Monday, November 13, 2006

FILM: DIE NEW-CROWNED-HOPE-REVOLUTION VON GARIN NUGROHO


Filmstills aus Opera Jawa (© N.N): Die verkörperte Fleischeslust: Dieser "Mann" (oben) verleitet die Ehefrau zur Untreue, während der Ehemann sie nur als Heilige sehen will. Im Vagina-Zelt am Meer schlitzt dieser sie deshalb auf, um ihr Herz zu befragen, wen es nun wirklich liebe? - Ein formal absolut interessanter Film für Opern- und Tanzfans.

I Don´t Want to Sleep Alone-Filmstill (© William Laxton): Einer von den Dreien zieht für gewöhnlich den Kürzeren, außer das männliche Objekt der Begierde (Mitte) wäre bisexuell ... immerhin können sie aber zumindest zu dritt schlafen. - Sexszenen und Erotik retten diesen langsamen Film voller Schmutz, Flöhe, Krankheit und Giftgase.


NEW CROWNED HOPE - EINE FORMALE OPERN-TANZ-FILM-REVOLUTION AUS INDONESIEN UND LANG(WEILIG)ATMIGE "BARBARA-ALBERT- FILME" AUS THAILAND UND TAIWAN

Am 14.11. startet offiziell das bis 13.12.06 dauernde New Crowned Hope-Festival. intimacy: art sah alle sieben Filme vorab. Top bleibt Hamaca Paraguaya (für Kritik scroll down), dicht gefolgt von Opera Jawa des indonesischen Regisseurs Garin Nugroho (45). Unsere Begründung: Diese beiden Filme bringen formale Neuerungen in das Filmgenre, wobei Hamaca Paraguaya mit musikalischer Poesie dem Filmwesen näher kommt und wirklich jedem gefallen wird, während Opera Jawa - von Oper/Theater und Tanz geprägt - eher etwas für die Spezialinteressen-Zielgruppe ist. - Aber: Diese "Opernfilm"-Art könnte bei Theater- und Opernübertragungen künftig Sinn machen. Denn "nur abgefilmt", so wie sie bisher sind, drängen sie selbst Theater- und Opernfans (die meist auch Filmfans sind!) reflexartig zum Umschalt-Knopf.

Opera Jawa: zweitschönster Film des Festivals

Opera Jawa ist stilistisch gemacht wie ein Bollywood-Film, nur nicht auf indisch, sondern indonesisch, und - durchgehend gesungen - näher der Oper und dem volkstümlichen Gamelan als dem Musical. Außergewöhnlich sind die vielfältigen, rituellen bis klassischen Tanzszenen von sieben berühmten javanischen Tänzern und Choreografen in abstrakten, von Künstlern geschaffenen Installationen. Das paßt so gut, da es auch in der Geschichte um drei ehemalige Tänzer geht, die einst den Klassiker Ramayana aufführten. Dessen Dreiecksgeschichte von einem Paar und einem Querbrater strahlt nun auf ihr jetziges Leben ab:

Das Töpfer-Ehepaar hat Geldprobleme. Dazu kommt, dass der Mann seine Frau zur Heiligen hochstilisiert, anstatt es ihr anständig zu besorgen. Dabei hätte er doch wirklich die besten Voraussetzungen dazu, wo er sie so reizvoll mit Töpferlehm beschmiert. Sexuell unbefriedigt, zieht es sie alsdann - kaum ist ihr Mann auf dem Markt - über einen endlos langen, lustroten Teppich zum potenten Händler Ludiro. Bei ihm lebt sie ihr Verlangen aus, ohne - wie bei ihrem Mann - Angst haben zu müssen, dafür vom Gegenüber verachtet zu werden. Doch der Sexprotz klagt wiederum: er dürfe nur ihr Fleisch besitzen, nicht ihr Herz. Das beschäftigt ihn so sehr, dass er blutrünstig zwischen Schlachtrind umher tanzt, als befinde er sich auf Hermann Nitschs Orgienfest. Für sie ist wieder das Problem, dass sich diese beiden Männerwelten nicht trennen lassen: liegt sie des Nachts zuhause neben ihrem Mann, kriecht plötzlich dieser Lustteufel unter ihren Rock. So viel Scheinheiligkeit muß daher bestraft werden: der Ehemann schneidet seiner untreuen Ehefrau im Vagina-Zelt das Herz heraus, um sich zu überzeugen, für wen es wirklich schlägt.

Die "Barbara Albert"-Langatmer

Also, für Sang sattawat (Syndromes and a Century) des thailändischen Regisseurs (36) Apichatpong Weerasehakul brauchen Sie einen langen Atem. Erinnert schwer an Böse Zellen von Barbara Albert. Alltagszenen ohne Höhepunkte, keine kontinuierliche Geschichte, scheinbar reale Beziehungsepisoden im Krankenhaus. - Wann läuft diese Mode des Nicht-Erzählen-Könnens endlich aus? Wann gesteht man sich endlich ein, dass die Kunst des Filmens im richtigen Timing und Spannungsaufbau liegt? - Nur für Leute, die absolut nichts zu tun und keine Perspektiven im Leben haben! Alle anderen werden platzen vor dem Gefühl, dass man ihnen die Zeit stiehlt.

Nicht ganz so schlimm ist Tsai Ming-Liangs (49) Hei Yan Quan (I Don´t Want to Sleep Alone). Zwar in genau so langatmigem Schein-Alltags-Realismus gedreht, aber wenigstens mit Konzentration auf drei Menschen. Ein Mann nimmt einen heruntergekommenen Kerl von der Straße mit nach Haus; er wäscht, füttert und bettet ihn neben sich auf der (flohreichen) Matratze. Subtile Erotik liegt in der Luft. Doch als der Aufgenommene gesünder wird, steigt er einer Krankenpflegerin nach, die den ganzen Tag einen klinisch Toten wäscht. Dann ist Giftalarm, und ausgerechnet da wollen die beiden im Halbfreien miteinander schlafen. Mit Gasmasken geht das etwas schwer. Das Ganze endet im Eklat, als der tatsächlich schwule Helfer dahinter kommmt, zu wem sein undankbarer Patient sich hingezogen fühlt. Und doch schlafen sie alle drei gemeinsam ein. - Diesen Film retten die Erotikszenen und die metapherreichen Gegensätze von Leben-Tod. a.c./e.o.


DAS URTEIL WENN MAN SICH NICHT SEHR ÄRGERT, KANN MAN SICH AUCH NICHT SEHR FREUEN: ALSO AM BESTEN ALLE FILME DES FESTIVALS ANSEHEN.

FILM Opera Jawa, Indonesien/A 2006, 120 min, Javanisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 17.11., 20h * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Garin Nugroho // Ort: Filmmuseum * Zeit: 30.11., 20h30 * OmdU
FILM Syndromes of a Century, Thailand/A/F 2006, 105 min, Thailändisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 21.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Apichatpong Weerasehakul // Ort: Filmmuseum * Zeit: 30.11., 18h30 * OmdU
FILM I Don´t Want to Sleep Alone, Taiwan/F/A 2006, 118 min, Malayisch, Mandarin, Bengalisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 22.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Tsai Ming-Liang // Ort: Filmmuseum * Zeit: 27.11., 20h45 * OmdU

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