sie mit der Empirie der Naturgesetze zu belegen, doch irgendwann endet sie auf Mikro- wie Makroebene in der Unendlichkeit: Und da beginnt sie nun, metaphysisch zu werden, womit sie nichts anderes wäre als ein Gefühl.

Mathematik als Produkt des Gefühls

Das Gefühl, die Intuition, die Inspiration, die Kreativität sind es in der Mathematik, wie in der Kunst, die den Keim für neue Entdeckungen auf der Schnittebene von gerade noch Bekanntem zum unendlich Unbekannten darstellen. Das war bei Albert Einstein so und auch bei einem autodidaktischen Hobbymathematiker aus Indien, der Anfang des 20. Jahrhunderts die europäisch-akademische Naturwissenschaft verblüffte: Ramanujan war eigentlich Postangestellter in Madras. So wie man nur die Freizeit, das Hobby lieben kann, liebte er die Mathematik. Und kam dabei auf die geniale Formel von -1:12. Er schöpfte mit seinen Ideen aus seiner Liebe und seinem Körper, der jener eines Vegetariers war. Und das wurde ihm später, als er in England für die Akademie forschte und rechnete, zum Verhängnis. Aber nicht so schnell.

Heute-Einschübe neben der Vergangenheits-Biografie

Denn vorher wird noch von Alter gesprochen, das ja auch nichts ist, als eine Zahl, und gleichzeitig durch Vergangenheits- und Zukunftsangabe für Voher und Nachher, für Aktion und Reaktion, für Handlung und Folge steht.
Gezeigt wird ein heutiger, indischer Arzt auf Vortragstour via Flugzeug, der seine Frau via mathematisch eingerichtetem Telefon "unendlich" liebt, ein ebenfalls reisender Businessman, der von Indien träumt, und der irgendwann auf den Arzt trifft.
Die Rede ist vom Krieg, wo die Mathematik Schaden anrichtet und ihn gleichzeitig lindert.
Und gesellschaftlich revolutionierendste Mathematik liegt schließlich im unfaßbaren Internet, das im unendlich großen Datenall ebenfalls nur durch Zahlen funktionierbar gemacht wurde. So muss auch der Satz sinnvoll erscheinen: "Wenn Dinge keinen Sinn machen, hilft es manchmal, eine Verbindung herzustellen." Womit wir wieder bei der Kreativität wären.

Das Genie starb mit 33

Und da nun eben das Bauchgefühl so wichtig ist für einen Mathematiker, und - kreativ verbunden - jede Geschichte ihren emotionalen Kick braucht, muss dieses Schicksal traurig enden - allerdings endete es auch echt so, was wiederum die Nähe von Leben und Kunst, Realität und Fiktion beweist: denn der im warmherzigen Indien durch hörbare Tabla und getanzten Katak verwöhnte Ramanujan, vertrug weder die englische Mentalität, noch das englische Essen oder Klima. Er war es nicht gewohnt, mit Schuhen zu gehen, so zog er sich zum Spazieren Handschuhe über die Füße. Und doch kam er noch auf eine große mathematische Erkenntnis, bevor er mit 33 Jahren starb.

Und das Leben geht logisch weiter

Und so stirbt auch Alexs - Ramanujan verehrende - Frau "heute" mit 43, was einer Zehnerlogik gehorchen muß. Doch die Chance für Alex, sich neu zu verlieben, liegt schon am anderen Ende der Telefonleitung... Denn die Liebe ist unendlich und deshalb immer "wahrscheinlich".

Das Stück - eine schöne, musikalische, visuelle, witzige, ernste Metapher für Raum und Zeit, für die Umkehrung der Bedeutsamkeit von Erster und Dritter Welt im Verlauf der Zeit (als Utopie für die Zukunft), für das Verschmelzen von Körper und Geist. Und ein Plädoyer für das Leben: in seiner Rede nach dem Applaus gedachte Regisseur Simon McBurney der Schauspieldirektorin Marie Zimmermann, die ihn vor ihrem Freitod aufforderte, etwas abzuliefern, wo "sie etwas wachsen sehen könne". Und McBurney ist davon überzeugt: "Sie hat von der anderen Seite der Unendlichkeit aus zugeschaut." e.o.


DAS URTEIL EIN SPIEL VON VERDREHTER VERGANGENHEIT, ZUKUNFT, LOGIK, PHYSIK, METAPHYSIK. DER ABEND VERGEHT DAHER WIE IM FLUGE: OHNE GEFÜHL FÜR RAUM UND ZEIT.

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